Rettungsanker Porsche

Nico Hülkenberg absolvierte seit Ende 2014 mehrere Tests für sein Porsche-Debüt
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Für Nico Hülkenberg beginnt an diesem Wochenende der Entscheidungsprozess über seine Zukunft im Motorsport. Während Lewis Hamilton, Sebastian Vettel und Co. frei haben, tritt der Formel-1-Pilot für Porsche beim 6-Stunden-Rennen der Langstreckenweltmeisterschaft WEC an. Die Vorbereitung auf den Klassiker "24 Stunden von Le Mans" könnte ein erster Fingerzeig für einen Abschied aus der vermeintlichen Königsklasse sein.

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Siebter, Vierzehnter, Ausfall, Dreizehnter - die Formel-1-Saison 2015 begann für Hülkenberg nicht enttäuschend. Sie gleicht einer Katastrophe. Sein Force India ist nicht konkurrenzfähig.

Während die frühere Jordan-Truppe jahrelang mit geringem Budget einen Überraschungserfolg nach dem anderen feierte und zuletzt sogar McLaren Konkurrenz machte, siecht das Team plötzlich in den niedersten Regionen des Felds.

"Die Herausforderung ist, ein schnelleres Auto zu bekommen, Performance zu finden", erklärte der Emmericher vor dem letzten Grand Prix in Bahrain: "Jeder im Team pusht wirklich stark und es gibt Hoffnung."

Doch was sich lapidar anhört, könnte den Karriereplan des 27-Jährigen endgültig auf den Kopf stellen. Er wird der erste aktive Grand-Prix-Fahrer seit Sebastien Bourdais 2009 sein, der gleichzeitig in der Formel 1 und in Le Mans an den Start geht. Bekommt er endlich den ihm zustehenden Ruhm?

Williams: Lob und Rausschmiss

"Ich glaube, wir haben gerade den Beginn von etwas sehr Außergewöhnlichem gesehen", sagte Teamchef Frank Williams im Oktober 2010. Hülkenberg hatte in seiner Debütsaison noch kein einziges Top-5-Resultat in der Formel 1 vorzuweisen, doch seinen Arbeitgeber hatte er vollends überzeugt: "Er ist einer dieser Fahrer, der von der Formel dies zur Formel das geschoben wurde und sie gewonnen hat - von der Formel 3 bis zur GP2 hat er alles gewonnen, ein bisschen wie Lewis Hamilton."

Eine Woche später machte Hülkenberg ernst: Im verregneten Interlagos-Qualifying holte er sich mit sagenhaften 1,049 Sekunden Vorsprung auf Sebastian Vettel im Red Bull mit seinem unterlegenen Williams die erste und bisher einzige Pole Position seiner Formel-1-Laufbahn. "Nico hat uns alle ganz schlecht aussehen lassen. Wenn man sich den Abstand anschaut, dann ist das schon etwas frustrierend", gab selbst Vettel zu: "Zunächst dachte ich, es wäre nur ein Zehntel. Doch dann habe ich eine Zeile weiter vorne geschaut und gesehen, dass er über eine Sekunde schneller war."

Die gesamte Formel-1-Gemeinde war geschockt, dabei hatte Frank Williams schon nach dem vorangegangen Südkorea-GP Heldentaten angekündigt: "Im richtigen Team - hoffentlich unserem - wird er eines Tages den Weltmeistertitel in der Formel 1 gewinnen."

Dass der Plan vom gemeinsamen Weltmeisterteam schon wenige Wochen später zerstört war, beschreibt Hülkenbergs Karriereverlauf letztlich perfekt. Williams verpflichtete den drei Jahre älteren Pastor Maldonado, der im fünften Anlauf die GP2-Gesamtwertung der Saison 2010 gewonnen hatte. Vier Jahre hatte der mit venezolanischen Petrodollars unterstütze Liebling von Staatschef Hector Chavez für diesen Erfolg gebraucht, während Hülkenberg im ersten Jahr ohne Akklimatisierungsprobleme triumphierte.

Langer Weg ohne Aussicht auf Erfolg

Der Deutsche stand plötzlich ohne Cockpit dar, verdrängte als Testfahrer bei Force India nach einer Saison Adrian Sutil, überzeugte ein Jahr später im Sauber beim Italien-GP mit einem Ritt auf Startplatz 3 und einer Verteidigungsfahrt für Rang 5 und ließ zwei Rennen später selbst Fernando Alonso im Werksferrari ganz alt aussehen. Hülkenberg wehrte in Korea die Überholversuche des zweifachen Weltmeisters mit spielerischer Leichtigkeit ab, fuhr als Vierter direkt vor einer Schlange der Toppiloten Hamilton, Alonso und Nico Rosberg über die Ziellinie.

