Fantastic Four und viele Berge

Von Adrian Franke
Chris Froome und Alberto Contador gehören bei der diesjährigen Tour zu den Favoriten
© getty

Die 102. Tour steht vor der Tür, vom 4. bis zum 26. Juli geht es wieder um das prestigeträchtige Maillot Jaune. Zum 21. Mal starten die Fahrer dabei außerhalb der französischen Landesgrenzen (Sa. 15:30 Uhr im LIVE-TICKER) - und ein Quartett steht im Vorfeld deutlich vor dem Rest. Auch die Franzosen dürfen hoffen, wie schon im Vorjahr gilt: Ab in die Berge.

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Besonderheiten der diesjährigen Strecke

In wenigen Worten zusammengefasst könnte man sagen: Kaum Zeitfahren, viele Berge. Die 13,8 Kilometer durch Utrecht sind das einzige Einzelzeitfahren, das Mannschaftszeitfahren (9. Etappe) beschränkt sich auf 28 Kilometer. Immerhin: Der Sieger des Zeitfahrens von Utrecht darf sich das erste Gelbe Trikot der Tour 2015 überziehen.

Dem gegenüber stehen allerdings 26 Bergwertungen, sieben davon sind Bergetappen. Wie schon im Vorjahr sind die Kletterer also klar im Vorteil. Insgesamt 3.360 Kilometer misst die 102. Tour de France, die längste Strecke ist die vierte Etappe von Seraing nach Cambrai über 223,5 Kilometer. Gleichzeitig stehen in Nordfrankreich auch sieben Kopfsteinpflasterpassagen auf dem Programm.

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(Mit-)Favorit Chris Froome erwartet daher einen abwechslungsreichen Auftakt: "Schauen Sie sich den ersten Teil bis zum Ruhetag an. Da gibt es ein Zeitfahren, die holländische Küste, die Mur de Huy, Kopfsteinpflaster, die Mur de Bretagne und das Teamzeitfahren. Die erste Woche wird wirklich entscheidend, bevor es in die Berge geht."

Nach dem Mannschaftszeitfahren geht es schließlich in die Pyrenäen, am Ende der zehnten Etappe wartet der erste ernsthafte Anstieg: Am 14. Juli geht es von Mauleon (134 Meter über dem Meeresspiegel) rauf nach La Pierre-St. Martin (1.610 Meter). Weitere anspruchsvolle und fordernde Kletterprüfungen warten in den französischen Alpen. Die Fahrer müssen einige der höchsten Pässe in den Gebirgen, darunter den Col du Galibier auf 2.642 Metern Höhe, meistern.

Sprint-Favorit Mark Cavendish meckerte dementsprechend vor einigen Tagen im Men's Fitness Magazine: "Sie denken, dass sie die Rennen anspruchsvoller machen und mehr Berge reinpacken müssen. Aber das Ding ist, dass die Leute nicht mehr dopen, deshalb gibt es keine größeren Ausreißer mehr in den Bergen. Deshalb gibt es noch größere Gruppen. Die Organisatoren wollen mit den Hügeln die Gruppen aufbrechen, aber da kann keiner mehr attackieren und deshalb gibt es jetzt noch größere Gruppen."

Ebenfalls erwähnenswert: Die Zeitgutschriften, die es seit 2008 nicht mehr gegeben hatte, werden wieder eingeführt - wenn auch nur phasenweise. Auf den Etappen zwei bis acht werden den ersten drei Fahrern im Tagesziel zehn, sechs und vier Sekunden gutgeschrieben. Zudem wird der beste Sprinter belohnt: Auf den neun Flachetappen erhält der jeweilige Etappensieger 50 Punkte - fünf mehr als im vergangenen Jahr. Der Zweite dagegen erhält 30 statt zuvor 35, auch die Punkte für die weiteren Plätze wurden reduziert.

