Raonic: "Wie ein Lottogewinn"

Von Florian Regelmann
Shootingstar Milos Raonic hat in dieser Saison schon 438 Asse geschlagen
© Getty

Im Schatten von Novak Djokovics Monster-Serie ist der Kanadier Milos Raonic zum Shootingstar der Tennis-Saison 2011 aufgestiegen. SPOX-Redakteur Florian Regelmann sprach mit dem 20-Jährigen. Über seinen rasanten Aufstieg, über seine Gewaltaufschläge und sein mangelndes Eishockey-Talent.

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Gestatten, MIL-osh Rau-nitch. 20 Jahre alt. Der absolute Senkrechtstarter der Saison. Anfang des Jahres noch die Nummer 156 der Welt, jetzt die Nummer 28. Und: Kanadier! Wie bitte? Es steht ein Grand-Slam-Turnier an und ein kanadischer Tennisspieler ist gesetzt?

Es hört sich seltsam an - und es ist auch seltsam -, aber Milos Raonic gehört zu den besten 32 Herren, wenn die French Open am Sonntag in Roland Garros starten. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass Kanada so richtig auf der Tennis-Landkarte auftaucht.

Warum nicht Eishockey?

Wir erinnern uns: Greg Rusedski ist zwar in Kanada geboren, spielte aber später für Großbritannien. Im Falle von Raonic ist es genau umgekehrt. Der 1,96-Meter-Riese erblickte im montenegrinischen Podgorica das Licht der Welt, aber schon im Alter von drei Jahren zog es ihn mit seiner Familie nach Ontario.

Genau an dieser Stelle stellt sich aber jetzt eine Frage: Wenn ein kleiner Junge mit drei Jahren nach Kanada kommt, bekommt er dann nicht noch am Flughafen Schlittschuhe und einen Eishockey-Schläger in die Hand gedrückt? Gerüchten zufolge kommen Babys in Kanada ja mit Schlittschuhen auf die Welt.

"Das Problem mit meinen Eishockey-Fähigkeiten ist, dass ich nie Eishockey gespielt habe. Ich weiß, dass sich das komisch anhört für einen Kanadier, aber ich habe nur mal Rollhockey ausprobiert. Mit der Eishockey-Tradition bin ich nie in Berührung gekommen", sagt Raonic im Gespräch mit SPOX.

Keine großen Junioren-Erfolge

Also keine Karriere im Trikot der Toronto Maple Leafs oder Montreal Canadiens. Dafür verliebte sich Raonic in die gelbe Filzkugel und machte sich auf den langen, steinigen Weg zu einer Profi-Karriere. Sponsoren? Fehlanzeige. Stattdessen karrte sein Vater Dusan morgens um 6.30 Uhr die Ball-Maschine auf den Platz, oder ganz spät am Abend, weil die Plätze zu diesem Zeitpunkt günstiger waren.

Raonic hatte wie jeder Weltklasse-Sportler schon von klein auf die Arbeitseinstellung und Besessenheit, die unbedingt vonnöten ist. Morgens vor der Schule trainieren, abends bis zur Dunkelheit trainieren - Raonic machte alles.

Die ganz großen Junioren-Erfolge blieben aber zunächst dennoch aus. Erst in seinem letzten Jahr qualifizierte sich Raonic für ein Junioren-Grand-Slam-Turnier. Bei drei Grand-Slams gewann er gerade mal ein Match.

Er hätte damals gegen "jeden" verloren, sagt Gastao Elias, einer seiner Weggefährten in der Jugend. So krass war es dann sicher auch nicht, aber Raonic war körperlich einfach noch nicht ausgereift. Seine Bewegungen waren unnatürlich, es war noch extrem unkoordiniert, wenn er mit seinen riesigen Füßen über den Platz tappte.

Durchbruch bei den Aussie Open

Dass er außerdem auch noch dazu neigte, ein Hitzkopf zu sein, war nicht eben hilfreich. Erst 2010 qualifizierte sich Raonic bei den US Open für sein erstes Grand-Slam-Turnier, schied aber in der ersten Runde sofort aus. Gegen Carsten Ball. Wer kennt ihn nicht.

