"Hinfahren und drei Spiele gewinnen"

Von Interview: Florian Regelmann
Michael Stich feierte mit dem Wimbledon-Sieg 1992 seinen größten Erfolg in seiner Karriere
© Getty

Exklusiv Michael Stich ist als neuer Chef am Hamburger Rothenbaum einer der wichtigsten Männer im deutschen Tennis. Im SPOX-Interview erklärt der 40-Jährige, warum dem auf Juli verlegten Turnier das Fehlen von Nadal und Federer gut tut und wie in Deutschland wieder ein Tennis-Boom entstehen könnte.

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SPOX: Herr Stich, Sie sind der neue Chef am Hamburger Rothenbaum: Für viele kam das überraschend, wie kam es dazu?

Michael Stich: Detlef Hammer, mein Partner und Mitgesellschafter bei der "Hamburg Sports and Entertainment GmbH" hatte mich angesprochen, was ich von der Terminverlegung halte und wie ich die Zukunft sehe. Ich wurde gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mich einzubringen und da habe ich mich gerne überreden lassen.

SPOX: Weil Ihnen das Turnier sehr viel bedeutet? Sie waren 1993 der letzte Deutsche, der am Rothenbaum gewonnen hat.

Stich: Genau. Das Turnier liegt mir sehr am Herzen, ich habe eine emotionale Verbundenheit zum Rothenbaum und es macht mir Spaß zu versuchen, das Turnier mit neuem Leben zu erfüllen. Ich bin überzeugt davon, dass es ein gutes Produkt ist. Vor allem deswegen, weil die Hamburger einfach tennisbegeistert sind.

SPOX: Aber ohne Masters-Status wird es schwierig. Warum tun Sie sich das an?

Stich: Wenn ich Angst hätte, zu scheitern, würde ich es nicht machen. Ich bin ein Mensch, der positiv an die Sache rangeht. Der Masters-Status macht für den Tennisfan nicht den großen Unterschied.

SPOX: Na ja, er sieht halt keinen Roger Federer und Rafael Nadal mehr in Hamburg.

Stich: Das stimmt, aber gerade die Tatsache, dass sich das Turnier in den letzten Jahren ausschließlich über Federer und Nadal definiert hat, hat mir irgendwann nicht mehr so gut gefallen. Die beiden sind fantastische Spieler, aber alle anderen Spieler fanden nicht mehr statt. Die deutschen Spieler fanden nicht mehr statt. Ich denke, das hat dem Turnier nicht gut getan.

SPOX: Sie freuen sich also auf ein Finale zwischen Juan Martin del Potro und Gilles Simon?

Stich: Absolut. Es muss ein Umdenken her. Auch die Nummer 20 spielt tolles Tennis. Ein Finale von Kohlschreiber gegen del Potro wäre perfekt. Wenn ein Deutscher durchkommt und wir dazu einige gute ausländische Spieler haben, sind wir alle auf der Gewinner-Seite. Wir haben die Chance, dass der Tennissport im Allgemeinen wieder in den Fokus rückt, und nicht nur das Duell Federer gegen Nadal. 

SPOX: Und vielleicht kommt Federer ja doch noch mal vorbei. Aus Liebe zu Hamburg.

Stich: Wer weiß, ich kann nicht in die Zukunft schauen. In diesem Jahr steht Hamburg nicht in seinem Kalender. Wir müssen das realistisch sehen. Wir haben keine großen Gelder, um horrende Antrittssummen zu bezahlen. Wir freuen uns auf die Spieler, die kommen. Ich bin mir sicher, dass wir ein gutes Feld haben werden. Hamburg ist eines der größten Turniere nach der 1000er-Serie. Es gibt viele Punkte zu gewinnen und es ist auch noch weit genug weg von den US Open, dass noch nicht alle auf Hartplatz gehen werden.

SPOX: Es geht ja nicht nur um die Spieler. Sport muss heutzutage auch ein Event sein. Wie machen Sie das Turnier attraktiver?

Stich: Es ist und bleibt in erster Linie ein Tennisturnier. Aber Sie haben Recht, wir legen ein großes Augenmerk auf die Jugend und die Familie und wollen alles etwas breiter aufstellen. Aufgrund des Masters-Status hat man sich in der Vergangenheit zum Teil nicht die Gedanken gemacht, wie man das Turnier attraktiv gestalten kann für die Zuschauer. Es gibt auch unterschiedliche Ansätze. Wir werden wieder etwas mehr Senior's Tennis bieten und wir präsentieren die acht besten deutschen Jugendlichen, die ein eigenes Turnier ausspielen. Da kann der Fan mal sehen, was in Deutschland nachkommt. 

SPOX: Die Senioren-Spielchen sind ein gutes Stichwort. Wie oft greifen Sie noch zum Schläger?

