Warum Murrays Tag kommen wird

Von Florian Regelmann
Andy Murray wartet weiter auf seinen ersten Grand-Slam-Titel
© Getty

Am Montag beginnt in London wieder Wimbledon. Und wie jedes Jahr liegt die geballte britische Last auf den Schultern von Andy Murray. Schafft es der Schotte in seiner Karriere noch, der erste britische Grand-Slam-Champion seit Fred Perry 1936 zu werden? SPOX-Redakteur Florian Regelmann sagt mit Nachdruck: ja! Außerdem: die Nummer-eins-Szenarien für die Big Three.

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Sind es jetzt die Big Three im Herren-Tennis? Oder doch die Big Four? Es sind zwar schon in gewisser Weise die großen Vier, weil Andy Murray so weit über allen steht, die danach kommen.

Aber gleichzeitig sind es im Endeffekt trotzdem nur die großen Drei: Novak Djokovic, Rafael Nadal, Roger Federer.

Es ist eine frustrierende Situation für Murray. Es ist, als würden Djokovic, Nadal und Federer eine Party veranstalten, Murray steht an der Tür, klopft an, kommt bis zur Schwelle, bekommt aber dann doch immer wieder die Tür vor dem Gesicht zugeknallt. Ganz nach dem Motto: Du kommst hier nicht rein.

Murrays Problem: Die unfassbare Tennis-Ära

Murray weiß selbst am besten, dass einzig und allein Grand-Slam-Titel darüber entscheiden, ob du zu den ganz Großen gehörst oder nicht. Sein Pech: Er lebt in der vielleicht unfassbarsten Tennis-Ära überhaupt.

Von den letzten 32 Majors gingen 30 (!) auf das Konto der Federer-Nadal-Djokovic-Bande. 14 Federer, 11 Nadal, 5 Djokovic. Nur Juan Martin Del Potro (2009 US Open) und Marat Safin (Australian Open 2005) haben sich in den letzten acht Jahren fast schon auf wundersame Art und Weise dazwischen gedrängelt.

Man vergleiche es mit dem Golfsport, wo die 15 letzten Majors von 15 unterschiedlichen Spielern gewonnen wurden. Kurzum: In jeder anderen Generation hätte Murray im jetzigen Stadium seiner Karriere nicht einen, er hätte mehrere Grand-Slam-Titel auf seinem Konto.

Agassi: "... dann hätte ich weniger Slams gewonnen"

Oder wie es Andre Agassi jetzt sagte: "Wäre Murray in meiner Generation gewesen, hätte ich weniger Slams gewonnen."

Agassi könnte ein gutes Vorbild für Murray sein. Agassi verlor seine ersten drei Grand-Slam-Endspiele, ehe er 1992 in Wimbledon Goran Ivanisevic besiegte und den Durchbruch schaffte. Auch Murray hat seine drei ersten Grand-Slam-Endspiele verloren.

Über Murrays spielerisches Potenzial sollte es keine Zweifel geben. Wenn Murray sein bestes Tennis spielt, gibt es abgesehen von Federer nichts Genialeres, nichts Variantenreicheres, nichts Eleganteres auf der Tour.

Die Sache mit den Verletzungen: Taktik?

Ob viele Murray den großen Wurf gönnen würden, steht auf einem anderen Blatt Papier. Murrays Hang zum Jähzorn ist allseits bekannt, sein Gemotze auf dem Court in der Form beispiellos. Aber: Jeder, der eine ähnliche Persönlichkeitsstruktur hat, wird Murray verstehen können. Es ist seine Art. Ganz einfach.

Nach den French Open kam zudem Kritik auf, Murray würde Verletzungen vorspielen. "Manchmal sieht es so aus, als ob er sich kaum bewegen könnte. Dann kommt der Physio und er bewegt sich wie eine Katze. Jeder weiß es. Darüber wird auch in der Umkleide geredet", wurde Murray von Tommy Haas angegriffen.

Dass Murray seit längerer Zeit de facto unter Rückenproblemen leidet und Kortisonspritzen bekommen hat, interessiert anscheinend nicht alle. Es ist ein völlig abwegiger Vorwurf - Nadal beispielsweise kam seinem Kumpel Murray schon zur Hilfe und verteidigte ihn.

