Stimmen und Meinungen zum Fall Armstrong

SID
Ein Mann aus Kensington verfolgt das Interview zwischen Oprah Winfrey und Lance Armstrong
© Getty

Das Geständnis von Lance Armstrong hat für Aufsehen gesorgt. Experten und Sportler äußern sich zum Geständnis. Darunter zeigen sich einige enttäuscht, überrascht und verständnisvoll.

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Das Doping-Geständnis des gefallenen Radstars Lance Armstrong hat bei Sylvia Schenk von Transparency International und den Anti-Dopingkämpfern Fritz Sörgel und Werner Franke Enttäuschung hervorgerufen. "Er hat nur das bestätigt, was längst auf dem Tisch lag. Es war ein letztes Zugeben, kein Geständnis. Er hat nichts über das System gesagt", sagte Schenk, ehemalige Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR): "Nachdem er die Rollen des perfekten Krebs-Bekämpfers und des perfekten Radprofis gespielt hat, spielt er nun die Rolle des perfekten Doping-Gestehers. Es war alles Kalkül."

Der Heidelberger Molekularbiologe Franke sprach von einem "Minimalgeständnis" und erinnerte daran, dass Armstrong Kronzeugenaussagen zufolge "Kollegen physisch bedroht und alle möglichen Tricks angewandt" habe: "Ich glaube dem grundsätzlich gar nichts. Er tut nur das, was nötig ist, um die eine oder andere seiner Millionen noch behalten zu dürfen."

Im Interview mit Oprah Winfrey: Lance Armstrong legt Doping-Geständnis ab

Sörgel bezeichnete das Geständnis gerade im Vergleich zu den Kronzeugenaussagen gegen Armstrong als "gar nichts, eine einzige Enttäuschung." Der Dopingexperte und Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Heroldsberg bei Nürnberg kritisierte aber auch Interviewerin Oprah Winfrey: "Dass das alles so schwach war, lag auch an Oprah, der Mutter der Nation. Das war wie Bunte oder Alfred Biolek."

Voigt zu Armstrong: "Er hatte keine andere Wahl"

Der deutsche Radsport-Routinier Jens Voigt glaubt, dass Lance Armstrong keinen anderen Ausweg als das Doping-Geständnis gesehen habe. "Er hat sich selbst in eine Ecke gedrängt und hatte keine andere Wahl", wird Voigt von der dänischen Boulevardzeitung BT zitiert: "Er hat immer 'Nein, nein, nein' gesagt, aber seine einzige Option, wieder in ein normales Leben zurückzukehren, war es, aufzustehen und mit allem auszupacken. Ich denke, es war eine große Belastung für ihn und deshalb glaube ich, dass er jetzt sehr erleichtert ist."

Armstrong habe es in diesen Tagen schwer genug, fügte Voigt hinzu. "Er wurde jetzt genug bestraft, denn er kämpft wirklich. Ich glaube, er fühlt, dass sich sein Leben jetzt verändert hat. Für mich ist es wichtig, dass er reinen Tisch gemacht hat".

Aber auch für den wie Armstrong 41-jährigen Voigt wäre es nützlich, wenn mehr über Zusammenhänge und Hintergründe bekannt würde. "Es würde helfen, die Quellen dahinter zu stoppen, so dass Medikamente nicht mehr von den gleichen Leuten kommen können. Aber ich denke auch, dass es jetzt zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen den Organisationen kommen wird. Ich glaube, dass USADA, WADA und alle anderen Doping-Behörden an dieser Sache zusammenarbeiten werden, so dass es noch nicht vorbei ist."

Sportrechtler Lehner: Armstrong war vorsichtig

Der renommierte Sportrechtsexperte Michael Lehner erwartet auch nach Ausstrahlung der Doping-Beichte von Lance Armstrong keine größeren juristischen Folgen. "Ich sehe keine großen Ansatzpunkte", sagte Lehner. Schon vor dem Interview hatte der Anwalt nicht an eine Klagewelle glauben wollen.

Armstrong habe sich "sehr bedeckt gehalten. Er war sehr vorsichtig", sagte Lehner, der unter anderem den Radprofi und Dopingsünder Stefan Schumacher vertritt, über die Eindrücke aus dem ersten Teil des Interviews bei Oprah Winfrey. Es sei "nichts aufgeklärt worden. Das hat man alles gewusst, es waren nur wenige Details". Allerdings werde sich Armstrong wie erwartet gegen Regressforderungen verteidigen müssen. "So viele Betrogene kann es aber nicht gegeben haben", sagte Lehner. Im Vorfeld war mehrfach über eine Vielzahl von Schadenersatzforderungen spekuliert worden.

Für Lehner sei es nun aber auch geboten, im Radsport den Blick auf die Zukunft zu richten. "Ich hätte schon vor ein, zwei Jahren auf eine Totalamnestie als Zeichen des Neubeginns gesetzt", sagte Lehner, der dennoch auf Konsequenzen im Weltradsportverband UCI drängt. "Die Frage ist, wie breche ich die Strukturen auf? Wie konnte es dazu kommen? Ein Neuanfang geht nur mit einer neuen Mannschaft. Man sollte das Geständnis zum Anlass für eine Stunde Null im Radsport nehmen".