Nein, es war bei den Australian Open 2011, als Raonic zum ersten Mal so richtig aufhorchen ließ. Er marschierte durch die Quali und besiegte danach Björn Phau, Michael Llodra und Top-10-Spieler Mikhail Youzhny, bevor im Achtelfinale gegen David Ferrer Endstation war. Ein zukünftiger Superstar war dennoch geboren.

Es folgten zwei überragende Wochen mit seinem ersten Turniersieg in San Jose und einer Final-Teilnahme in Memphis - und schon hatte er sich in der Weltrangliste um über 100 Plätze nach vorne katapultiert. In nur einem Monat.

"Es ist ein gewaltiger Unterschied, wenn man sieht, wo ich jetzt stehe und wo ich Anfang des Jahres stand. Ich bin stolz darauf, aber ich hatte noch gar keine Zeit, das alles zu verarbeiten. Ich versuche, das Momentum beizubehalten. Jede Woche will ich noch besser sein. Und dann noch besser", erklärt Raonic.

Auch in Paris nicht zu unterschätzen

In der Sandplatzsaison hat er zwar bislang noch keine herausragenden Ergebnisse eingefahren, aber Raonic - auch wenn Hartplatz ohne Frage sein bester Belag ist - hat durchaus die Anlagen, um auf Asche zu glänzen. Gerade in Paris, wo die Bedingungen naturgemäß schnell sind, sollte man ihn auf keinen Fall unterschätzen.

Zumal er mit dem spanischen Ex-Profi Galo Blanco, seines Zeichens immerhin mal French-Open-Viertelfinalist, einen Coach hat, der sein Leben auf den Sandplätzen dieser Welt verbracht hat. Wenn Raonic so aufschlägt, wie er meistens aufschlägt, dann steht er in einer Reihe mit Kanonieren wie Ivo Karlovic, John Isner oder Andy Roddick.

Diese Jungs sollten mit ihren Serves, die jeder Gegner gerne gesetzlich verbieten lassen würde, mal einen Fastest-Serve-Contest veranstalten.

"Ich denke gar nicht so viel über die Geschwindigkeit meines Aufschlags nach", schmunzelt Raonic. "Mir ist es wichtiger, dass mein Aufschlag effektiv ist. Aber es ist schon ein schönes Gefühl, durch seinen Aufschlag so viele freie Punkte zu bekommen. Ich bin mir nicht sicher, mit was man das Gefühl eines Aufschlag-Winners vergleichen kann. Vielleicht ist es ein bisschen wie ein Lottogewinn. Man bekommt etwas ganz umsonst."

Ein Aufschlag wie ein Baseball-Pitch

438 Mal hat Raonic in dieser Saison schon einen Punkt ganz umsonst bekommen. Das ist nämlich die Zahl seiner Asse. Karlovic (357) folgt mit riesigem Abstand auf Rang zwei. Wichtig dabei: Der flache Aufschlag ist mitnichten seine beste Variante.

Raonics größte Aufschlag-Waffe, in die er auch das meiste Vertrauen hat, ist der Slice. Ein Slice-Aufschlag, der wegen seines Movements schon mit dem Cutter von MLB-Superstar-Pitcher Roy Halladay verglichen wurde. Raonics Aufschlag-Bewegung ist vor allem beeindruckend flüssig.

Dass sein Service zu einem der dominantesten auf der Tour geworden ist, kommt nicht von ungefähr. Casey Curtis, der Raonic acht Jahre in der Jugend trainierte, erklärt es: "Der Aufschlag ist der wichtigste Schlag im Tennis. Man investiert ohnehin sehr viel Zeit in das Service-Training, aber wir haben damals noch viel mehr Zeit damit verbracht. Wir wussten ja, wie groß Milos mal werden würde."

Diese Arbeit hat sich jetzt schon ausgezahlt. Raonic ist die Nummer 28 der Welt. Wetten, dass hier noch lange nicht Schluss ist?

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