Ethik-Kommission der IAAF ermittelt

SID
Lamine Diack ist der Präsident der IAAF
© getty

Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hält sich nach den "ARD"-Enthüllungen über systematisches Doping und Korruption im russischen Sport bedeckt und verweist auf laufende Ermittlungen.

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Die Leichtathletik reagiert demonstrativ geschockt, doch der Weltverband IAAF und die Anti-Doping-Kämpfer der WADA bemühen sich nur zögerlich um Aufklärung: Die "ARD"-Enthüllungen über staatlich unterstütztes Doping und massive Korruption in Russland könnten die olympische Kernsportart ein weiteres Stück ihrer ohnehin schwer beschädigten Reputation kosten.

"Für mich war das ganz fürchterlich. Es ist ekellerregend, was dort über die Sportart berichtet wurde", sagte Helmut Digel, Ehrenpräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und Mitglied des IAAF-Council, dem "SID": "Wenn sich diese Anschuldigungen bewahrheiten, dann ist damit das ganze internationale Anti-Dopingsystems infrage gestellt. Es hätte fatale Konsequenzen für das Kontrollsystem."

Eine "ARD"-Dokumentation hatte akribisch aufgezeigt, dass im russischen Sport flächendeckend und maßlos manipuliert, dies von den nationalen Anti-Doping-Agentur RUSADA gedeckt und von Stellen den IAAF zumindest toleriert wird. "Die Ethik-Kommission der IAAF ist nun gefragt, aber ebenso russische Gerichte und auch die WADA. Über ihre Untersuchungen muss die Öffentlichkeit unterrichtet werden", sagte Digel.

WADA schiebt Verantwortung weiter

IAAF und WADA vermittelten in ersten Reaktionen aber keineswegs den Eindruck, schnell und kompromisslos aufräumen zu wollen. "Die IAAF hat die ernsten Anschuldigungen bezüglich Doping-Aktivitäten in der russischen Leichtathletik zur Kenntnis genommen", teilte die IAAF auf "SID"-Anfrage mit: "Eine Untersuchung der Ethik-Kommission ist bereits auf den Weg gebracht."

Die Kommission sei unabhängig und mit vollen Befugnissen ausgestattet, arbeite schon länger am Thema Russland - bislang drang davon aber wenig nach außen. Auf die in der "ARD" geäußerten Anschuldigungen, die IAAF sei direkt oder indirekt in Betrugs- und Korruptions-Fälle involviert, ging der Verband nicht ein.

Für die WADA, deren System auch auf funtionierenden nationale Agenturen fußt, wäre eine Beteiligung der RUSADA an Doping-Vertuschung ein schwerer Schlag. Dennoch schob die WADA die Verantwortung weiter: "Wir haben in der Tat bereits Informationen und Beweismaterial von der Art erhalten, wie es in der TV-Dokumentation beigebracht wurde. Alle Informationen wurden an die geeignete, unabhängige Stelle der IAAF weitergeleitet. Wir erwarten nun das Ergebnis von deren Beratungen."

Die russischen "Dopingfahnder" der RUSADA taten die Anschuldigungen aus Deutschland als mutwillig gestreute Gerüchte ab. "Wir haben keine wirklichen Dokumente, die jene Anschuldigungen bekräftigen", sagte RUSADA-Generaldirektor Nikita Kamajew: "Solange es kein offizielles Gesuch der Welt-Anti-Doping-Agentur in dieser Sache gibt, sind dies für uns nichts anderes als schamlose Spekulationen."

"Da muss man vorsichtig sein"

Zurückhaltend gibt man sich auch im deutschen Lager. "Die Anschuldigungen wiegen natürlich schwer", sagte DLV-Präsident Clemens Prokop: "Bislang sind das aber nur Gerüchte, die gibt es auch über andere Länder, da muss man vorsichtig sein. Aber ich gehe davon aus, dass IAAF und WADA dies aufarbeiten werden."

Daran hat Doping-Bekämpfer Werner Franke seine Zweifel: "Aus Russland wird nie etwas rauskommen", sagte der Heidelberger Molekularbiologe. Die Aufregung über die ARD-Enthüllungen nannte Franke "naiv": "In Russland sind doch heute noch die selben Gangster in der Verantwortung wie früher. Wie kann man da annehmen, dass sich etwas geändert hat. Die gesamte russische Sportspitze ist gedopt, Leichtathleten, Gewichtheber, Ringer, Schwimmer."

Bei Topathleten schlugen die Enthüllungen dennoch hohe Wellen. "Die Doku auf "ARD" war schockierend", twitterte beispielsweise Stabhochsprung-Weltmeister Raphael Holzdeppe: "Wir können nur mit gutem Beispiel vorangehen und weiteren sauberen Sport betreiben." Die britische Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe schrieb: "Davon bekomme ich Bauchschmerzen, das ist ein Albtraum für den Sport." Und Ruder-Legende Sir Matthew Pinsent (Großbritannien) ergänzte: "Das wirft einen Schatten auf Russlands Olympiaergebnisse."

Doku liefert belastende Dokumente

Die "ARD"-Sendung "Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht" hatte am Mittwoch zahlreiche Zeugenaussagen und belastende Dokumente zu systematischem Doping im russischen Spitzensport, vor allem in der Leichtathletik, geliefert. Entscheidende Kronzeugen in der Dokumentation waren Julia Stepanowa, derzeit wegen Dopings gesperrte 800-m-Läuferin, und ihr Mann Witali Stepanow, zwischen 2008 und 2011 Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA.

Zudem hatte Lilia Schobuchowa, jahrelang eine der weltbesten Marathonläuferinnen und derzeit ebenfalls wegen Dopings gesperrt, vor laufender Kamera erklärt, dass sie sich durch eine Zahlung von umgerechnet 450.000 Euro ihren Start bei den Olympischen Spielen 2012 in London erkauft hat. Die schockierendste Zahl nannte Diskuswerferin Jewgenia Pescherina: "Die meisten Athleten dopen, der größte Teil, 99 Prozent."

Auch Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz reagierte geschockt auf den Bericht: "Sollte es so stimmen, wäre es für alle ein Schlag ins Gesicht", sagte Lambertz am Rande der Kurzbahn-WM in Doha dem "SID": "Man wird nie ausschließen können, dass ein Athlet so etwas macht. Wenn es aber ein ganzes Land systematisch macht, dann ist es das Schlimmste."

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