Sicherheitsmängel im Reglement

Von © Motorsport-Total.com
Henry Surtees hatte bei dem Formel-2-Unfall keine Chancen auszuweichen
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Die Motorsportwelt trauert derzeit um Henry Surtees, den Sohn des ehemaligen Formel-1- und Motorrad-Weltmeisters John Surtees. Der 18-Jährige erlitt am Sonntag im zweiten Formel-2-Rennen im britischen Brands Hatch einen schweren Unfall und wurde anschließend im Royal London Hospital für tot erklärt.

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"Henry folgte ab dem Moment, als er zum ersten Mal in einem Kart saß, seinem Herzen", erklärt Surtees sen. in einem Statement.

"Er bemühte sich um die Balance zwischen Motorsport und Schule und hatte gerade sein Abitur abgeschlossen. Er genoss die Freiheit, sich auf den Motorsport konzentrieren zu können. Er hätte die Möglichkeiten gehabt, die Spitze zu erreichen. Trotz seines jungen Alters war er reif, er hatte ein gutes technisches Verständnis und einen guten Speed."

Surtees sen. wusste um das Risiko

"Vor allem aber", fügt der trauernde Vater an, "war er eine sehr nette Person und ein liebenswürdiger Sohn. Wir werden ihn sehr vermissen." Doch Surtees sen. wusste, wie gefährlich der Motorsport sein kann. Er sehe die Gefahr rational, hatte er im März gesagt, als bekannt gegeben wurde, dass sein Sohn in der Formel 2 an den Start gehen würde. Außerdem mache er sich auch um seine Tochter Sorgen, die den ebenfalls risikoreichen Reitsport ausübt.

Surtees sen. damals: "Im Sport ist niemand gezwungen, etwas zu tun, und man muss akzeptieren, dass auch Fehler passieren können. Ich bin fest davon überzeugt, dass man die Leute nicht ihr Leben lang in Watte packen sollte. Sobald Kinder größer werden, sind sie Risiken ausgesetzt. Sich nur zum Spaß Risiken auszusetzen, ist dumm. Aber es ist nicht nur notwendig, sondern wünschenswert, dass man gut durchdachte Risiken eingeht, um seine Ziele zu erreichen."

Der Verstorbene hatte seinen Vater erst kürzlich als "großartigen Unterstützer meiner Karriere" bezeichnet: "Natürlich streiten wir manchmal und ich bin der Erste, der ihm sagt, wenn er sich irrt, aber es ist fantastisch, ihn bei den Rennen bei mir zu haben. Er gibt mir tolle Ratschläge, denn er war vor seiner Fahrerkarriere Ingenieur und kennt sich wirklich aus. Ich muss aber ich selbst sein, denn ich bin derjenige, der am Steuer sitzt, und es hängt alles an mir."

Keine Sicherungen für die Räder

Am Sonntag hatte er keinen rettenden Schutzengel an der Seite, als er von einem herumfliegenden Rad von Jack Clarke getroffen und bewusstlos geschlagen wurde. Surtees kam daraufhin in einem schnellen Rechtsbogen von der Strecke ab und schlug in der Sheene-Kurve in spitzem Winkel in die Leitplanken ein. Nach dem Transport erst ins Medical-Center an der Strecke und dann mit dem Helikopter ins Krankenhaus konnte aber nur noch sein Tod festgestellt werden.

Ironie des Schicksals: "Heute stirbt man wohl nur, wenn man von einem herumfliegenden Rad getroffen wird", hatte Grand-Prix-Legende Stirling Moss wenige Tage zuvor bei einem Besuch in Österreich prophetisch über die Risiken des Motorsports gesagt. Aber wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass sich Clarkes linkes Hinterrad selbstständig machte, wo es doch zumindest in der Formel 1 längst Vorschrift ist, dass die Räder über spezielle Seile gesichert werden?

Das Formel-2-Reglement enthält keine solche Passage. Artikel 17.1 des Technischen Formel-2-Reglements der FIA verweist zwar auf die Sicherheitsartikel 14.1, 14.2, 14.3, 14.4, 14.6, 14.8 und 14.9 des Technischen Formel-1-Reglements, doch der Verweis auf den entscheidenden Artikel 14.7 ("Wheel retention") fehlt. Auf Anfrage von "Motorsport-Total.com" wollte eine Vertreterin des FIA-Mediendelegierten Simon Melluish keine Auskunft dazu geben: "Kein Kommentar."

Polizei plant keine Ermittlungen

Ein Sprecher der Polizei von Kent stufte die Tragödie als "tragischen Unfall" ab. Ermittlungen werden wohl nicht stattfinden: "Es war ein Motorsportunfall und nichts Verdächtiges." Doch jeder tödliche Unfall im Motorsport wirft unweigerlich die Sicherheitsfrage auf, die sich die Verantwortlichen nun wieder stellen müssen. Gerade die Formel 2 hatte man vor dem Start in dieser Saison als Flaggschiff im Nachwuchsbereich positioniert und beworben.

Doch keine Sicherheitsdiskussion kann Surtees wieder zurückbringen. Der junge Brite hatte im Rennen zuvor gerade seinen ersten Podestplatz in der Formel 2 eingefahren. Im Jahr zuvor war er aufgefallen, als er beim Saisonfinale der Britischen Formel 3 in seinem Debütrennen auf Anhieb die nationale Klasse gewann. Sein damaliger Arbeitgeber Trevor Carlin ließ heute ebenso Kondolenzen ausrichten wie viele andere Personen und Organisationen.

Kollegen trauern um Surtees

"Unser Sport kann grausam sein, aber am grausamsten ist er, wenn er ein Leben fordert", sagt zum Beispiel Surtees' ehemaliger Tutor Andy Priaulx, der in der Formel BMW mit dem Verstorbenen zusammengearbeitet hatte. "Ich bin im Herzen bei seinen Eltern, John und Jane Surtees. Als Rennfahrer und Vater eines Sohnes, der eines Tages ebenfalls in meine Fußstapfen treten könnte, kann ich mir kaum vorstellen, wie man mit so einem Verlust zurechtkommen soll."

Auch BRDC-Präsident Damon Hill schließt sich den Beileidsbekundungen an die Surtees-Familie an und betont außerdem: "Henry war eine strahlende Hoffnung für die Zukunft. Seine Freunde im BRDC-Rising-Stars-Programm und im gesamten Klub werden ihn sehr vermissen." Und A1GP-Boss Tony Teixeira meint: "Dieser Unfall zeigt die Gefahren des Motorsports auf und rückt die Perspektiven im Leben wieder zurecht."

"Ich hoffe", meint er weiter, "dass Jane und John ein wenig Trost daraus schöpfen können, um den Respekt zu wissen, den sie in der Motorsportwelt genießen. Unsere Gedanken sind in dieser schwierigen Zeit bei ihnen." Teixeira hatte Surtees schätzen gelernt, als dieser das britische A1GP-Team leitete.

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