Das Maillot Jaune: Die Gesamtwertung

Kein Zweifel, vier Fahrer prägen das Favoritenbild rund um die Tour. Die Wahrscheinlichkeit ist mehr als nur groß, dass der Sieger aus dem Quartett Christopher Froome, Vincenzo Nibali, Nario Quintana und Alberto Contador hervorgehen wird. Titelverteidiger Nibali ist in herausragender Form, auch Froome und Contador überzeugten zuletzt. Quintana geht als der X-Faktor in die Tour. Die Favoriten im Überblick:

Christopher Froome (30, GBR/Team Sky)

Froome scheint pünktlich zur Tour in Topform. Der 2013er Sieger gewann die Generalprobe in Dauphine und untermauerte vor allem mit seinen starken Auftritten in den Bergen den eigenen Tour-Anspruch. "Ich kann es nicht glauben. Besser hätte es nicht laufen können", lautete das Fazit des sichtlich erleichterten Briten, der prompt hinterher schob: "Die Dauphine war ein großes Ziel für mich. Aber die Tour de France ist das Hauptziel. Das Team ist es bereit, und ich bin es beinahe."

Immerhin gebe es noch ein paar Dinge, "an denen ich arbeiten muss. Aber wir haben noch drei Wochen bis zum Start. Ich freue mich sehr darauf. Ich weiß nicht, wie Contador und Quintana drauf sind. Aber sie werden bereit sein, genau wie Nibali es sein wird."

Für Froome war der Sieg bei der Dauphine nicht nur ein Zeichen an die Konkurrenz, es war auch für den 30-Jährigen selbst enorm wichtig. Im Frühjahr warfen ihn gesundheitliche Probleme immer wieder zurück.

Wo er während der Tour wohnen wird, hat Froome indes noch nicht final entschieden: Der Brite erwägt, nicht in den von den Organisatoren zugeteilten Hotels zu schlafen, sondern alleine in einem Campingmobil - wie Teamkollege Richie Porte während des Giro d'Italia. Froome erklärte: "Als Sportler jede Nacht im selben Bett zu schlafen anstatt drei Wochen lang in einem anderen macht einen Riesenunterschied."

SPOX-Prognose: "Es deutet zunehmend alles auf einen epischen Kampf zwischen den großen Rivalen hin - wahrscheinlich das größte Duell in der Tour seit Jahren. Das wird wirklich packend." So brachte es Froome im Vorfeld auf den Punkt und passender kann man es kaum formulieren. Nach der Dauphine geht der Brite aber in einem engen Feld als leichter Favorit in die Tour. Tipp: Froome macht es.

Nairo Quintana (25, COL/Movistar Team)

Quintana ist der X-Faktor. 2013 lieferte er herausragende Leistungen in den Bergetappen der Tour, der 25-Jährige ist der wohl beste Kletterer im Feld - eine Grundvoraussetzung bei der diesjährigen Tour. Quintana begann seine Saison im Januar bei der Tour de San Luis und lieferte seitdem beeindruckende Vorstellungen ab.

Im unmittelbaren Vorfeld trainierte er aber primär privat in den Bergen von Kolumbien und kehrte erst zur Route du Sud zurück nach Europa, wo er sich einen spannenden Zweikampf mit Alberto Contador lieferte - am Ende landete er knapp hinter dem Tour-Mitfavoriten. "Ich bin in guter Verfassung und habe ein sehr gutes Gewicht. Ich weiß, dass ich durch das Training und die harte Arbeit dieses Jahres mit Selbstvertrauen in die Tour gehen kann", hatte der Kolumbianer, der 2014 den Giro gewann, schon zuvor festgestellt.

Sogar die Titelverteidigung beim Giro lehnte er ab, um sich stattdessen in seiner Heimatstadt Combita voll auf die Tour zu fokussieren und in den kolumbianischen Anden weiter in der Höhe zu arbeiten. "Das ist der Vorteil von uns Kolumbianern - wir sind schon in den Bergen. Deshalb müssen wir kein Geld ausgeben, um irgendwo weg von unseren Familien und Freunden zu trainieren, die für uns über die Jahre schon viele Opfer gebracht haben", so Quintana.

Vor seinen europäischen Mitstreitern hat er dennoch jede Menge Respekt: "Wir sollten nicht vergessen, dass Contador die Tour drei Mal gewonnen hat. Nibali hat drei Grand Tours gewonnen und Froome hat die Tour auch schon gewonnen. Verglichen damit habe ich am wenigsten gewonnen."

