Als Johnny Mac vom Platz flog...

Von Florian Regelmann
Ein unvergessener Eklat: John McEnroe bei den Australian Open 1990
© Getty

In Melbourne steht das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres an. SPOX-Redakteur Florian Regelmann stellt seine persönliche Liste der zehn legendärsten Matches der Australian Open auf.

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10. Guillermo Canas vs. Tim Henman 6:7, 5:7, 7:6, 7:5, 9:7 - Australian Open 2004

Jeder, der mal kompetitiv Tennis gespielt hat, weiß es: Es gibt Gegner, gegen die du ums Verrecken nicht gewinnen kannst. Wenn du diesen Namen nach der Auslosung allein in der Nähe deines Namens siehst, beginnt schon das große Fluchen.

Für Tim Henman war Guillermo Canas so ein Angstgegner. 2004 führte der Engländer in der dritten Runde schon mit 2:0-Sätzen gegen die argentinische Ballwand. Im fünften Satz lag Henman dann auch noch mit 4:1 vorne, beim Stand von 7:6 und 30:0 fehlten ihm gar nur zwei Punkte zum Match - aber Canas befreite sich unter anderem mit einem genialen Lob.

Henman gab mit einem Doppelfehler seinen Aufschlag ab, konnte danach zwar noch zwei Matchbälle mit Henman'schem Angriffstennis abwehren, aber dann war es ein Passierball, der Canas den Sieg brachte. Nach 4 Stunden und 51 Minuten. 2001 hatte Henman übrigens schon mal bei einer Grand-Slam-Schlacht gegen Canas den Kürzeren gezogen. In Paris unterlag der Brite mit 5:7 im fünften Satz. Es gibt Gegner auf der Welt, die willst du verdammt noch mal nicht sehen.

9. Jennifer Capriati vs. Martina Hingis 4:6, 7:6, 6:2 - Australian Open 2002

Das einzige Damen-Match, das es in die Top 10 geschafft hat. Warum? Weil es ein unglaublicher Comeback-Sieg einer unglaublichen Comebackerin war. Jennifer Capriati hatte mit 13 den Juniorinnen-Bewerb bei den French Open gewonnen, mit 16 hatte sie bei den Olympischen Spielen in Barcelona durch einen Sieg gegen Steffi Graf Gold geholt.

Danach folgte ein unvergleichlicher Absturz (Ladendiebstahl, Drogen, Knast) - zwischen 1993 und 1998 gewann sie kein einziges Match bei einem Grand-Slam-Turnier. Aber sie gab nicht auf und hatte am Ende drei Major-Siege auf ihrem Konto.

Ihren letzten feierte sie 2002, als sie im Finale gegen Martina Hingis schon aussichtslos mit 4:6 und 0:4 zurücklag, aber vier Matchbälle abwehrte und das Match tatsächlich drehte.

8. Roger Federer vs. Janko Tipsarevic 6:7, 7:6, 5:7, 6:1, 10:8 - Australian Open 2008

Ein Match, das viele sicher nicht mehr im Kopf haben. Eigentlich sollte es auch nicht mehr sein als ein normales "Federer-locker-in-drei-Drittrunden-Match", aber dann sahen die Fans in der Rod Laver Arena einen echten Thriller in der Day-Session.

Tipsarevic, der zu diesem Zeitpunkt die Nummer 49 der Welt war, zeigte eindrucksvoll, dass er vom Talent her viel weiter vorne stehen müsste. Der Mann mit der Sonnenbrille schnupperte intensiv an der großen Sensation, wobei man auch sagen muss, dass Federer damals in Folge seiner Erkrankung (Pfeiffersches Drüsenfieber) nicht auf der Höhe und das Match nicht immer hochklassig war.

Aber dafür war es umso dramatischer. Bis zum 8:8 im fünften Satz blieb der Serbe dran, dann machte Federer doch den Sack zu. "Es ist schade, dass immer jemand gewinnen muss. Manchmal würde ich mir ein Unentschieden wünschen. Wegen solchen Matches bekommst du früh graue Haare", meinte Federer.

