Am Ende? Zu alt? "Der beste aller Zeiten!"

Von Bastian Strobl
Roger Federer hat mit seinen 7. Wimbledon-Sieg den Rekord von Pete Sampras eingestellt
© Getty

Roger Federer kehrt mit seinem Erfolg in Wimbledon auf den Tennis-Thron zurück. Ein großes Ziel bleibt aber noch. Andy Murray erobert derweil trotz seiner Finalniederlage die Herzen der Engländer.

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Als alle Augen auf ihn gerichtet waren, suchte Roger Federer, den Pokal in den Händen haltend, die Tribüne ab. Sein Blick schweifte vorbei an Kate und Pippa Middleton, den Beckhams und Sir Alex Ferguson. All jenen, die an diesem Tag Zeugen einer Sternstunde des Tennis wurden.

Bis er sie entdeckte. Charlene und Myla, gekleidet im Partnerlook, beide nicht viel größer als ein Tennisnetz. "Das war ein unglaublicher Moment in meiner Karriere und meinem Leben. Es war immer ein Traum, dass die Kinder dabei sind", so Federer.

Dass die Zwillinge die Möglichkeit bekamen, ihren Vater im Moment seines größten Erfolges zu erleben, mag den beiden noch nicht bewusst gewesen sein. Doch Federer wird sie in einigen Jahren sicherlich daran erinnern. An den Augenblick, als er erneut den Tennis-Thron bestieg.

Federers leiser Abstieg

Über zwei Jahre musste er darauf warten. Stimmen wurden gar laut, dass die jüngere Generation um Rafael Nadel und Novak Djokovic den einstigen Dominator längst überholt hätte. Selbst viele Experten hatten Federer bereits abgeschrieben. Kaum jemand traute dem Schweizer noch zu, Nadal oder Djokovic über drei Gewinnsätze zu besiegen.

Gründe für Federers leisen Abstieg waren schnell gefunden. Das Rad der Zeit nage an ihm, er verbringe nach der Geburt seiner Töchter viel Zeit mit der Familie. Selbst in Wimbledon zeigte Federer menschliche Züge und schied 2010 und 2011 bereits im Viertelfinale aus.

Doch Federer blieb zumindest äußerlich ruhig. Dass sich nach unzähligen Erfolgen der Fokus auf andere Lebensbereiche verschiebt und der Sport in den Hintergrund rückt, ist legitim und nur allzu verständlich. So richtig konnte er die Kritik der letzten Monate dennoch nie verstehen.

"Die Leute vergessen manchmal, dass ich jetzt zwei kleine Töchter habe. Natürlich verändert das alles. Man muss sein Leben neu ordnen. Und auch ich lerne immer noch aus meinen Fehlern."

Jordans weise Worte

Federers Aussage klingt weise und erinnert verdächtig an einen anderen großen Sportler. "I have missed more than 9000 shots in my career. I have lost almost 300 games. On 26 occasions I have been entrusted to take the game winning shot... and missed. And I have failed over and over and over again in my life. And that is why... I succeed."

Es sind die Worte von Michael Jordan, die auch am Sonntag durch Federers Kopf gegangen sein könnten. Insbesondere im ersten Satz, als der Schweizer ungewöhnlich nervös wirkte und zahlreiche vermeidbare Fehler produzierte.

Als Andy Murray im zweiten Durchgang beim Stand von 4:4 die Möglichkeit bekam, das entscheidende Break zu holen, schien das britische Märchen wahr zu werden. Doch Federer zog noch mal den Kopf aus der Schlinge.

Federer profitiert vom Regen

"Der Glaube daran, dass sich die Dinge wenden können, hat mir zum Sieg verholfen", so Federer. Es war einer von zwei entscheidenden Momenten auf dem Centre Court.

Der Zweite ereignete sich eine Viertelstunde später. Der Himmel öffnete seine Schleusen und hüllte die komplette Anlage in ein England-typisches Grau in Grau. Doch es war weniger die Pause, die das Momentum zugunsten von Federer kippen ließ.

Es waren die äußeren Umständen. Die Offiziellen ließen das Dach schließen und drückten damit dem besten Indoor-Spieler auf der Tour unabsichtlich das Zepter in die Hand. "Als das Dach geschlossen war, spielte er unglaubliches Tennis", stellte Murray anerkennend fest.

