Das Gegenteil von Marat Safin

Von Petra Philippsen
Nikolai Dawydenko ist momentan Sechster der Weltrangliste
© Getty

Fragt man nach den Favoriten für die am Montag beginnenden Australian Open, dann tauchen nicht nur die üblichen Namen Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic, Juan Martin Del Potro oder Andy Murray auf. Ein ganz heißer Kandidat auf den Titel ist nach den Eindrücken der letzten Wochen und Monate der Russe Nikolai Dawydenko. Ihn fürchten alle - nur beachten tut ihn abseits des Platzes kaum jemand.

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Viel hat sich für Nikolai Dawydenko nicht verändert. Wenn der Russe über den Melbourne Park zu seinem Trainingsplatz läuft, gibt es keine Autogrammjäger, die ihn dabei aufhalten. Zuschauen will ihm beim Training auch eigentlich niemand, er ist völlig ungestört. Das ist nie anders gewesen.

Seit fünf Jahren steht der 28-Jährige immer in den Top Ten, war schon einmal die Nummer drei. Doch selbst bei den Grand Slams wird er in den ersten Runden stets auf abgelegene Nebenplätze verfrachtet. Keine Fans, keine Lobby. In Melbourne hätte man etwas anderes erwartet. Doch es hat sich wohl noch nicht bis ans andere Ende der Welt herumgesprochen, dass dieser Nikolai Dawydenko der Spieler der Stunde ist - vielleicht sogar der Top-Favorit auf den Titel bei den Australian Open.

"Ich habe kein einziges Autogramm geschrieben"

Dawydenko selbst überrascht es nicht mehr, auch wenn ihn die mangelnde Unterstützung der Fans mittlerweile kränkt. "Während der Final-Woche in London habe ich nicht ein einziges Autogramm geschrieben", sagte Dawydenko enttäuscht.

Dabei hatte er dort nacheinander Rafael Nadal und Roger Federer bezwungen, letzteren überhaupt zum ersten Mal nach zwölf vergeblichen Anläufen. Nur vier Spieler konnten diesen "Doppelsieg" bisher überhaupt verbuchen. Dass es Dawydenko dann auch noch zum Champion bei der WM der besten acht Profis brachte, wurde zum echten Befreiungsschlag. Keinem seiner Landsleute war das je vor ihm gelungen, keinem Jewgeni Kafelnikow und keinem Marat Safin.

Die tiefe Genugtuung, die er fühlte, konnte man Dawydenko ansehen, wie auch die fast kindliche Freude über den warmen Applaus der 17.500 Zuschauer in der Londoner 02-Arena. "Für mich war dieser Titel so wichtig", sagte Dawydenko, "nicht nur, weil ich gezeigt habe, dass ich jeden schlagen kann. Sondern zuhause in Russland jubeln alle immer nur für Safin. Vielleicht mögen sie mich ja jetzt doch ein bisschen."

Vorwurf des Wettbetrugs

Endlich hatte Dawydenko allen bewiesen, dass auch er einen großen Titel erringen kann. War er doch so oft knapp daran gescheitert. Aber mehr noch hatte es Dawydenko all jenen gezeigt, die in ihm in den vergangenen zwei Jahren nicht mehr als einen miesen Wettbetrüger gesehen hatten.

"Das war eine sehr schwere Zeit für mich", sagte Dawydenko, "bei jedem Turnier, das ich auf der Welt spielte, war es schrecklich. Von den Fans und von der Presse wurde ich immer schief angeguckt. Ich hätte am liebsten aufgehört."

Dass Dawydenko den Ausgang von Spielen manipuliert hat und danach an Wetteinnahmen beteiligt wurde, konnte ihm jedoch nie nachgewiesen werden. Die Spieler- und Turniervereinigung ATP pflichtete erst sehr spät dieser Ansicht bei, Dawydenkos Ruf hatte massiv gelitten und ist immer noch beschmutzt. "Meine russische Mentalität ist sehr stark", sagte er darauf, wie er die dauernden Verdächtigungen überhaupt ertragen habe. Seine Familie hätte stets an ihn geglaubt.

Dawydenko: "Ich bin nicht Marat Safin"

Das Publikum hatte jedoch immer seine liebe Mühe, mit dem Spieler Dawydenko richtig warm zu werden. Zu emotionslos, zu glatt präsentierte er sich auf dem Platz. Der drahtige, blonde Russe, der aufgrund seiner unnachgiebigen Spielart "Ballmaschine" genannt wird, hatte es ohnehin immer schwer, sich ein positives Image aufzubauen oder überhaupt wahrgenommen zu werden. Er ist der am schlechtesten vermarktete Akteur aus den Top 20, verfügt nicht einmal über einen Ausrüster- oder Schlägervertrag.

Wie sollten die Zuschauer auch ahnen, dass Dawydenko abseits des Spielfeldes über einen ausgesprochen trockenen Humor verfügt. Zum Beispiel konterte er die indiskrete Frage, ob er die Nacht vor seinem Federer-Sieg alleine verbracht hätte, kess: "Denkt ihr etwa, mit drei oder vier Frauen? Ich bin verheiratet - und ich bin nicht Marat Safin."

Ein Marat Safin ist er wirklich nicht. Sein Privatleben ist geordnet, dafür war Dawydenko noch nicht die Nummer eins der Welt oder hat ein Grand-Slam-Turnier gewonnen.

Mögliches Viertelfinale gegen Federer

Letzteres könnte sich in zwei Wochen vielleicht ändern. Denn nach seinem Sieg in Doha hat er untermauert, dass London kein einmaliger Ausrutscher war und er nicht nur von der Müdigkeit mancher Gegner profitiert hatte. Denn auch im Wüstenstaat düpierte Dawydenko Federer und Nadal. Selbst ein 0:6 im ersten Satz konnte ihn im Finale gegen den spanischen Matador nicht stoppen.

"Ich habe jetzt so viel Selbstvertrauen. Ich fühle, dass ich in Melbourne richtig gut spielen kann. Ich will endlich wissen, wie sich ein Grand-Slam-Sieg anfühlt", sagte Dawydenko, der seit neun Matches ungeschlagen ist. Im Viertelfinale würde Roger Federer warten. Der Weltranglistenerste wird nicht erfreut sein. Denn er hat Dawydenko nie unterschätzt.

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