Aldag fordert Aufklärung und Erneuerung

Der frühere Radprofi und jetzige Manager bei Tony Martins Quickstep-Team, Rolf Aldag, attestiert Lance Armstrong ein klares Bekenntnis zu seiner Doping-Vergangenheit. "Er hat nicht rumgeeiert, er steht zu seiner Entscheidung und seiner Geschichte", sagte der 44-Jährige. Das Entscheidende sei aber, dass es nach dem Interview einen dritten Teil gäbe, "den, wo es um Aufklärung und Erneuerung geht. Es war ein Anfang für ihn, aber er muss jetzt dranbleiben".

Aldag fand es "okay", dass Armstrong nur eine persönliche Beichte abgelegt habe und auf das Nennen von Namen, Hintergründen und Zusammenhängen verzichtete. "Es war ein Gebot der Fairness, denn sie hätten in dem Moment keine Chance, sich zu verteidigen. Wenn er Ross und Reiter nennt, dann muss er das bei den entsprechenden Autoritäten tun", sagte der frühere Telekom-Profi, der 2007 gemeinsam mit Erik Zabel ein viel beachtetes Doping-Geständnis machte.

Aldag versteht allerdings auch die Enttäuschung über die Salamitaktik von Armstrong. "Er hat natürlich weder Zweifel ausgeräumt oder Glaubwürdigkeit zurückgewonnen", sagte er. Die UCI-Funktionäre habe Armstrong aus der Schusslinie genommen.

Generell rät Aldag nun dazu, "bei aller Sensationssucht der Leute und der Medien, die Ruhe zu bewahren. Armstrong darf jetzt nicht wieder als ein Einzeltäter hingestellt werden, wir dürfen im Radsport jetzt nicht wieder die Scheuklappen aufsetzen. Ich hoffe, wir können den Bogen weiter spannen".

Bach zur Armstrong-Beichte: "Zu wenig, zu spät"

IOC-Vizepräsident Thomas Bach hat die Dopingbeichte von Lance Armstrong scharf kritisiert und unmittelbare Disziplinarmaßnahmen gegen den Radsport ausgeschlossen. "Man kann das Interview nur so zusammenfassen, dass es zu wenig, zu spät ist. Es enthält keine neuen Fakten, die nicht schon bekannt waren aus dem Bericht der amerikanischen Anti-Doping-Agentur", sagte Bach.

Wenn Armstrong Glaubwürdigkeit zurückgewinnen wolle, müsse er unter Eid vor den relevanten Anti-Doping-Organisationen aussagen. "Er muss von Experten befragt werden, und seine Antworten müssen vollumfassend sein. Was wir hier gehört haben, reicht bei Weitem nicht aus", sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und "Vize" des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Bach hob hervor, dass Armstrong lediglich bestätigt habe, "und auch das nur in Teilen", was die US-Anti-Doping-Behörde USADA schon vor einigen Wochen in ihrem Bericht niedergelegt hat: "Insoweit gibt es keine Ansätze für neue Maßnahmen gegen Lance Armstrong oder den Radsport generell."

Richard Pound, ehemals IOC-Vize und Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), hatte einen Olympia-Ausschluss des Radsports ins Gespräch gebracht. Das IOC hatte Armstrong dessen Bronzemedaille von den Olympischen Spielen 2000 in Sydney aberkannt.

Fahey: Armstrong-Geständnis eine "PR-Show"

Die WADA hat das Geständnis des gefallenen Radsport-Helden Lance Armstrong als "PR-Show" bezeichnet. "Aus meiner Sicht gab es nichts Neues", sagte WADA-Präsident John Fahey dem australischen TV-Sender Fox News. "Er hat nur zugegeben, was die US-Anti-Doping-Agentur USADA vor Monaten detailliert nachgewiesen hat - dass dieser Mann alle möglichen Substanzen genommen hat, um seine Leistung zu steigern."

Dies hatte Armstrong bis zu seiner Doping-Beichte bei der US-Starmoderatorin Oprah Winfrey zwar bestritten. "Aber es gab eigentlich kaum Zweifel daran, und alles, was er getan hat, ist, seine Verfehlungen sehr kontrolliert einzugestehen", sagte Fahey. Armstrong hätte sich besser dafür entscheiden sollen, sich einem Kreuzverhör vor einer zuständigen Instanz zu stellen: "Da hätte er Namen nennen müssen, von den Funktionären erzählen müssen, erklären müssen, wann wo welche Fahrer eingebunden waren."

Dem Radsport-Weltverband UCI warf Fahey vor, er beschränke sich darauf, den Verdacht einer eigenen Verstrickung in die Armstrong-Affäre aus der Welt zu schaffen. "Ich glaube nicht, dass sie entschlossen sind, ihren Sport zu säubern", sagte der WADA-Chef.

Bruyneel will in einem Buch Stellung nehmen

Lance Armstrongs früherer Teamdirektor Johan Bruyneel wehrt sich auch nach dem Geständnis seines gefallenen Schützlings gegen die Dopinganschuldigungen. Wie die niederländische Zeitung De Telegraaf am Freitag berichtete, will der langjährige sportliche Leiter des Teams US Postal in einem Buch "alles in den richtigen Kontext rücken, um das falsche Bild zu korrigieren, das die USADA, die Medien und Leute wie Tyler Hamilton und Floyd Landis hervorgerufen haben."

Bruyneel hatte Armstrong bei dessen sieben Tour-de-France-Titeln als Teamchef begleitet. Bis heute bestreitet der Belgier jedoch, in die Dopingmachenschaften verwickelt gewesen zu sein. Bei einer Anhörung der USADA will Bruynell seinen Kampf gegen die Anschuldigungen fortsetzen: "Solange ich glaube, dass ich eine faire Behandlung ohne Vorurteile der USADA verdient habe, werde ich weitermachen."

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