Am Rande des Wahnsinns

Vincent Feigenbutz will sich gegen Giovanni De Carolis den WBA-Gürtel sichern
© getty

In Offenburg kommt es am Samstag zum Rückkampf zwischen Vincent Feigenbutz und Giovanni De Carolis. Nach dem fragwürdigen Urteil im ersten Aufeinandertreffen geht es in der Baden-Arena für den Deutschen allerdings um weit mehr als Wiedergutmachung. Auf dem Spiel steht auch der vakante WBA-Titel im Supermittelgewicht - und damit die Möglichkeit Geschichte zu schreiben.

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"Ich habe ihm tausend Jabs in die Fresse geballert, man sieht ja auch seine blauen Augen, von daher habe ich klar gewonnen. Ich habe stärkere Sparringspartner als den Gegner heute. Für mich hat der Typ klar verloren. Wir können ja einen Rückkampf machen. Wenn ich gesund bin, dann mache ich ihn richtig platt", hallt die Stimme von Vincent Feigenbutz, dem Interims-Weltmeister der WBA, durchmischt von Pfiffen seines Heimpublikums aus den Lautsprechern der Karlsruher DM-Arena.

Sein Gegner, Giovanni De Carolis, der nach den Planungen des Sauerland-Stalls lediglich nach Deutschland gekommen war, um für Feigenbutz als Zwischenschritt auf dem Weg an die Spitze des Supermittelgewichts zu dienen, steht konsterniert neben dem Sieger. Der Grund für seine Fassungslosigkeit sind jedoch nicht die Worte seines Kontrahenten, die der Italiener nicht versteht, sondern viel mehr das Urteil der drei Punktrichter, die den Kampf allesamt für Feigenbutz gewertet haben.

Kritik von allen Seiten

De Carolis, der mit einer couragierten Leistung sowie einem Niederschlag in der ersten Runde überzeugte, war mit seiner Irritation nicht allein. Er lag an diesem Abend nicht nur in der Gunst der Zuschauer vorne, sondern auch auf den Zetteln der Experten. "Für mich lag Feigenbutz nach Punkten hinten. Er hat sich durchgeschummelt", analysierte etwa Axel Schulz. "Er ist noch nicht bereit für große Kämpfe. Er muss noch Erfahrung sammeln", stimmte WBO-Weltmeister Arthur Abraham zu und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Abraham dürfte in diesem Moment vor allem an die Attacken des 20-Jährigen gegen seine Person gedacht und sich bezüglich seiner Antwort bestätigt gefühlt haben. "Hab nicht so eine große Fresse, du hast doch noch nicht mal eine Mücke geschlagen. Werde erstmal ein großer Boxer und reiß dann den Mund auf", hatte der Weltmeister Aussagen von Feigenbutz, dass dieser ihn "einfach umhauen" und in "Rente schicken würde", vor dem Kampf gegen De Carolis in der Bild gekontert und den Stallkollegen zudem als "Nichts" bezeichnet.

Auch bei weniger bekannten Kollegen kommt das Karlsruher Talent nicht immer an. "Mir gefällt das nicht. Wenn man noch überhaupt nichts nachgewiesen hat und bislang mit Ausnahme von Giovanni De Carolis nur Aufbaugegner hatte, sollte man vorsichtiger sein. Er sollte erstmal kleinere Brötchen backen. So habe ich das zumindest in meiner Erziehung gelernt. Das muss aber jeder selbst wissen", sagte etwa Stefan Härtel im SPOX-Interview über den vermeintlichen Heilsbringer des deutschen Boxsports", bei dem sich Henry Maske gar einst an "den jungen Mike Tyson" erinnert fühlte.

Eine Rolle rückwärts

Dass seine Worte nicht angemessen waren, hatte auch Iron Junior erkannt. "Ich habe mich sofort entschuldigt. Erst bei De Carolis, dann bei allen anderen auf der anschließenden Pressekonferenz", ruderte der seit 2014 bei Sauerland unter Vertrag stehende Karlsruher, an dessen geistiger Gesundheit aufgrund seiner Kampfeinschätzung von einigen Fans bereits gezweifelt worden war, zurück.

"Im Nachhinein war der Druck, in meiner Heimatstadt zu kämpfen, immens hoch und in der Schule standen kurz darauf Zwischenprüfungen an. Das alles in Kombination mit Adrenalin hat mich zu diesen Äußerungen veranlasst", fuhr Feigenbutz, dessen mitunter ungestüme und leicht verrückte Ansichten zumindest etwas auf das Alter zurückzuführen sind, fort.

Er sei kein "prügelnder Fiesling", erklärte der Feinmechaniker-Azubi der Karlsruher Stadtwerke. Er habe aus der Sache gelernt und werde sich "nicht mehr so leicht aus der Reserve locken lassen und einfach lachen", so Feigenbutz. Die Kritik traf ihn dennoch. "Ich bin schockiert, was alles behauptet wird und wie ich teilweise angefeindet werde", sagte der deutsche Shootingstar aus dem Karlsruher Stadtteil Daxlanden gegenüber der Sport Bild. Sein Manager drohte derweil mit einem Abschied aus Deutschland.