Mit seinen Leistungen beeindruckte er die besten Teams. Hülkenberg sollte kurzfristig für den verletzten Kimi Räikkönen bei Lotus einspringen, der Wechsel scheiterte aber. Angeblich, weil Ferrari Millionen an sein Kundenteam Sauber überwies, damit die klammen Schweizer das ausstehende Gehalt ihres Fahrers bezahlen und dieser an seinen Vertrag gebunden bleibt.

Stattdessen kam Heikki Kovalainen zum Einsatz. Die Scuderia sicherte sich Platz zwei der Konstrukteurswertung, weil der Finne in zwei Rennen hintereinander Platz 14 belegte und keinen einzigen WM-Zähler holte.

Geld sticht Talent aus

Das Schema zieht sich durch Hülkenbergs gesamte Formel-1-Karriere: Er ist der Hoffnungsträger. Er gilt überall als Spitzenpilot der Zukunft. Doch im Jetzt ist er nie im "richtigen Team".

Pastor Maldonado bei Williams, Sergio Perez bei McLaren, Pastor Maldonado bei Lotus - immer wieder schnappte ihm ein Pilot mit großen Sponsoren den Platz bei einem vermeintlichen Topteam weg. Hülkenbergs einzige Hoffnung auf ein siegfähiges Auto müsste daher ein finanziell unabhängiger Rennstall sein, doch davon gibt es wenige.

Red Bull? Zieht seine Junioren vor. Mercedes? Hat Rosberg langfristig unter Vertrag und will mit Hamilton verlängern. Ferrari? Hat gerade Sebastian Vettel verpflichtet. Dass die Italiener eine rein deutsche Fahrer-Paarung ins Rennen schicken, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

Der Fast-Ferrari-Fahrer

Dabei galt Hülkenberg schon Mitte der Saison 2012 als Kandidat für die Nachfolge von Felipe Massa in Maranello. Und auch ein Jahr später war er in der engeren Wahl. "Räikkönen, Hülkenberg, Di Resta, ich habe so viele Namen gehört. Wir werden sehr, sehr vorsichtig nachdenken, weil wir keine Pistole für eine Entscheidung parat haben", sagte der damalige Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo und deutete auf seinen Kopf.

Hülkenberg sollte nach monatelangen Verhandlungen laut seinem Manager in Ungarn seinen Vertrag unterschreiben. Stattdessen bekam er eine SMS von Teamchef Stefano Domenicali: Die Scuderia zog die Rückkehr ihres letzten Weltmeisters vor und paarte den Iceman ein Jahr später mit Vettel. Für Hülkenberg war wieder kein Platz.

Er blieb bei Force India. Doch das Team von Vijay Mallya hat nach einem dank der überlegenen Mercedes-Powerunit starken Jahr mehr und mehr Probleme. Das Auto für die Saison 2015 wurde viel zu spät fertig. Der Umzug in den Toyota-Windkanal in Köln wird frühestens zur Mitte der Saison zur Verbesserung des Autos führen - wenn genug Geld dafür da ist.

Rettungsanker Porsche

Hülkenberg muss also anders auf sich aufmerksam machen, wenn er sich um einen Wagen bewerben will, mit dem er um die Formel-1-Weltmeisterschaft kämpfen darf. Und genau dafür ist Porsche wichtig.

"Wir hatten ein großes Interesse an ihm. Für mich ist er der am meisten unterschätzte Formel-1-Pilot. Er hätte längst schon bei einem der absoluten Top-Teams unterkommen müssen, weil er einfach gut ist", sagte Porsches LMP1-Projektleiter Fritz Enzinger der Stuttgarter Zeitung.

Die Zuffenhausener bieten Hülkenberg die Bühne, die er verdient. Beim Saisonabschluss 2014 in Brasilien feierte die VW-Tochter nach ihrem Wiedereinstieg in die Langstrecken-WM ihren ersten Sieg aus eigener Kraft. Beim Saisonauftakt Mitte April in Silverstone belegten Romain Dumas, Marc Lieb und Neel Jani Rang zwei hinter dem siegreichen Audi.

Hülkenberg bekommt dank der Freigabe von Force India in Spa und bei den 24 Stunden von Le Mans die Gelegenheit, sich mit einem siegfähigen Auto zu beweisen. "Vielleicht ist das ein neues Zuhause für die Zukunft", sagte er nun Sky: "Ich arbeite weiter, um meine Karriere voranzubringen. Mein Ziel bleibt, Rennen zu gewinnen und Weltmeister zu werden."

Überzeugt er auch bei seinen zwei WEC-Rennen, könnte er wieder ein Kandidat für die besten Teams der Formel 1 sein. Bekommt er trotzdem kein Angebot, kann er sich verabschieden und sich auf der Langstrecke seinen Traum erfüllen: Weltmeister werden - wenn nicht mit Ferrari, warum nicht mit Porsche?

Nico Hülkenberg im Steckbrief