Murray ist ein feiner Kerl

Dass Nadal und Djokovic, die in der breiten Öffentlichkeit wohl jeder als extrem sympathisch einschätzen würde, mit Murray befreundet sind, sollte Indiz genug dafür sein, dass dieser Andy Murray abseits des Courts ein feiner Kerl ist. Djokovic und Murray kennen sich, seit sie elf Jahre alt sind. Das erste Match: 6:0, 6:1 für Murray. Danach war abwechselnd immer der Eine und dann wieder der Andere der Bessere.

Murray ist - wie jeder andere - sicher nicht auf dem Level von Federer. Der große Schweizer spielt in der Kombination aus Tennisspieler und Mensch in seiner ganz eigenen Liga. Wer verstehen will, wie groß dieser Roger Federer ist, dem sei das YouTube-Video ans Herz gelegt, das ihn bei seiner Medien-Arbeit nach einem Match zeigt. "Entschuldigung, dass ich dich habe so lange warten lassen", lautet beispielsweise eine Begrüßung Federers an einen Journalisten.

Nein, Rog ist Rog. Aber wer Murray kennenlernt, der lernt einen sehr freundlichen, nahbaren und humorvollen Mann kennen. Einen, der auch was zu sagen hat. In einem sehr offenen Interview mit der "Daily Mail" sprach Murray in diesem Jahr über eine harte Zeit 2011.

Tipps von David Haye

"Nach Miami war ich total am Boden. Ich saß in meinem Hotel-Zimmer und habe geweint. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Du denkst Dir: 'Warum spiele ich, nachdem ich das beste Tennis meines Lebens gespielt habe, jetzt plötzlich mein schlechtestes Tennis?'", beschrieb Murray.

Dass er sich dann aus diesem Tief schnell herausgezogen hat, lag auch an der Hilfe eines anderen großen Sportlers.

"Ich habe in Miami ein bisschen Zeit mit David Haye verbracht, das hat mir eine Menge geholfen. Ich liebe das Boxen. Mir gefällt es, wie wichtig die Physis in diesem Sport ist. Ich bin ins Gym gegangen, um ihnen beim Training zuzuschauen. Um zu sehen, wie hart sie arbeiten. Ihre Mentalität zu spüren, überzeugt zu sein, der Beste zu sein und zu gewinnen, das hat mir definitiv viel gebracht", so Murray.

Und jetzt kommt Murray mit seinen 22-Karriere-Titeln, drei Grand-Slam-Finals und sechs weiteren Grand-Slam-Halbfinals wieder nach Wimbledon. Englands Liebling Tim Henman stand einst viermal im Wimbledon-Halbfinale - Schotte Murray stand bei seinen letzten drei Teilnahmen in der Runde der letzten Vier, zweimal zog er gegen Nadal den Kürzeren, 2009 wurde er von Andy Roddick gestoppt.

Djokovic dient als Vorbild

Ob es dieses Mal für mehr reicht? Die Schlüssel sind wie immer die gleichen auf Rasen: Aufschlag und Return sind die beiden wichtigsten Schläge.

Dass Murray in Queen's früh ausschied, was gegen Nicolas Mahut im Übrigen entgegen der allgemeinen Meinung durchaus mal passieren kann auf Rasen, muss kein Nachteil sein. Murray hatte sogar so mehr Vorbereitungs-Zeit auf Rasen, als wenn er in Queen's weit gekommen wäre.

Eines ist unabhängig vom Wimbledon-Ausgang 2012 klar: Die einzige Chance, dass Murray in seiner Karriere ohne Grand-Slam-Titel bleibt, würde es nur dann geben, wenn es ihm nicht genug bedeuten würde. Wenn er auch so zufrieden wäre mit seiner schönen Karriere. Das ist er aber überhaupt nicht.

Murray tut alles für einen Grand-Slam-Titel. Murray ist tough. Murray ist erst 25 geworden im Mai. Und noch was: Djokovic war vier oder fünf Jahre lang die Nummer drei oder vier, bis er den entscheidenden Sprung an die Spitze machte. Murray ist jetzt auch vier, fünf Jahre die Nummer drei oder vier. Es dauert manchmal eine gewisse Zeit. Und deshalb wird Murrays großer Tag auch kommen.

Der Stand in der ATP-Weltrangliste

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