Haas: "Ich habe einfach vor mich hin gelabert"

Von Interview: Florian Regelmann
Tommy Haas hat in seiner Karriere 13 ATP-Turniere gewonnen
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SPOX: Wir waren vorhin im Jahr 2000 stehen geblieben. Wir müssen zwingend über die Aussie Open 2002 sprechen, denn das war Ihre größte Chance auf einen Grand-Slam-Erfolg. Todd Martin in Fünf geschlagen, dann Federer 8:6 im Fünften niedergerungen, dann Marcelo Rios aus dem Weg geräumt und im Halbfinale gegen Marat Safin mit 2:1-Sätzen vorne gelegen...

Haas: ... bis der verdammte Regen kam. Ich war der bessere Spieler, konnte aber mit der Regenpause gar nicht umgehen. Das ist eigentlich meine ganze Karriere lang so geblieben, mit der Warterei habe ich oft Schwierigkeiten gehabt. Ich weiß auch nicht warum. Ich weiß noch, dass ich in der Pause auf der Massagebank gelegen bin und irgendwie hat sich das für meinen Körper angefühlt, als ob es schon nach dem Match und Zeit zum Relaxen wäre. Ich wollte noch mal Vollgas geben, aber ich konnte den Gang nicht mehr einlegen. Während Safin sein Level steigerte, hatte ich gar keines mehr. Es war gar kein Match mehr nach der Regenpause.

SPOX: 0:6, 2:6 in den Sätzen 4 und 5. Und so hieß der Champion am Ende Thomas Johansson.

Haas: Es gibt diese Matches, nach denen man sich denkt: 'Mensch, hätte ich das nur gewonnen.' Das gehört definitiv dazu. Wenn ich da den Grand-Slam-Titel hole, hätte meine Karriere ganz anders einschlagen können.

SPOX: Wie gehen Sie damit um, dass ein Grand-Slam-Titel ja jetzt im Grunde nicht mehr möglich ist?

Haas: Ich bin schon Realist. Und die Realität ist, dass ich 35 Jahre alt werde. Ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, bei dem es über drei Gewinnsätze geht, bei dem du unter Umständen Runde für Runde vier oder fünf Stunden auf dem Platz fighten musst, bei dem du gegen zwei, drei der Jungs wie Federer, Djokovic, Murray und Nadal gewinnen musst... Relativ schwierig. (lacht) Dieser Zug ist wohl für mich leider abgefahren, da müssen wir die Kirche auch im Dorf lassen. Sportpsychologen werden jetzt vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sagen, dass man so nicht denken darf. Aber ich sage ja nicht, dass ich nicht positiv bin. Es gibt viele andere große Turniere, bei denen ich noch weit kommen kann und möchte. Ich würde noch einmal gerne gegen einen der Großen auf einem großen Platz spielen. Und ich glaube schon, dass ich den einen oder anderen der Top-Jungs über zwei Gewinnsätze auch mal schlagen kann. Das glaube ich absolut und das will ich auch erreichen.

SPOX: Kotzen Niederlagen auf gut deutsch gesagt noch genauso an wie früher?

Haas: Oh ja. Ich bin immer noch extrem motiviert, Matches zu gewinnen. Wenn ich ein Match verliere, bei dem ich eine Chance hatte, bin ich hinterher immer noch genauso enttäuscht und wild wie vor sechs oder zehn Jahren. So was macht mich fertig. Ich brauche dann wirklich ein paar Tage, um mich wieder auf das nächste Turnier konzentrieren zu können.

SPOX: Wir haben also geklärt, dass es mit dem Grand-Slam-Sieg wohl nichts mehr wird. Haben denn Ihre ganzen Comebacks nach den zig Verletzungen nicht einen ähnlichen Stellenwert wie ein großer Triumph?

Haas: Ich stehe jetzt wieder in den Top 20 der Welt. Vor einem Jahr hatte ich nicht das Gefühl, dass das jemals wieder passieren würde. Nach meiner Hüft-Operation hat als Folge mein Knie permanent Probleme gemacht. Ich wollte schon das Handtuch werfen, weil ich keine Chance hatte, rauszugehen und zu trainieren. Aber man gibt irgendwie nie auf, bekommt viel Unterstützung durch seine Familie und Freunde, die alle an einen glauben und irgendwie geht es dann wieder. Ich will mich aber nicht so gerne in meinen Comebacks sonnen. Wenn ich den Schläger wirklich an die Wand gehängt habe und darüber nachdenke, was ich alles erreicht habe, wird es aber sicher ein Punkt sein, der mich mit dem meisten Stolz erfüllt. Ich denke, dass ich in dieser Hinsicht vielleicht auch einmal am meisten zurückgeben kann. An Kinder, die auch nicht die perfekte Karriere haben. Ich merke das auch im Kontakt mit meinen Fans, dass sie diese Comebacks anerkennen und mich sogar als Inspiration sehen. Das macht mich stolz.

