Knackpunkte auf dem Weg zum Champion

Von Alexander Mey
Andy Murray hat in seinem fünften Finale zum ersten Mal ein Grand-Slam-Turnier gewonnen
© Getty

Andy Murray gewinnt im fünften Anlauf sein erstes Grand-Slam-Turnier und schafft damit den Durchbruch. Einige Knackpunkte im vergangenen Jahr haben ihn zum Champion gemacht. Einer davon heißt Ivan Lendl. Zu ihm, aber auch zu Novak Djokovic gibt es auffällige Parallelen.

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Freude sieht anders aus. Anders als das Bild, das Andy Murray nach dem dramatischen Finalsieg bei den US Open gegen Novak Djokovic abgab. Er jubelte kaum, er lachte kaum, er tanzte nicht wie Damen-Siegerin Serena Williams am Vortag.

Erst hockte er um Fassung ringend auf dem Platz, dann hielt er sich die Hände vors Gesicht. Nicht einmal nach der Siegerehrung auf der Pressekonferenz war er zu einem Lachen aufgelegt. Den Grund fasste er selbst in einem Wort zusammen: "Schockstarre".

Murray: "Innerlich bin ich sehr glücklich"

Murray hatte so lange auf diesen Tag gewartet, auf das Ziel der Reise, das Ende der nervtötenden Fragen nach dem ersten Grand-Slam-Titel, das Ende der Selbstzweifel, der Angst, dass er es vielleicht niemals nach ganz oben schafft, wie so viele Briten vor ihm.

Plötzlich fiel das alles von ihm ab. "Innerlich bin ich sehr glücklich, denn es war eine lange, lange Reise bis zu diesem Punkt. Ich verspüre Erleichterung, weil ich mir bewiesen habe, dass ich auch Grand Slams gewinnen kann", sagte Murray.

Vier Grand-Slam-Finals verloren

Viermal zuvor war Murray sich selbst und allen anderen diesen Beweis schuldig geblieben. Er verlor die Finals in Flushing Meadows 2008, in Melbourne 2010 und 2011 und zuletzt das Wimbledon-Finale 2012 gegen Roger Federer.

Er sei mental nicht stark genug, um den letzten Schritt auf das Level von Federer, Djokovic und Rafael Nadal zu gehen, warf man ihm immer vor. Er mache sich zu viele Gedanken um sein Spiel, verliere zu schnell das Selbstvertrauen und hadere auf dem Platz zu sehr mit sich selbst.

Murray gesteht Selbstzweifel

Ganz abgelegt hat er das immer noch nicht, wie er nach dem Triumph in Flushing Meadows zugab: "Ich saß vor dem Spiel in der Kabine und hatte Zweifel. Niemals zuvor hatte jemand fünf Endspiele verloren. Und ich wollte nicht derjenige sein, dem das zuerst passiert."

Als Djokovic nach 0-2-Satzrückstand im dritten Durchgang begann, seinem Ruf als bester Comebacker der Welt gerecht zu werden und das Finale zu drehen, habe Murray "Pudding in den Beinen" gehabt, sagte er. Aber er ist unter dem Druck nicht zerbrochen. Im Gegenteil. Von Beginn des fünften Satzes an war er voll da und kaufte Djokovic den Schneid ab.

Lendl wird neuer Trainer

Das ist der Murray des Jahres 2012. Dem Jahr, an dessen Beginn die Zusammenarbeit mit seinem neuen Coach stand, Ivan Lendl. Der achtfache Grand-Slam-Sieger ist der erste von drei Knackpunkten, die aus dem talentierten Mr. Murray einen Champion gemacht haben.

"Ich bewundere seinen Mut, mich zu verpflichten. Es war ihm klar, wie viel Interesse er damit hervorrufen würde, aber genau das zeigt mir, wie entschlossen er ist", sagte Lendl zu Beginn der Zusammenarbeit.