7. Rafael Nadal vs. Fernando Verdasco 6:7, 6:4, 7:6, 6:7, 6:4  - Australian Open 2009

Ein brutales, unmenschliches Match zweier Tennis-Maschinen. Kaum einer hatte Verdasco im Halbfinale gegen Nadal etwas zugetraut. Klar, er hatte davor Andy Murray und Jo-Wilfried Tsonga aus dem Turnier geworfen, aber gegen Nadal würde er keine Chance haben. In sechs Begegnungen mit Rafa hatte er schließlich gerade mal ein mickriges Sätzchen gewonnen. Also bitte, was soll hier schon spannend werden?

Aber dann zimmerte Verdasco die Kugel derart überragend ins Feld und schlug derart überragend auf, dass Nadal alle seine Defensiv-Qualitäten benötigte, um im Spiel zu bleiben. Ein spektakulärer Ballwechsel reihte sich phasenweise an den anderen. So machte Nadal einmal auf dem Boden liegend noch den Punkt.

Das Ende war dann leider genau so, wie es manchmal im Tennis passiert. Nach 5 Stunden und 14 Minuten hochklassigem Tennis beendete Verdasco das Match ausgerechnet mit einer Doublette. Finale Statistik: Nadal 193 Punkte. Verdasco 192 Punkte.

6. Andre Agassi vs. Pete Sampras 6:4, 3:6, 6:7, 7:6, 6:1 - Australian Open 2000

Pete vs. Andre. Muss man mehr sagen? Es war ohne Zweifel eines der besten Matches, das sich der beste Aufschläger und der beste Return-Spieler aller Zeiten geliefert haben. Punch, Counterpunch - so ging es das gesamte Spiel.

Im Tiebreak des dritten Satzes verpasste Pistol Pete, der insgesamt 37 Asse schlug, Agassi trotz dessen Return-Qualitäten einen 7:0-Shutout, im Tiebreak des vierten Satzes rettete sich Agassi mit irren Schlägen in den fünften Satz. Die Atmosphäre ähnelte der eines Rock-Konzerts, die Fans waren völlig begeistert ob des historischen Duells, das sie miterleben durften.

Im fünften Satz wurde der Frust bei Sampras dann immer größer. Nach einem leichten Fehler schrie er - völlig uncharakteristisch für ihn - in die Richtung von Agassis Coach Brad Gilbert, der den Fehler lautstark bejubelt hatte. Es ging nicht mehr viel zusammen bei Sampras, Agassi hatte Oberwasser bekommen, spielte jetzt das beste Tennis seines Lebens und servierte das Match locker nach Hause. Im Finale setzte sich Agassi dann gegen Jewgeni Kafelnikow durch.

5. Rafael Nadal vs. Roger Federer 7:5, 3:6, 7:6, 3:6, 6:2 - Australian Open 2009

Es kommt nicht an ihr berühmtes Wimbledon-Finale heran - dieses war einfach das beste Tennis-Match, das die Welt je gesehen hat - , aber auch dieses Match war ein absoluter Klassiker zwischen den zwei besten Tennisspielern ihrer Ära.

Einen Tag nach einem unsäglichen Damen-Finale zwischen Serena Williams und Dinara Safina kamen die Zuschauer voll auf ihre Kosten. Federer kämpfte sich nach Satzrückstand immer wieder zurück, aber im fünften Satz hatte er auf Nadals Power keine Antwort mehr.

Unvergessen sind Federers herzzerreißende Tränen bei der Siegerehrung. Nach seiner fünften Niederlage in Serie gegen Nadal war für jeden offensichtlich, dass ihm der Spanier im Kopf sitzt. Man musste sich fragen, ob er ihn jemals wieder bezwingen würde und ob er den Slam-Rekord von Pete Sampras noch brechen würde? Die Antworten hat er gegeben.

4. Mikael Pernfors vs. John McEnroe 1:6, 6:4, 5:7, 4:2 (Disqualifikation McEnroe) Australian Open 1990

John Patrick McEnroe, Jr., geboren am 16. Februar 1959 in Wiesbaden. Oder einfach nur Johnny Mac, der genialste Tennisspieler aller Zeiten. Wer McEnroe nicht liebt, mit dem kann etwas nicht stimmen. Seine Wutausbrüche und Schimpftiraden sind legendär - und einmal sollte es in der vierten Runde der Australian Open zum großen Eklat kommen.