SPOX: Wie oft lagen Sie denn abends im Bett und dachten ans Aufhören?

Haas: Nach den ersten Schulter-Operationen hatte ich den Gedanken eigentlich noch gar nicht. Da war ich ja erst 24, 25 Jahre alt und wusste, dass ich noch mindestens vier, fünf gute Jahre vor mir habe, wenn wir das mit der Schulter in den Griff bekommen. Richtig schwierig war es nach der Hüft-OP. Ich wusste, dass ich mindestens ein Jahr benötigen würde, um zurückzukommen. Ich hatte kein Gefühl mehr im rechten Bein, es waren keine Muskeln mehr da, ich konnte mich ja kaum mehr bewegen zwischenzeitlich. Und ich war eben schon in einem Alter, in dem man ans Aufhören denkt. Ich bin dann aber Vater geworden und habe mir vorgestellt, wie geil es doch wäre, wenn meine Tochter mich noch spielen sehen könnte. Wenn sie begreift, was ihr Vater so lange gemacht hat. So habe ich wieder die Motivation gefunden. Wir haben jetzt schon ein paar schöne Fotos, wie sie zuschaut.

SPOX: Aber der Weg zurück war immens steinig. Es hat extrem lange gedauert, bis sich wieder Erfolg eingestellt hat.

Haas: Richtig. Es war fast ein Jahr später, ehe es wieder klick gemacht hat. Mit dem Halle-Sieg als wahnsinnigen Höhepunkt. Man muss sich das mal vorstellen: Ein Jahr vorher hatte ich eigentlich keinen Bock mehr, weil ich nicht trainieren konnte und auch gegen Spieler verloren habe, die ich vom eigenen Anspruch her einfach schlagen muss. Aber ich bin dran geblieben, habe versucht, alles Negative wegzublocken und plötzlich gewinne ich in Halle. Gegen Roger im Finale. Am Vatertag. Mein Vater war da, mein Schwiegervater auch - es hatte was von einem Märchen. Es gibt wenige perfekte Momente im Leben, aber in dieser Woche hat einfach alles gepasst. Ich habe auch jeden wichtigen Punkt gut gespielt. Es war eine große Genugtuung, weil ich mir sagen konnte: 'Siehst du, deshalb bleibt man am Ball. Deshalb gibt man nie auf.' Selbst wenn ich nichts mehr gewinnen würde, habe ich etwas geschafft, das viele nicht mehr erwartet hätten. Darauf kann ich immer zurückblicken. Aber ich fühle mich wohl im Moment und will auf jeden Fall noch einmal eine Trophäe hochhalten. Ich werde solange spielen, solange ich das Gefühl habe, Matches gewinnen zu können und solange ich noch Spaß habe. Ich will das Profisportler-Dasein solange es geht durchziehen.

SPOX: Letzte Frage: Sie sind auch als großer NBA-Fan bekannt und haben in der Academy schon öfter ein bisschen gezockt. Mit wem hatten Sie das Vergnügen?

Haas: Ich habe über die Jahre unter anderem Chauncey Billups von den Clippers kennengelernt. Wir haben so ein bisschen gespielt und geshootet. Als ich ihn verteidigen sollte, habe ich versucht, ihn zu irritieren und bin hinter der Dreierlinie wie ein kleiner Affe herumgesprungen. Das hat ihn aber null interessiert. Mit welcher Leichtigkeit er hoch- und zurückgesprungen ist und welche Kraft er hatte, um von weit hinter der Dreierlinie die Bälle ganz locker reinzuhauen, war beeindruckend. Wenn ich dann hinter der Dreierlinie stand, bin ich fast nicht zum Korb gekommen mit meinem Wurf, weil ich nicht die Kraft im Handgelenk dazu habe. Dabei bin ich im Grunde kein schlechter Basketballer, zumindest wenn ich keine Hand im Gesicht habe. Ich spiele nach wie vor sehr gerne Basketball, weil es auch ein gutes Warmup fürs Tennis ist. Und ich schaue mir gerne Spiele live an. Das Problem für uns Tennisspieler ist nur, dass wir immer in Europa sind, wenn die Playoffs anfangen. So können wir es nicht wirklich verfolgen. Das muss dann bis nach der Karriere warten.

Die ATP-Weltrangliste: Haas in den Top 20

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