Urschrei über Henman Hill

Von Philipp Joubert
Public Viewing auf Henman Hill: Auf der großen Leinwand ist übrigens Andy Murray zu sehen
© Getty

Es ist das bedeutendste Tennisturnier der Welt und seit den Tagen von Steffi Graf und Boris Becker ein fester Programmpunkt im deutschen Sportkalender. SPOX hat einen Blick auf die großen Stars und kleinen Kuriositäten des Ereignisses geworfen, das in Großbritannien oft nur unter dem Namen "The Championship" bekannt ist.

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A wie Anstehen: Gehört zum britischen Alltag wie der Pubbesuch am Abend. Daher verwundert es nicht, dass kaum etwas so zelebriert wird in Wimbledon wie das Anstehen für die letzten Tickets der großen Courts. Nur wenige hundert Meter von der Anlage entfernt lagern jede Nacht tausende Fans, um Roger Federer oder Andy Murray auf dem heiligen Rasen spielen zu sehen. Das Anstehen gehört dabei zur Folklore und hat oft den Charakter eines Volksfestes. Nur die australischen Reisegruppen können einem manchmal den letzten Nerv rauben. Denn die Fans aus der ehemaligen britischen Strafkolonie sind nicht nur trinkfester als ihre britischen Brüder und Schwestern (siehe P wie Pimm's), sondern können auch ausdauernder "singen".

B wie Becker, Boris: War zwar in Deutschland in den letzten Jahren meist wegen Peinlichkeiten in den Schlagzeilen, wird aber in Großbritannien seit seinen wilden Tagen auf dem Centre Court verehrt. Wie viele Stars von früher kommentiert er nun für die "BBC" und fällt dabei nicht weiter negativ auf. Noch besser macht es allerdings Michael Stich, der sowohl im britischen Fernsehen als auch im Radio einen formidablen Experten abgibt.

C wie Centre Court: Hat einen neuen Anstrich bekommen. Boris Beckers altes Wohnzimmer trägt jetzt ähnlich wie die Hauptplätze in Halle oder bei den Australian Open ein verschließbares Dach. Die Einweihung vor fünf Wochen kam einem Staatsakt gleich und ermöglichte Tim Henman zum ersten Mal an einem Sonntag auf dem Centre Court zu spielen (siehe E wie Erster Sonntag). Zusammen mit Steffi Graf, Andre Agassi und der Rückkehrerin Kim Clijsters bestritt er ein Schaumatch, das aber nur einen Sieger kannte: das neue Dach. Immerhin ist es den Veranstaltern so nun möglich, den Spielpan für die großen Courts auch bei typisch englischem Sommerwetter einzuhalten.

D wie Deutsches Tennis: Steht nicht so schlecht da wie allgemein angenommen, und das nicht nur wegen der überzeugenden Turniergewinne von Tommy Haas in Halle und Benjamin Becker in 's-Hertogenbosch. Ein deutscher Sieg in Wimbledon scheint zur Zeit zwar so gut wie ausgeschlossen, aber mit Kiefer, Kohlschreiber, Zverev und Petzschner gehen noch weitere talentierte deutsche Rasenspieler an den Start. Mit 13 direkt qualifizierten Spielern und Spielerinnen ist das deutsche Tennis in der Breite sogar sehr gut aufgestellt. Darunter ist auch Sabine Lisicki, die dieses Jahr auf Grund fehlender Erfahrung zwar noch nicht zu den Favoritinnen zählt, aber das Talent besitzt, um in den kommenden Jahren den ersten Grand-Slam-Erfolg einer deutschen Dame seit 1999 zu feiern.

E wie Erster Sonntag: Ist spielfrei. Während die French Open mittlerweile sogar am Sonntag vor dem traditionellen Montagsstart spielen lassen, wird in Wimbledon nur in absoluten Ausnahmefällen auf den Sonntag zurückgegriffen. Dadurch lässt man sich zwar die zusätzlichen Ticketeinnahmen entgehen, gibt dem empfindlichen Rasen aber einen Tag Erholung. Außerdem pflegen die Veranstalter damit die Tradition, dass der Sonntag als Spieltag den beiden Herrenfinalisten vorbehalten bleibt. So musste Tim Henman (siehe V wie Verlierer) bis zu diesem Jahr warten, um endlich an einem Sonntag auf dem heiligen Rasen spielen zu dürfen.

F wie Friedhof der Champions: Ist der ehemalige Court 2. Im Schatten des Centre Courts gelegen sind hier von Pete Sampras und Boris Becker bis zu John McEnroe und den Williams-Schwestern schon fast alle großen Stars einmal ausgeschieden. Weil nicht alle Topspieler in den ersten Runden auf den beiden größten Plätzen spielen können, sieht man hier während der ersten Woche jeden Tag mindestens einen sehr bekannten Namen. Da der Friedhof der Champions als einer der wenigen großen Courts Stehplätze hat, können auch Zuschauer, die nur Tickets für die Außenplätze haben, in diesen Genuss kommen. Von diesem Jahr an ist der nun offiziell als Court 3 bekannte Platz nur noch die Nr. 4 in der Reihenfolge, so dass wohl weniger Stars vor dem Platz zittern müssen.

G wie Gruntometer: Ist eine Erfindung der britischen Boulevardpresse. Anfang der 1990er Jahre, als Monica Seles nach jedem Schlag laut aufstöhnte, erlebte das Gruntometer seine Premiere. Damals wollen Journalisten der "Sun" festgestellt haben, dass jeder "grunt" von Seles so laut wie ein startender Jumbojet war. Als sich Maria Scharapowa Anfang des Jahrtausends ins Rampenlicht spielte, wurde das Gerät wieder aus der Mottenkiste geholt. Dieses Jahr wird das Gruntometer seinen bisher gefährlichsten Einsatz haben, denn die Organisatoren haben der talentierten 16-jährigen Portugiesin Michelle Larcher de Brito eine Wild Card gegeben. Larcher de Brito spielt nicht nur wie die junge Scharapowa, sondern stößt nach jedem Schlag einen Urschrei aus, der selbst die Russin vor Neid erblassen lassen würde.

H wie Heiliger Rasen: Ist eine ernste Sache. Kaum etwas wird von Fans und Presse so kontrovers diskutiert wie die Beschaffenheit des Belags. Nachdem die 1990er Jahre vor allem von starken Aufschlägern dominiert wurden, verlangsamte man die Plätze in den letzten Jahren so sehr, dass sogar ein von der Grundlinie spielender Defensivspezialist wie Rafael Nadal gewinnen konnte. Das hat jedoch die Traditionalisten auf den Plan gerufen, die wieder mehr Serve-and-Volley sehen wollen. Für dieses Jahr wurde angekündigt, dass der Rasen wieder schneller zu spielen sei. Ob dem wirklich so ist, bleibt abzuwarten, aber bei geschlossenem Dach (siehe C wie Centre Court) dürften reine Angriffsspieler zumindest bessere Chancen als in den letzten Jahren haben.

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