Froome gibt den Souverän

SID
Christopher Froome hält vor dem Start der Bergetappen die Trümpfe in der Hand
© getty

Am Dienstag erreicht das Tour-Peloton die Berge. Die beste Ausgangsposition hat Spitzenreiter Christopher Froome, der große Verlierer der ersten Woche ist Titelverteidiger Vincenzo Nibali.

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Christopher Froome gab am Ruhetag das Bild eines Souveräns ab. Regelrecht tiefenentspannt stellte sich der britische Radprofi einer Heerschar an Journalisten am Hotel Parc Beaumont in Pau, posierte mit Zeitung und einer Flasche Wein. Der Träger des Gelben Trikots der 102. Tour de France genoss sichtlich seine Pole Position vor den ersten großen Bergen. "Meine Konkurrenten sind gezwungen zu attackieren", sagte Froome - er dagegen muss "nur" das Hinterrad halten.

Der Tour-Sieger von 2013 ist auf dem bestem Weg zum zweiten Titel, seine Ausgangsposition ideal, die Unterstützung im Team Sky bislang wunschgemäß. Froome stach Vorjahressieger Vincenzo Nibali bisher aus, überstand alle heiklen Situationen schadlos - und nicht nur er selbst, auch die Helfer bei Sky sind denen Nibalis bei Astana überlegen.

Titelverteidigung wohl ausgeschlossen

Der "Hai von Messina" mühte sich bisher nach Kräften, spannte sich am Sonntag immer wieder vor seine Kollegen - doch auch im Teamzeitfahren musste Nibali erkennen, dass eine Wiederholung seines Vorjahressieges für ihn im Augenblick außer Reichweite ist.

Wenn es ab Dienstag ernst wird in den Pyrenäen, lastet jedenfalls der mit Abstand größte Druck auf Nibali, der schon 2:22 Minuten auf Froome verloren hat. Im knüppelharten Schlussanstieg hinauf nach La Pierre-Saint-Martin muss der Italiener zumindest Wirkung erzielen bei seinen Konkurrenten, die von seiner Schwäche überrascht sind. "Ich dachte, er würde Zeit gutmachen in dieser ersten Tour-Phase", sagte beispielsweise Froome.

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Nibalis Auftritt am Samstag an der Mûr-de-Bretagne sprach nicht für eine sofortige Trendwende, dennoch gibt sich der 30-Jährige "zuversichtlich. Samstag war einfach ein schwarzer Tag, glaube ich. Ich war wie blockiert, keine Ahnung, weshalb, denn eigentlich bin ich gut in Form." Froome braucht kein 'eigentlich', er hat sein Sturz-Desaster des Vorjahres längst vergessen lassen.

Quintana überrascht

Andererseits aber hielt sich beispielsweise Nairo Quintana wackerer als von vielen erwartet. Der kolumbianische Bergfloh kämpfte sich tapfer durch den Nordseewind und über das Kopfsteinpflaster, sein Rückstand (+1:59) ist im Rahmen, und auch das Teamzeitfahren mit Movistar unterstrich den Eindruck. Nicht umsonst huschte mehrfach ein Lächeln über das manchmal so ausdruckslose Gesicht des Andenkletterers. "Froome ist der Stärkste im Moment", sagte Quintana, "aber wir wollen Stück für Stück aufholen."

Giro-Sieger Alberto Contador wirkt dagegen nicht übermäßig optimistisch. Der 32-Jährige liegt zwar in Schlagdistanz (+1:03), aber die kräftezehrende Italien-Rundfahrt hat vor allem in Sachen Frische Spuren hinterlassen. Derzeit spricht wenig für die erfolgreiche Umsetzung seines Double-Plans. "Konstanz ist gefragt, und das kann mir zugutekommen", sagte der Spanier, ergänzte jedoch: "Ich spüre Ungewissheit, mir fehlt der zündende Funke im Vergleich zu den anderen. Ich hoffe, das gibt nicht den Ausschlag."

Van Garderen auf der Lauer

Eher schickt sich da schon ein Amerikaner an, Froome enorm zu bedrängen und aus dem Vierkampf um den Gesamterfolg einen Fünfkampf zu machen. Tejay van Garderen, einst bei HTC-Highroad Teamkollege von Tony Martin, präsentiert sich unerhört konstant und wachsam. Sein BMC-Racing-Team funktioniert zudem so geschmeidig wie ein Uhrwerk. Der 26-Jährige liegt gerade mal zwölf Sekunden hinter dem Maillot jaune. "Das verleiht mir eine Menge Moral für die Berge", sagte van Garderen: "Alles funktioniert bisher."

Das können die Franzosen nicht behaupten, sie sind eher schon desillusioniert, daran ändert auch der Etappensieg von Alexis Vuillermoz nichts. Die Klassement-Hoffnungen der Grande Nation um Thibaut Pinot gerieten in der ersten Woche nahezu aussichtslos ins Hintertreffen. Ein französischer Gesamterfolg dürfte auch 30 Jahre nach Bernard Hinaults letztem Triumph eine ungestillte Sehnsucht bleiben.

Tour de France 2015: Die Gesamtwertung