Lendl: "Er braucht mich nicht, um Halbfinals zu erreichen"

Lendl hat keine nennenswerte Erfahrung als Trainer und war zudem 16 Jahre aus dem Tennis-Business draußen. Aber darum ging es Murray nicht. Es ging um die mentale Einstellung zum Sport, die ihm Lendl vermitteln sollte.

"Er braucht mich nicht, um Halbfinals zu erreichen", sagte Lendl. "Die Hauptsache, die ich von ihm gelernt habe, ist, auf dem Platz mental stabiler und nicht so emotional zu sein. Er stellt sicher, dass ich nie zu hoch steige, aber auch nie zu tief falle", erklärte Murray.

Lendl willl Murray zu vielen Grand Slams führen

Er und Lendl sind menschlich ähnliche Typen, die auch abseits des Platzes einen Draht zueinander haben. Neben sehr guten Trainingsmethoden und extrem akribischer Vorbereitung auf die Matches, die ihm Murray attestiert, ist es vor allem die Rolle als Mentor, in der Lendl Murray den Sprung an die Spitze ermöglicht hat.

Der mittlerweile 52-Jährige weiß, wie sich Murray nach all den bitteren Grand-Slam-Pleiten gefühlt hat. Er selbst gewann erst in seinem fünften Finale den ersten Titel. "Natürlich sehe ich die Parallelen zwischen seiner und meiner Karriere", sagte Lendl und schickte die Ansage hinterher: "Ich will, dass seine so aufhört wie meine."

Zwei Knackpunkte in Wimbledon

Dafür, dass er zumindest einmal den ersten Grand Slam gewinnen konnte, sorgten zwei weitere Knackpunkte in Murrays Saison. Beide in Wimbledon.

Da war zuerst die Finalniederlage im Grand-Slam-Turnier gegen Federer, nach der Murray bitterlich weinte und tagelang kaum ansprechbar war. Er wirkte derart bis ins Mark erschüttert, dass man fürchten musste, sein Selbstbewusstsein habe irreparablen Schaden genommen.

Aber von wegen. Nur wenige Wochen später drehte Murray an gleicher Stelle den Spieß herum und besiegte Federer im olympischen Finale. Wimbledon-Sieg light, hätte man spotten können. Aber durch diesen Erfolg hat es im Kopf von Murray offensichtlich endgültig "Klick" gemacht.

Parallelen zwischen Murray und Djokovic

An diesem Punkt kommt eine Parallele zu Djokovic ins Spiel. Auch der Djoker drohte hinter den beiden Großen Federer und Nadal hängen zu bleiben, bis er Ende 2010 mit Serbien den Davis Cup gewann. Das war sein Aha-Erlebnis, das in Kombination mit einer Ernährungs- und Trainingsumstellung zu seinem Traumjahr 2011 mit drei Grand-Slam-Titeln führte.

Vielleicht konnte sich Djokovic deshalb so gut in Murrays Emotionen einfühlen, als er ihm beim Shakehands im Netz sagte: "Klasse Andy, du hast es verdient."

Neue Ära Murray/Djokovic?

Diese beiden, wie sie da nach fast fünf Stunden hartem Kampf am Netz beieinander standen, könnten mittelfristig das Herren-Tennis beherrschen. Sie sind beide 25 Jahre alt, haben also noch mindestens fünf, vielleicht sogar zehn gute Jahre vor sich.

Federer dagegen ist mittlerweile 31 Jahre alt. Er wird sicher noch einige Chancen bekommen, Grand Slams zu gewinnen, aber allzu weit blickt er in seiner Karriere auch nicht mehr in die Zukunft.

Und Nadal? Der Spanier ist zwar nur ein Jahr älter als Murray und Djokovic, aber nach all den ernsten Verletzungsproblemen der letzten Jahre und vor allem Monate ist fraglich, wie lange er noch auf allerhöchstem Niveau wird spielen können.

"Ich weiß nicht, was in den nächsten Jahren passiert", sagte Djokovic zu diesem Thema. "Aber dass Andy heute gewonnen hat, macht das Herrentennis auf jeden Fall interessanter."

Der Stand der ATP-Weltrangliste

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