Franchitti gewinnt turbulentes Crash-Festival

Von © Motorsport-Total.com
Dario Franchitti erhielt nach dem Sieg Glückwünsche seiner Frau Ashley Judd
© Getty

Ein sehr turbulentes Honda Indy Toronto bot den IndyCar-Fans alle Zutaten zu einem echten Klassiker. Die Zuschauer sahen 85 Runden lang viele Überholmanöver, unterschiedlichste Benzinstrategien, einige Kaltverformungen samt Mauerkontakten, und in der Folge hochschlagende Emotionen. Dazu einen Lokalmatador als tragische Figur des Tages, einen heftig ausgepfiffenen IndyCar-Publikumsliebling und letztlich einen Sieger, bei dessen Erfolg auch eine gehörige Portion Glück mitspielte.

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Zehn Jahre nach seinem ersten Toronto-Triumph gewann Dario Franchitti sein drittes Saisonrennen 2009. Dieser Erfolg war jedoch insofern glücklich, als der Schotte in Runde 58 just zu dem Zeitpunkt seine Ganassi-Box ansteuerte, als einige Kurven weiter Graham Rahal (Newman/Haas) und Ed Carpenter (Vision) aneinander gerieten und die dritte Gelbphase auslösten.

Nur um Sekundenbruchteile blieb Franchitti ein Extrastopp erspart, was ihn gleichzeitig wieder in eine sehr aussichtsreiche Position brachte. Zuvor steckte der Polesetter nach seinem ersten Service unter grüner Flagge im Mittelfeld fest, ließ sich am Ende eines äußerst unterhaltsamen Rennens jedoch die Butter nicht mehr vom Brot nehmen.

Turbulenter Start

In Toronto ging es von Beginn an turbulent zu Sache. Schon beim Start krachte es, als Will Power mit seinem in gelb gehaltenen Penske-Dallara Rahal über dessen Frontflügel fuhr. Der Australier schlitzte sich dabei einen Reifen auf, was weiter hinten im Feld seinem Landsmann und Teamkollegen Ryan Briscoe ebenfalls widerfuhr.

Beide Penske humpelten an die Box, sollten sich 84 turbulente Runden später jedoch hinter Sieger Franchitti tatsächlich noch auf den Podiumspositionen zwei (Briscoe) und drei (Power) wiederfinden.

Pech bleibt Doornbos treu

Diese Rempelei am Start würfelte die Reihung ordentlich durcheinander. Vorne fuhr Polesetter Franchitti unbehelligt auf und davon, während Alex Tagliani (Conquest) von Platz fünf auf zwei nach vorne gelangte und Robert Doornbos (Newman/Haas) von Startplatz sieben als Dritter aus Runde eins zurückkam. Dem Niederländer blieb sein Pech jedoch treu, denn noch vor Rennhalbzeit musste der ehemalige Formel-1-Pilot mit einem Elektrikschaden aufgeben.

Gleiches gilt für Mike Conway (Dreyer  Reinbold), der hinter Scott Dixon (Ganassi) zunächst auf Platz fünf fuhr und sich in der Folge konstant in der Spitzengruppe hielt, bevor er nach einem Zweikampf mit Paul Tracy (KV) etwas übermotiviert die Streckenbegrenzung touchierte und mit verbogener Aufhängung ausschied.

Alle Highlights im Video von ESPN

Tracy mit toller Vorstellung

Lokalmatador Tracy hingegen lieferte seinen Fans eine unglaubliche Show - ohne Happy End. Von seinem Startplatz 15 aus kam der Kanadier als Achter aus Runde eins zurück. Als einige der Konkurrenten die erste Gelbphase in Runde acht zu einem vorgezogenen Service nutzten, blieb der 40-Jährige als nun Viertplatzierter auf der Strecke.

Es folgten zwei klassische Ausbremsmanöver gegen Conway und Dixon, und nach 29 Runden stand Toronto Kopf, als der "Local Hero" plötzlich Zweiter war. Zu diesem Zeitpunkt übrigens eine kanadische Doppelführung, denn an der Spitze lag der Conquest-Dallara von Alex Tagliani, da Spitzenreiter Franchitti zuvor zum Tanken abgebogen war und zunächst im Mittelfeld feststeckte.

Auch nach seinem ersten Tankstopp in Runde 33 arbeitete sich Kämpfer Tracy wieder sukzessive in Richtung Spitze. Lediglich ein missratener zweiter Serviceaufenthalt in Runde 56 kostete ihn einige Sekunden, als es beim Reifenwechsel ein Problem links hinten gab.