"Wenn weiterhin alle nur auf ihn einprügeln, müssen wir uns überlegen, künftig lieber im Ausland zu boxen", erklärte Rainer Gottwald. "In jedem anderen Land gäbe es einen Hype um so einen Boxer. Nur in Deutschland hackt man gern auf den eigenen Leuten herum." Statt dem Weg ins Ausland bietet sich seinem Schützling nun allerdings die Chance zur Wiedergutmachung - und ein Platz in den Geschichtsbüchern des Boxsports.

Mehr als Wiedergutmachung

Im zweiten Aufeinandertreffen mit De Carolis erhält Feigenbutz die Möglichkeit, der jüngste Weltmeister aus Deutschland zu werden und damit die Bestmarke Graciano Rocchigianis, dem dies im Alter von 24 Jahren erstmals gelang und der in Feigenbutz einen "Durchschnittsboxer" sieht, zu unterbieten. Zu Beginn der Kampfwoche bestätigte die WBA, dass es sich um ein Duell um den regulären Gürtel des Verbandes handeln wird.

"Wir haben ein Fax erhalten, in dem bestätigt wurde, dass es ein WM-Kampf ist", teilte Sauerland-Sprecher Thomas Schlabe mit. "Das ist eine große Sache, ein Lebenstraum. Mir fehlen die Worte", zeigte sich Feigenbutz über die Fügung des Schicksals, die möglich wurde, da die WBA nach dem Aufstieg des US-Amerikaners Andre Ward ins Halbschwergewicht den eigentlichen Titelträger aus Russland, Fedor Chudinov, kurzerhand zum Super-Champion ernannt und den regulären Gürtel gleichzeitig für vakant erklärt hatte, überglücklich.

Um seinen Traum erfüllen zu können, investierte der 20-Jährige bereits vor der Verkündung der WBA seine gesamte Energie in die anstehende Aufgabe. Die Vorbereitung fand dieses Mal aber nicht in den slowenischen Bergen statt, sondern im heimischen "Bulldog"-Gym in Karlsruhe. Kurze Wege sowie eine perfekte Rundumversorgung sollten eine erneute Erkrankung im Vorfeld des Kampfes verhindern und für einen Feigenbutz in Bestform sorgen.

"Schweiß und Tränen statt Gans, Böller und Schampus"

Unter dem Motto "Schweiß und Tränen statt Gans, Böller und Schampus" arbeitete Feigenbutz, der erst seit vier Jahren aktiv im Ring steht, unter Trainer Hansi Brenner in den vergangenen Wochen an einer geeigneten Taktik, De Carolis in die Schranken zu weisen.

"De Carolis hat uns im ersten Kampf natürlich überrascht. Er hat komplett anders geboxt, als jemals zuvor und war viel stärker als gegen Abraham. Vincent war einfach nicht komplett fit an diesem Abend. Jetzt ist das anders. Wir sind optimal vorbereitet", gab sich Brenner zuversichtlich und verglich den Kampf am Samstag mit der Schlacht im Teutoburger Wald aus dem Jahr neun nach Christus. "Das wird 2000 Jahre später 'Die Schlacht im Schwarzwald' und Vincent wird Giovanni, wie damals die Germanen die römischen Legionen, vernichten!"

Sein Gegenüber ist sich der Chance seines Lebens allerdings ebenfalls bewusst. "Ich weiß, dass ich diese erneute Möglichkeit verdiene und werde sie dieses Mal auch nutzen", kündigte der Italiener im Interview mit ran.de an. Er habe sich "gut auf den Kampf vorbereitet" und werde am Samstag wieder sein bestes im Ring geben, erklärte der 31-Jährige im Vorfeld. "Wenn alles passt, schlage ich Vincent und bin der neue Champion", sagte De Carolis. Zum Thema Psychospielchen hat er indes eine ganz eigene Meinung.

"Die Stunde der Wahrheit"

Diese hätten überhaupt keine Aussagekraft, "so lange man nicht Muhammad Ali ist", scherzte der Römer. "Vor unserem ersten Duell war Vincent sehr von sich eingenommen und arrogant. Als wir uns dann kurz vor dem ersten Gongschlag in die Augen blickten, haben seine Augenlider angefangen zu zucken. Damit will ich zum Ausdruck bringen, dass vieles meist nur Fassade ist."

Ungeachtet seiner Aussagen ließ es sich der Italiener jedoch nicht nehmen, auf seiner Facebook-Seite die Karikatur eines weinenden Feigenbutz' zu posten, dem er lachend den Kopf schert. Zudem legte De Carolis auch verbal mehrfach nach.

Sonderlich beeindrucken dürften diese Attacken allerdings weder Feigenbutz noch Promoter Kalle Sauerland. "Vincent kann am Samstag Boxgeschichte schreiben - und das wird er auch", zeigte sich Sauerland unter der Woche sicher und fügte im Hinblick auf die "Die Stunde der Wahrheit", wie der Kampf in der Baden-Arena angepriesen wird, hinzu: "An Spannung und Dramatik ist dieser Kampf nicht mehr zu überbieten."

Ein unstrittiges Urteil wäre allerdings noch wichtiger, vor allem da im Anschluss ein Kampf gegen den Sieger des Duells zwischen Chudinov und Sturm winken könnte.

Die Titelträger der großen Verbände auf einen Blick

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