Stich: Momentan leider viel zu selten, da ich zu viel Arbeit habe. Aber wenn die Sonne scheint und es 20 Grad hat, gibt es nach wie vor keine schönere Sportart auf der Welt als Tennis.

SPOX: Vor kurzem haben Sie ja auch in Barcelona ein Turnier gespielt.

Stich (lacht): Es war schwierig, weil bei uns die Plätze gerade erst aufgemacht haben und so kein großes Training möglich war. Da habe ich dann gegen Felix Mantilla, Cedric Pioline und Magnus Gustafsson in der Gruppe alles verloren. Aber in Hamburg werde ich als Lokalmatador auch wieder dabei sein. Es macht immer noch großen Spaß, sich mit den alten Kollegen heiße Matches zu liefern.

SPOX: Könnten Sie auf der ATP Tour noch ein Match gewinnen?

Stich: Auf Rasen gäbe es vielleicht im Ansatz eine Chance, wenn man vier, fünf Monate intensiv trainieren würde, aber ansonsten darf man sich keinen Illusionen hingeben, was die eigene körperliche Verfassung, Geschwindigkeit und Beweglichkeit angeht.

SPOX: Wie sehen Sie die Situation im deutschen Tennis?

Stich: Es ist so, dass wir mit Tommy Haas, Rainer Schüttler und Nicolas Kiefer drei Spieler haben, die alle mal in den Top 10 standen. Ich bin fest der Meinung, dass es in Deutschland einen großen Schub geben würde, wenn einer mal Top-Spieler schlagen und ein großes Turnier gewinnen würde. Darauf warten wir alle. Oder wenn wir einen großen Erfolg im Davis Cup feiern könnten, vielleicht das Finale erreichen würden. Ein Davis-Cup-Finale im eigenen Land, so was bräuchten wir.

SPOX: Aber im Viertelfinale geht es nach Spanien. Wie soll man das denn bitte gewinnen?

Stich: Hinfahren, drei Spiele gewinnen und wieder nach Hause fahren, ganz einfach. Natürlich ist es gegen Nadal schwer, aber die deutschen Spieler müssen den zweiten Spanier schlagen und das Doppel muss gewonnen werden. Das ist eine simple Rechnung. Und vielleicht ist Nadal auch mal nicht so gut drauf.

SPOX: Das kann ich mir nicht vorstellen.

Stich: Gut, das stimmt, darauf sollte man nicht bauen. Aber der Davis Cup ist immer für eine Überraschung gut. Man muss sich optimal vorbereiten, die Herausforderung annehmen und dann schauen wir mal.

SPOX: Philipp Kohlschreiber wäre so einer, der das Potenzial hat, Deutschland zum Sieg zu führen.

Stich: Philipp hat ohne Frage großes Potenzial. Er hat bewiesen, dass er große Spieler schlagen kann. Aber um auf Dauer oben mitzuhalten und in die Top 10 zu kommen, muss er sich noch verbessern. Ihm fehlt es vor allem an der Konstanz.

SPOX: Was den Nachwuchs angeht, gab es bei den Australian Open im Junioren-Bewerb zum ersten Mal seit langer Zeit erfreuliche Nachrichten. Macht das Mut?

Stich: Die deutschen Junioren waren früher traditionell in der Weltspitze. Wir hatten oft die Nummer eins der Welt bei den Junioren, aber sie haben dann alle den Übergang ins Profi-Tennis nicht geschafft. Es war sehr schade, dass der DTB in den letzten Jahren keine Spieler bei den Junioren-Slams hatte. Es gibt keine bessere Schule und keine bessere Möglichkeit, Luft bei den Großen zu schnuppern. Ich hoffe, dass das jetzt ein Schritt in die richtige Richtung war.

SPOX: Nochmal zurück zu Federer und Nadal. Rafa scheint Roger ja psychisch geknackt zu haben. Wie sehen Sie die Lage?

Stich: Also Roger ist nach wie vor immer in der Lage, ein Grand Slam zu gewinnen. Das steht völlig außer Frage. Mal schauen, wie sich die persönlichen Veränderungen mit Heirat und Kind auswirken, aber Roger ist so ein genialer Tennisspieler, er wird auch wieder große Matches gewinnen.

SPOX: Auch gegen Nadal im Finale?

Stich (schmunzelt): Vielleicht steht ja Nadal mal nicht im Endspiel.

SPOX: Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Letzte Frage: Wie oft schauen Sie sich noch Ihren Wimbledon-Triumph an?

Stich: Nicht oft. Auch wenn das mein größter Sieg war, ich warte noch 20 Jahre, bis ich mich nicht mehr bewegen kann, die Video-Kassette einschiebe und in Erinnerungen schwelge...

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