Diskussion um Sicherheit entfacht

SID
Nach dem Unglück auf der dritten Giro-Etappe ist die Sicherheitsdiskussion wieder aktuell
© Getty

Der Unfalltod des belgischen Radprofis Wouter Weylandt auf der dritten Etappe des Giro d'Italia hat die Diskussionen über Sicherheit im Straßenrennsport neu entfacht. Die Fahrer kritisieren die Rennorganisatoren und beklagen, unnötige Risiken eingehen zu müssen.

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Fassungslosigkeit, Trauer und Entsetzen herrschten nach dem Unfalltod des Belgiers Wouter Weylandt auf der dritten Etappe des Giro d'Italia.

Vor dem Start zum vierten Teilstück legten Teams und Fahrer am Dienstag eine Schweigeminute ein, doch von Ruhe war da schon keine Spur mehr. Der tödliche Unfall des 26 Jahre alten Teamkollegen von Jens Voigt, Fabian Wegmann und Dominic Klemme beim Team Leopard hat eine Diskussion um die Sicherheit der Fahrer losgetreten.

Offenbar war sich auch Weylandt der Gefahren der Rundfahrt bewusst. Wie der Onlinedienst der belgischen Tageszeitung "Het Laatste Nieuws" berichtet, schrieb er seinem Manager Jef van den Bosch nach dem Giro-Start in einer SMS, dass das Rennen sehr gefährlich sei, es werde nervös gefahren. "Das bereitet mir Sorgen", wird Weylandt zitiert.

Keine Sicherheitsvorkehrungen auf 3. Etappe?

Der Belgier hatte am Montag auf der Abfahrt vom Bocco-Pass bei hoher Geschwindigkeit die Kontrolle über sein Rad verloren und war mit dem Kopf auf den Asphalt geknallt. Noch auf der Straße kämpften die Rennärzte um sein Leben. Vergeblich.

Weylandt, der noch vor Jahresfrist ausgerechnet die dritte Etappe des Giro gewonnen hatte, erlag an der Unfallstelle einem Schädelbasisbruch und schweren Gesichtsverletzungen.

Während für die einen Weylandts Unfalltod "ein schrecklicher Zufall" ist, wie die italienische Sporttageszeitung "Corriere dello Sport" schrieb, sehen andere darin ein vermeidbares, ja absehbares Unheil.

"Man konnte es kommen sehen. Es gab viele gefährliche Kurven, aber nicht ein Warnschild oder eine gelbe Flagge, die das anzeigte", sagte der spanische Radprofi Pablo Lustras, der die Etappe als Dritter beendet hatte: "Jegliche Sicherheitsvorkehrungen glänzten durch Abwesenheit."

Mata: "... und jetzt das. Mir fehlen die Worte"

Nicht minder deutlich äußerte sich Lustras Landsmann Luis Angel Mata, der von einem "schwarzen Tag" sprach. "Im Radsport müssen sich viele Dinge verbessern, aber zuallererst unsere Sicherheit", twitterte der Profi des Cofidis-Teams: "Viele Stürze, viele Verletzungen - und jetzt das. Mir fehlen die Worte."

Konsequenzen daraus zog Tyler Farrar aus den USA. Der Freund und Trainingspartner Weylandts wird am Mittwoch zur fünften Etappe nicht mehr antreten.

Während die Staatsanwaltschaft der norditalienischen Stadt Chiavari nach dem tödlichen Unfall die Ermittlungen aufgenommen und eine Autopsie des Leichnams im Krankenhaus von Lavagna angeordnet hat, kündigte Giro-Chef Angelo Zomegnan - ohne ins Detail zu gehen - Konsequenzen und vestärkte Sicherheitsvorkehrungen an.

Die 216 Kilometer der vierten Etappe nach Livorno sollten zu einer Gedenkfahrt im Bummeltempo werden und zählen nicht in der Gesamtwertung eingehen.

Auch 4. Etappe ohne Siegerehrung

"Die Etappe wird neutralisiert", sagte Zomegnan. "Jedes Team wird jeweils für zehn Kilometer das Feld anführen." Zudem wird es wie schon am Montag keine Siegerehrung geben, die Fahrer tragen Trauerflor. "Es ist ein schrecklicher Tag, so wie jeder Tote im Sport schrecklich ist", sagte Zomegnan.

Ob und inwieweit allerdings tiefgreifende Maßnahmen folgen, ist fraglich. "Spektakel oder Sicherheit", schrieb die renommierte spanische Zeitung "El Pais" zur Unfall-Problematik im Radsport.

Stürze, so scheint es, gehören zum Radsport dazu. Oder, wie es der spanische Profi Juan Antonio Flecha ausdrückt: "Alles scheint Teil des Spektakels zu sein."

Jedes Jahr, so Flecha weiter, passieren Stürze, "weil es bei den Zielankünften so etwas wie einen doppelten Bordstein mitten auf der Geraden gibt. Das weiß die ganze Welt seit Jahren, und am besten wissen das die Betrunkenen, die sich immer in dieser Zone zum Zuschauen aufhalten. Trotzdem halten die Organisatoren an diesen Ankünften fest, und niemand sagt etwas. Auch nicht die UCI."

"Einige Dinge lassen sich nicht vermeiden"

Dabei hatte gerade der Giro erst vor zwei Jahren einen Warnschuss abbekommen, als der Spanier Pedro Horrillo auf der achten Etappe zu Fall kam, eine Absperrung durchbrach und 60 Meter in die Tiefe stürzte. Acht Monate nach diesem Unfall, bei dem der damals 34-Jährige Knochenbrüche sowie eine Lungenverletzung erlitten hatte, beendete Horrillo seine Karriere.

