Eine historische Chance für "Super Sab"

Von Philipp Dornhegge
Die Briten lieben Sabine Lisicki, und Sabine Lisicki liebt Wimbledon und den Centre Court
© Getty

Nach dem Viertelfinale ist vor dem Halbfinale: Nur zwei Tage nach ihrem famosen Sieg über Marion Bartoli betritt Sabine Lisicki am Donnerstag erneut den Centre Court. Nach zwölf Jahren steht wieder eine deutsche Spielerin unter den letzten Vier in Wimbledon! Dort kommt es zum Duell mit Superstar Maria Scharapowa. Die Russin ist Favoritin, doch Lisicki hat einige Asse im Ärmel. Los geht's um 14 Uhr mit der Partie Victoria Azarenka gegen Petra Kvitova, anschließend ist Lisicki dran (ab ca. 15.30 Uhr im LIVE-TICKER).

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Es gab eine Zeit, da hätte Sabine Lisicki jeden Tag vor Enttäuschung und Wut heulen können. Im Frühjahr 2010 war das, als sie sich am Knöchel verletzte und aufgrund einer Fehldiagnose nicht ein paar Wochen, sondern gleich satte fünf Monate aussetzen musste.

"Ich musste nach sieben Wochen an Krücken wirklich von Null anfangen", sagt Lisicki selbst. Im linken Bein habe sie praktisch keine Muskeln mehr gehabt. Die Verletzung war umso bitterer, als sie zu diesem Zeitpunkt einer der Shooting-Stars der Szene war.

Mit ihrem Viertelfinaleinzug in Wimbledon 2009 hatte sie erstmals für Aufsehen gesorgt, ein Turniersieg in Charleston stand bereits zu Buche. Und dann das.

Lisicki rutschte wegen der langen Wettkampfpause bis auf Rang 218 der Welt ab, noch bei den French Open in diesem Frühjahr erlitt sie aufgrund mangelnder Fitness und einer zu spät erkannten Allergie einen Schwächeanfall.

"Ich wusste, dass ich zurückkomme"

Doch keine zwei Wochen später war sie wieder da. Mit ihrem überraschenden Sieg in Birmingham ließ Lisicki aufhorchen, die Turnierdirektoren von Wimbledon gaben ihr eine Wildcard für das dritte Grand-Slam-Turnier des Jahres. "Eine gute Entscheidung", wie die Deutsche selbst verschmitzt sagt.

Keine Frage, Lisicki hat das Lachen wieder entdeckt. Erfolge über Spielerinnen wie Na Li oder Marion Bartoli können diesen Effekt schon mal haben. "Ich habe immer gewusst, dass ich zurückkomme. Und ich bin noch stärker zurückgekommen", betont die Fed-Cup-Spielerin.

Am Donnerstag will Sabine Lisicki gegen Maria Scharapowa die nächste dicke Überraschung schaffen. Freilich ist die Russin aufgrund ihrer Erfahrung von drei Grand-Slam-Siegen die Favoritin.

Lisickis Trümpfe: Aufschlag und Kreativität

Doch Lisicki hat gleich mehrere Asse im Ärmel: Zum einen wäre da ihr überragender Aufschlag, den nicht wenige Experten als den derzeit besten der Damentour bezeichnen. Geschwindigkeiten von bis zu 200 km/h stellen kein Problem für die Berlinerin dar. Mit bislang 44 Assen ist sie klar die beste der verbliebenen Spielerinnen.

Dann wäre da ihr Spielwitz: Mit ihren 21 Jahren ist Lisicki sicher keine neue Justine Henin, die technisch und taktisch alles drauf hat. Noch weniger aber ist sie eine Maria Scharapowa, die ihre Gegnerinnen fast nur mit Powertennis dominiert.

Lisicki ist vielmehr eine, die zumindest versucht, den Rhythmus ihrer Gegnerin mit Variantenreichtum zu stören. Dabei kommt - wie gegen Bartoli - schon mal der eine oder andere Stop heraus, der eher wie ein Lob aussieht, oder ein Lob, der kaum die T-Linie erreicht.

Aber das ist im Großen und Ganzen nicht entscheidend. Wichtig ist, dass sie es zumindest versucht - und damit genau das liefert, was seit jeher gegen Scharapowa funktioniert.

Gefragt: Nervenstärke und Präzision

Auf einen Schlagabtausch an der Grundlinie muss man sich mit der Wimbledon-Siegerin von 2004 nicht einlassen, den verliert man mit großer Wahrscheinlichkeit. Aber wer die 24-Jährige laufen lässt und sie mit gutem Winkelspiel in die Ecken treibt, der hat Siegchancen.

Entscheidend wird sein, dass Lisicki ihre Nerven im Griff hat und ihre Schläge konstant ins Feld bringt. Beide Faktoren waren in der Endphase von Satz zwei gegen Bartoli nicht gegeben und verhinderten ein glattes Ergebnis.

Auf die Zuneigung der Fans kann sich die Deutsche trotzdem verlassen. Aufgrund der zuweilen unterkühlten Art haben die Engländer trotz 2004 nie eine innige Beziehung zu Maria Scharapowa aufgebaut.

Alle wollen Lisicki siegen sehen

Lisicki dagegen wird gefeiert wie eine der ihren. Die Begeisterung, mit der sie über den heiligen Rasen von Wimbledon spricht, kommt an. Genau wie ihre ehrliche und fast kindliche Freude über jeden Sieg.

Längst haben die britischen Medien sie mit Spitznamen wie "Doris Becker" oder "Super Sab" belegt, der "Daily Mirror" ernannte sie zur "Britin ehrenhalber". Praktisch alle gönnen ihr den Sieg über die als arrogant wahrgenommene Scharapowa.

Schon oft haben Außenseiterinnen in Wimbledon überrascht. Ganze elf Mal stand eine Wildcard-Spielerin im Halbfinale. Ins Finale hat es jedoch noch keine geschafft. Gelingt Sabine Lisicki dieser Coup, werden wie 2010 Tränen fließen. Nur werden es diesmal keine Tränen der Trauer sein.

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