Castroneves ausgepfiffen

Mit Konsequenzen. Denn nun kam die fragliche Gelbphase in Runde 58 und die Ereignisse überschlugen sich. Helio Castroneves war einer der Frühstopper von Runde acht, und weil der Brasilianer seinen zweiten Stopp in Runde 48 absolviert hatte, lag es im Bereich des Möglichen, dass der Castroneves-Penske als neuer Spitzenreiter im Sparmodus bis zu Ende fahren konnte.

Doch Castroneves beging kurz nach dem Restart einen Fahrfehler, was der durch seinen fraglichen Stopp zweitplatzierte Franchitti eiskalt ausnutzte. Direkt dahinter witterte Tracy ebenfalls seine Chance und griff in Turn 3 an. Aber Castroneves konterte dessen Attacke und Rad-an-Rad fuhren die beiden Routiniers aus der engen Kurve heraus.

Dabei kam es zum Kontakt und die Konsequenz war bitter: Tracy wurde hart in die Mauer gedrückt, Castroneves humpelte mit verbogener Aufhängung an die Box, wo den IndyCar-Publikumsliebling ein gellendes Pfeifkonzert empfing.

Die vermeintliche Paul-Tracy-Show hatte also ein jähes Ende gefunden und die Fans in Toronto sahen den Brasilianer naturgemäß als den Störenfried dieser Party an. Und Kanada sollte noch ein weiteres Mal Pech haben, denn der bärenstarke Tagliani (9.) kam ebenfalls nicht ohne Probleme durch die turbulenten 85 Runden von Toronto.

Scheckter stinksauer auf Tagliani

Auch im Fall Tagliani begann es mit der ominösen Gelbphase in Runde 59, denn der in Führung liegende Conquest-Pilot musste diese natürlich für seinen letzten Stopp nutzen. Dadurch wurde "Tag" aus den Top 10 herausgeworfen und fand sich plötzlich hinter Tomas Scheckter (Dreyer  Reinbold) und Mario Moraes im zweiten KV-Dallara wieder.

Tagliani packte nun die Brechstange aus, was in Runde 74 schließlich zum nächsten Toronto-Drama führte: Wieder geschah es in Turn 3, in dem der 36-Jährige einen Verzweiflungsangriff gegen Scheckter und Moraes unternahm.

Das konnte nicht gut gehen und so bildete sich ein Stau bestehend aus drei Autos, der den Südafrikaner am Weiterfahren hindern sollte. Scheckter war daraufhin so erbost, dass er Tagliani, der sich an der Box eine neue Nase geholt hatte, bei dessen nächster Durchfahrt mit seinen Rennhandschuhen bewarf.

Franchitti vom Chaos unbeeindruckt

Franchitti konnten all diese Vorkommnisse natürlich egal sein, denn der rote Ganassi-Dallara kontrollierte das Feld nun eindeutig. Ryan Briscoe und Will Power nutzten die vielen Scharmützel zu jeweils vier Servicestopps und den Plätzen zwei und drei, die am Ende noch einmal in Gefahr kamen, als Scott Dixon mächtig Druck machte.

Auch Dixon wurde - wie Tagliani - durch die dritte Gelbphase in Runde 59 weit zurückgeworfen, kämpfte sich jedoch noch an Justin Wilson (Dale Coyne; 5.) und einer unauffälligen Danica Patrick (Andretti/Green; 6.) vorbei auf Platz vier. Lediglich das Penske-Duo konnte der frischgebackene Papa nicht mehr kassieren.

Wie turbulent das Honda Indy Toronto wirklich war, verdeutlicht Marco Andretti (Andretti/Green), der hinter Ryan Hunter-Reay (Foyt; 7.) auf Platz acht fuhr. Für Andretti ein besonderes Kunststück, denn der 22-Jährige war in den 85 Runden von Kanada nicht weniger als sechsmal (!) an der Box.

Sieger Franchitti wieder Tabellenführer

In der Gesamtwertung führt nun wieder Franchitti mit zwei winzigen Punkten Vorsprung vor seinem Ganassi-Teamkollegen Scott Dixon. 13 Zähler Rückstand weist jetzt Ryan Briscoe auf, der 2009 wohl als Silberjahr in Erinnerung behalten wird, denn der Australier beendete fünf der sechs letzten IndyCar-Rennen auf Platz zwei.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass Toronto das bislang beste IndyCar-Saisonrennen bot. Bereits in 14 Tagen in Edmonton besteht für diejenigen die Möglichkeit zur Revanche, denen am Sonntagabend das Rennglück nicht zur Seite stand. Allen voran natürlich Pechvogel Paul Tracy, dessen beherzter Toronto-Auftritt wahrscheinlich für volle Tribünen in Edmonton sorgen wird.