Seit jenem Sturz fahren beim Giro zwei Ambulanzen dem Feld hinterher, um auf Unfälle schneller reagieren zu können. "Wir sind auf solche Eventualitäten vorbereitet, um im Notfall die größte Gewissheit zu haben, mit totaler Effektivität handeln zu können", sagte Giro-Chef Zomegnan: "Aber einige Dinge lassen sich nicht vermeiden."

Eine der bitteren Lehren des Todes von Weylandt ist, dass offensichtlich auch die 2003 - gegen den Widerstand vieler Fahrer - vom Weltverband UCI eingeführte Helmpflicht im Profi-Radsport keine 100-prozentige Sicherheit garantiert.

"In jeder Hochrisikosportart, egal ob Ski Alpin, Formel 1 oder Radsport ist die Todesgefahr ein permanenter Begleiter", sagte Ex-Profi Jörg Jaksche bei "ServusTV": "Die Gefahr fährt immer mit, das ist ganz klar. Es passiert im Durchschnitt jedes zweite Jahr ein Todesfall bei einem Radrennen. Dafür sind die Geschwindigkeiten zu hoch, es gibt keine Sturzzonen."

Erinnerungen an Casartelli

Der Tod von Weylandt hat bei vielen die Erinnerung an den tödlichen Sturz von Fabio Casartelli bei der Tour de France vor 16 Jahren geweckt.

Der Italiener kam am 18. Juli 1995 bei der Abfahrt vom Portet d'Aspet in einer Kurve zu Fall und prallte - ohne Helm - mit dem Kopf auf einen Begrenzungsstein. Blutüberströmt blieb Casartelli auf dem Asphalt liegen, jede Hilfe kam zu spät.

Wie an diesem Dienstag reagierte das Fahrerfeld auch damals mit einer Schweigeminute auf den Tod des Olympiasiegers von 1992. Anschließend verzichtete das Peloton auf einen sportlichen Wettstreit.

Stattdessen durften Casartellis Motorola-Teamkollegen, angeführt von Kapitän Lance Armstrong, mit gebührendem Abstand des Feldes nebeneinander die Ziellinie überqueren.

Die Reaktionen auf den Tod Wouter Weylandts:

Robert Wagner (Teamkollege bei Leopard): "Keine Worte ... Ruhe in Frieden, Wouter."

Walter Planckaert (Teamchef Topsport Vlaanderen): "Wouter war der beste Freund von Frederiek Nolf, der während der Katar-Rundfahrt 2009 im Schlaf starb. Ich habe gerade mit Frederieks Vater telefoniert. Der Mann ist gebrochen. Da sind zwei Freunde, die auf wirklich tragische Weise ums Leben kamen."

Vincenzo Nibali (Liquigas): "Ich finde keine Worte, um meine Gefühle über Wouters Tod mitzuteilen. Es ist surreal. Alle meine Gedanken gehen an seine Frau, an seine Familie und Freunde. Ciao Wouter."

Ivan Basso (Liquigas): "Es ist unfassbar, wie tragisch das Schicksal sein kann. Mein Beileid und eine Umarmung an die Familie und die Freunde. Ruhe in Frieden, Wouter."

Pablo Lastras (Movistar): "Es ist schlimm, und es ist Zeit, dass wir etwas tun, um diesen Beruf zu würdig zu machen. Man konnte es kommen sehen. Es gab viele gefährliche Kurven, aber nicht ein Warnschild oder eine gelbe Flagge, die das anzeigten. Jegliche Sicherheitsvorkehrungen glänzten durch Abwesenheit."

Luis Angel Mate (Cofidis): "Im Radsport müssen sich viele Dinge verbessern, aber zuallererst unsere Sicherheit. Viele Stürze, viele Verletzungen - und jetzt das. Mir fehlen die Worte."

Johan Museeuw (Ex-Profi): "Als ich ihn stürzen sah, wusste ich sofort, dass es ernst war. Die Ähnlichkeit mit Casartelli war auffallend. Wir alle trauern. Weylandt war ein junger Fahrer, der sein ganzes Leben vor sich hatte."

Bjarne Riis (Teamchef Saxo Bank): "An einem Tag wie diesem sind alle Gedanken an Ergebnisse irrelevant. Es ist eine verheerende Tragödie für Wouters Familie, Freunde, Kollegen und für sein Team. Unser Beileid geht an alle, die Wouter kannten."

Marcel Kittel (Skil-Shimano): "Ich bin über den Tod von Wouter Weylandt absolut geschockt! Alles Gute für seine Familie, seine Freunde und sein Team in dieser schrecklichen Zeit."

Steffen Wesemann (Ex-Profi): "Ich bin tief betroffen über den schrecklichen Unfall von Wouter. Ich kannte ihn recht gut. Meine Anteilnahme gilt der Familie und Freunden, vor allem seiner Freundin."

Alberto Contador (Tour- und Giro-Sieger): "Heute trauert der Sport. Es ist unmöglich, meine Gefühle auszudrücken. Mein Beileid gilt seiner Familie und seinen Freunden. Wouter, ruhe in Frieden."

Lance Armstrong (siebenmaliger Tour-Sieger): "Ich bin gerade vom Laufen zurückgekommen und habe die Nachricht von Wouter Weylandts Tod erhalten. Ich bin schockiert und traurig. Möge er in Frieden ruhen."

Johan Bruyneel (Teamchef RadioShack): "Heute sind wir alle voller Trauer und Traurigkeit. Die Radsport-Familie und Wouters Familie und Freunde trauern. Möge er in Frieden ruhen. Möge das Gedenken an ihn in uns allen weiterleben. Und möge sein ungeborenes Kind den Vater durch die wunderbaren Geschichten von Wouters Familie, seinen Freunden und Fans kennenlernen."

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