McEnroe war bereits einmal verwarnt worden, weil er eine Linienrichterin verbal eingeschüchtert hatte, und er war bereits mit einem Punktabzug belegt worden, weil er seinen Schläger zersmasht hatte. McEnroe dachte, dass er noch einen Wutanfall "frei" hätte (einen Spielabzug), aber er dachte falsch. Es gab seit kurzer Zeit neue Regeln.

Nachdem McEnroe Supervisor Ken Farrar übelst beschimpft hatte ("Just go f... your mother"), blieb dem britischen Schiedsrichter Gerry Armstrong gar nichts anderes übrig, als McEnroe zu disqualifizieren: "Verbal abuse, audible obscenity, Mr McEnroe. Default. Game, set and match, Pernfors." Inzwischen spielt McEnroe auf der Senioren-Tour. Selbstverständlich ist er auch da schon vom Court geflogen.

3. Boris Becker vs. Omar Camporese 7:6, 7:6, 0:6, 4:6, 14:12 - Australian Open 1991

Eines der toughsten Matches in der Karriere des Boris B. aus L. - nach einer hart erkämpften 2:0-Satzführung kam dieser relativ unbekannte Italiener (Nr. 45 der Welt) plötzlich wieder zurück ins Spiel und zwang den an Nummer zwei gesetzten Deutschen in einen Entscheidungssatz.

Beim Stand von 10:11 und 0:40 wehrte Camporese drei Matchbälle ab, aber kurze Zeit später war es dann doch um ihn geschehen. Mit seinem neunten Ass beendete Becker das Spiel und zog ins Achtelfinale ein.

Vorher hatte sich Becker in Melbourne immer schwer getan, aber 1991 war das Camporese-Match der Schlüssel auf seinem Weg zum Titel, den er sich durch einen Finalsieg gegen Ivan Lendl sicherte.

2. Marat Safin vs. Roger Federer 5:7, 6:4, 5:7, 7:6, 9:7 - Australian Open 2005

In der einen Ecke: Roger Federer. Der Göttliche, der sich mitten in seiner unbesiegbaren Periode befand und bis zum Halbfinale nicht einen Satz verloren hatte. Selbst Agassi im Viertelfinale war es nicht gelungen, einen Satz zu gewinnen.

In der anderen Ecke: Marat Safin. Der Schlampige, der 2000 im US-Open-Finale Pete Sampras gedemütigt, aber seitdem keinen großen Titel mehr errungen hatte und zwischenzeitlich in der Tennis-Wildnis verschwunden war.

Beide lieferten sich einen grandiosen Schlagabtausch, den Safin am Ende für sich entschied, weil er der fittere Akteur war. Beim Matchball profitierte er davon, dass Federer zu Boden fiel und er das Spiel mit einem Vorhand-Winner ganz lässig beenden konnte. Was spektakuläre Punkte angeht, hat man selten etwas Besseres gesehen. Im Finale bezwang der Russe dann in vier Sätzen Lleyton Hewitt.

1. Andy Roddick vs. Younes El Aynaoui 4:6, 7:6, 4:6, 6:4, 21:19 - Australian Open 2003

Wer dieses Spiel nicht gesehen hat, wird es sein Leben lang bereuen. Ein 20-jähriger Haudrauf aus den USA (Kollege Roddick) spielte gegen einen 31-jährigen Tennis-Ästheten aus Marokko (Kollege El Aynaoui). Schluss war nach 2 Uhr morgens, es waren 4 Stunden und 59 Minuten absolute Extraklasse, was die beiden in ihrem Viertelfinale auf den Court zauberten.

Der epische fünfte Satz schien nie enden zu wollen, als Zuschauer wollte man auch nicht, dass er zu Ende geht. Beide schlugen über 100 Winner, Roddick wehrte einen Matchball ab und als das längste Aussie-Open-Match seit Einführung des Tiebreaks nach 83 Spielen vorbei war, fielen sich die Protagonisten am Netz nur noch in die Arme. Es war fast schon egal, wer hier gewonnen hatte. Sie hatten Geschichte geschrieben.

Bitter für Roddick: Im Halbfinale war dann Endstation. Er verlor gegen einen gewissen Rainer Schüttler... El Aynaoui ist kürzlich beim Turnier in Doha im Alter von 38 Jahren endgültig zurückgetreten. Er war ein toller Spieler und ein toller Typ. Danke für dieses Match, Younes!

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