"Ich habe grandioses Tennis gespielt"

Als oben zu war, drehte Federer unten auf. Es war eine Demonstration, wie sie Wimbledon in seiner 126-jährigen Geschichte nur selten gesehen hat. Federer spielte nicht, er zelebrierte Rasen-Tennis in Perfektion.

Selbst der Schweizer, ansonsten ein Meister der Zurückhaltung, befand: "Ich habe grandioses Tennis gespielt."

Auf der anderen Seite tat Murray alles Menschenmögliche, um die drohende Niederlage aufzuhalten. Während vor dem Stadion tausende Fans auf Murray Mountain Wind und Wetter trotzten, warf der Schotte alles in die Waagschale.

Murray kämpft unermüdlich

Kein Zauberschlag Federers, kein Ausrutschen auf dem mitgenommenen Geläuf, keine vergebene Breakchance ließ Murray resignieren. Dass ausgerechnet ein Schotte die Herzen der englischen Tennis-Fans erobern konnte, ist dafür Beweis genug. Dass er im ersten Interview nach der bitteren Niederlage in Tränen ausgebrochen ist, macht ihn nur noch sympathischer.

Die englische Presse spricht gar vom "rührendsten Post-Match-Interview" aller Zeiten. Auch deswegen, weil er sich keineswegs als schlechter Verlierer zeigte, obwohl Murray auch in seinem vierten Grand-Slam-Finale den Platz als Verlierer verlassen musste.

"Ich dachte eigentlich, dass ich jetzt eine gute Chance gegen ihn habe, nachdem er 30 geworden ist. Aber er ist immer noch richtig gut", versuchte Murray die Niederlage mit Humor zu nehmen. Federer revanchierte sich kurze Zeit später: "Ich bin mir sicher, dass er eines Tages seinen ersten Grand Slam gewinnen wird."

Sampras nimmt es gelassen

Das hat der Schweizer schon längst hinter sich. Der Sieg 2012 war Grand-Slam-Titel Nummer 17. Mit mittlerweile sieben Wimbledon-Erfolgen egalisierte FedEx zudem die Rekordmarke von Pete Sampras. Außerdem beginnt er am Montag die 286. Woche an der Spitze der Weltrangliste. Auch in dieser Statistik holte er Pistol Pete ein.

Doch der Amerikaner nahm es sportlich. "Ich bin es gewohnt, dass Roger meine Rekorde bricht. Ich kann dagegen nichts machen", hatte Sampras bereits vor dem Endspiel gesagt. "Aber es ist leichter, wenn dir jemand die Rekorde abjagt, den du bewunderst und als Freund betrachtest."

Dass Federer mit diesen Leistungen seinen Ruf als bester Tennisspieler aller Zeiten weiter zementiert hat, muss kaum erwähnt werden. Boris Becker, der für die "BBC" vor Ort kommentierte, bezeichnete King Roger gar als "Zauberer des Centre Courts".

Auch Rod Laver, dem es in den 60er Jahren als bislang einzigem Spieler gelang, alle vier Grand Slams in einem Jahr zu gewinnen, hob Federers Leistungen hervor: "Wenn es überhaupt so etwas gibt, dann ist er der Beste aller Zeiten."

Olympia als großes Ziel

Noch ist Federers beispiellose Karriere aber nicht zu Ende. Wenn der Erfolg in Wimbledon eines bewiesen hat, dann, dass der Schweizer immer noch den nötigen Biss hat, über zwei Wochen Tennis auf höchstem Niveau abzuliefen.

Sein Sieg war ein Erfolg des Willens. Und eine Art Genugtuung. Gegenüber den Kritikern, aber auch für sich selbst. Und einen großen Traum hat selbst Federer noch übrig: "Jetzt ist Olympia das nächste Ziel."

Eine Einzelmedaille bei Olympia fehlt dem Schweizer noch. 2008 holte er immerhin Gold in der Doppelkonkurrenz. Das soll sich in diesem Jahr ändern. Und die Voraussetzungen scheinen wie gemalt: Schließlich findet das Olympische Tennisturnier in Wimbledon statt.

"In diesem Jahr will ich noch einmal zurückkommen", sagte Federer am Sonntagabend. Seine Zwillinge hätten gegen eine weitere Sternstunde sicherlich wenig einzuwenden.

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