SPOX-Prognose: Unisono betonten Froome, Contador und Nibali in den Wochen vor der Tour, wie schlecht sie Quintana einschätzen können. Die Route du Sud lieferte einen weiteren Vorgeschmack - mit Quintana ist ohne jeden Zweifel zu rechnen. Wenn er die ersten Etappen halbwegs unbeschadet übersteht, ist für den kolumbianischen Kletterer in diesem Jahr der ganz große Wurf drin.

Vincenzo Nibali (30, ITA/Astana)

Wie Froome wählte auch der Titelverteidiger das Criterium du Dauphine zur Tour-Vorbereitung und entschied sich gegen den Giro, im Gegensatz zu seinem britischen Rivalen reichte es am Ende aber nur für den zwölften Rang. In der dritten Etappe, der Team-Etappe, sah das Astana-Team dagegen gut aus. Zwar reichte es hinter BMC Racing nur zum zweiten Platz, Astana distanzierte Froomes Sky-Team allerdings um 31 Sekunden.

So gab sich Nibali gegenüber Het Nieuwsblad ganz entspannt: "Ich bin von einem zweiten Titel nicht besessen. Das muss ich auch nicht, besessen zu sein laugt dich nur aus. Ich würde mich über einen zweiten Titel natürlich freuen, ich habe das ganze Jahr dafür gearbeitet. Aber es ist nicht so, als wäre ich im vergangenen Jahr einfach aus dem Himmel gefallen. Ich hatte schon die Vuelta a Espana und den Giro d'Italia gewonnen."

Nibali fokussierte sich im aus seiner Sicht ruhigen Frühjahr insgesamt aber eher aufs Training als auf die Rennen, darunter ein dreiwöchiges Höhentraining auf Teneriffa. Dauphine verlief aus der Sicht des Italieners wechselhaft, er ließ aber bei den Kletter-Strecken immer wieder sein Können durchblitzen. Allerdings betonte er auch: "Ich respektiere alle meine Tour-Rivalen und sehe sie auf einem Level. Über Quintana weiß ich aber am wenigsten."

SPOX-Prognose: Nibali wartet seit seinem Tour-Sieg im Vorjahr auf einen Sieg bei einem Major-Rennen und die Form im Vorfeld war durchwachsen. Die Titelverteidigung wird ein sehr schwieriges Unterfangen und geht man nach dem aktuellen Trend, ist Nibali im Favoriten-Quartett der Außenseiter. Allerdings: Im Vorjahr waren die Vorzeichen durchaus vergleichbar...

Alberto Contador (32, ESP/Tinkoff-Saxo)

Nach dem anstrengenden Sieg beim Giro will Contador der erste Fahrer seit Marco Pantani werden, der Giro und Tour in der gleichen Saison gewinnt. Beim Giro triumphierte er trotz einer Schulterverletzung, verursacht durch einen frühen Sturz - doch die richtige Mischung aus Regeneration und Training scheint gefruchtet zu haben.

Bei der Route du Sud gewann Contador, der sich in den vergangenen Tagen bereits vor Ort ein Bild von den Strecken und Anstiegen in den Pyrenäen machte, und überzeugte dabei. "Das ändert nichts an meiner Sichtweise auf die Tour. Es wäre ein Fehler, jetzt die eigene Einstellung zu verändern", stellte er aber prompt klar.

Doch um seinen großen Wunsch des historischen "Doubles" macht der 32-Jährige, der sein Höhentraining in der Schweiz aufgrund seiner Verletzung nur sehr bedingt absolvieren konnte, kein Geheimnis. Dem Observer erklärte er: "Das Problem mit der Tour ist, dass sie nach dem Giro das zweite Rennen ist. Der Effekt addiert sich also. Froome steht vielleicht noch etwas über den anderen beiden."

SPOX-Prognose: Nach dem Giro hatte sich der Spanier eine 15-tägige "aktive Pause" gegönnt, welche ihre Wirkung nicht verfehlt hat. Der Sieg hat ihm neues Selbstvertrauen gegeben, Contador ist in guter Verfassung und hat ein gutes Team hinter sich. Die Erfahrung spricht ebenfalls für den 32-Jährigen und sollte Contador bei 100 Prozent sein, wird er Froome das Leben zumindest lange schwer machen.

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