Ein Hauch von Wahnsinn

Wladimir Klitschko (l.) will Tyson Fury in Düsseldorf ausknocken
© getty

Am Samstag (ab 22.45 Uhr im LIVETICKER) kommt es in der Düsseldorfer ESPRIT Arena zum Duell zwischen Wladimir Klitschko (64-3-0) und seinem britischen Herausforderer Tyson Fury (24-0-0), der sogar mit einer Kampfabsage drohte. SPOX hat beide Kämpfer auf Herz und Nieren geprüft. Das Head-to-Head.

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Vorbereitung

Wie vor dem Duell mit Bryant Jennings musste Wladimir Klitschko aufgrund einer Verletzung auch das Aufeinandertreffen mit Tyson Fury verschieben. War es Anfang des Jahres ein gerissener Bizeps, der den Ukrainer stoppte, so handelte es sich diesmal um einen Sehnenriss in der linken Wade. Das Trainingslager musste er unterbrechen und sich einer Behandlung beim ehemaligen Bayern-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt unterziehen.

"Er ist der beste Mann für solche Behandlungen", zeigte sich Manager Bernd Bönte schnell zuversichtlich. Die Verschiebung hielt sich entsprechend im Rahmen, bereits kurze Zeit später stand der neue Termin im November fest. Auch die depressiven Phasen seiner Verlobten Hayden Panettiere nach der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes werden ihn nicht kalt gelassen haben. Dennoch: Klitschko hat die Vorbereitung wie gewohnt absolviert und sich in optimale körperliche Verfassung gebracht.

"Wladimir ist nicht nur der beste Boxer, sondern auch der, der am härtesten an sich arbeitet", betonte Trainer Johnathon Banks nicht umsonst. Zudem gab es Hilfe von außen. Unter anderem Mariusz Wach, der 2013 gegen Klitschko seine einzige Niederlage kassierte, absolvierte einige Einheiten mit dem Weltmeister und sollte vor allem die Größe Furys simulieren. Auf der Gegenseite zog das Lager des Briten alle Register.

"Ich habe den glorreichen Kickbox-Weltmeister Rico Verhoeven einfliegen lassen", sagte Peter Fury, Trainer und Onkel des Herausforderers, dem Mirror: "Wir konnten daraus eine Menge lernen." Doch damit nicht genug, auch weitere Kickboxer wurden herangezogen. "Sie spielen nicht herum, sie meckern nicht. Auch wenn sie getroffen werden, sie gehen immer nach vorne", so Peter weiter. Generell verlief das Camp ohne Ablenkungen oder Verletzungen.

SPOX-Urteil: Unentschieden

Erfahrung

Klitschko? Erfahrung pur! In seiner langen und erfolgreichen Karriere stand der Champion insgesamt 346 Runde im Ring, seit mehr als einer Dekade hat der Ukrainer keinen Kampf mehr verloren und seine Gürtel gegen sämtliche Herausforderer, die sich ihm in den Weg stellten, verteidigt - und das auf den größtmöglichen Bühnen rund um den Globus.

Da zudem aus der Zeit vor seinem Wechsel ins Profi-Lager über 140 Kämpfe, Silber bei den Europameisterschaften 1996 und eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen im gleichen Jahr zu Buche stehen, gibt es nichts, was ihn noch aus der Ruhe bringen kann.

Sein Gegenüber ist der Sohn des ehemaligen irischen Schwergewichtlers John Fury und trägt seinen Namen aufgrund der Faszination seines Vaters für Mike Tyson. Das Boxen liegt ihm im Blut. Mit einer überschaubaren Amateur-Bilanz von 35 Kämpfen, von denen er aber immerhin 31 für sich entschied, wechselte er 2008 zu den Profis. Er verbuchte 18 Knockouts in 24 siegreichen Kämpfen und stand dabei 134 Runden im Ring. Trotz einer weißen Weste handelt es sich um Zahlen, über die Klitschko wohl nur müde lächeln wird.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Tyson Fury im SPOX-Porträt: Superheld mit Therapiebedarf

Schlagkraft

Die Schlagkraft des Titelverteidigers sucht ihresgleichen, Klitschkos Spitzname "Dr. Steelhammer" kommt nicht von ungefähr. Eine Knockout-Quote von 79 Prozent unterstreicht dies eindrucksvoll, wenngleich wirklich imposante Niederschläge in den letzten Duellen, auch durch den fehlenden Druck ein Risiko eingehen zu müssen, selten waren. Der Kampf gegen Kubrat Pulev zeigte jedoch, dass seine Power nicht umsonst schon über 50 Fights vorzeitig beendet hat - und jedem Gegner zum Verhängnis werden kann.

Neben der knallharten Rechten profitiert Klitschko am meisten von seinem Jab, der gerne unterschätzt wird. Der Vorzeigeschlag des Champions dient nicht nur dazu, die richtige Distanz zum jeweiligen Gegner zu finden und auf den Scorecards der Punktrichter wertvolle Zähler zu sammeln, sondern verfügt auch über eine Härte und Präzision, die es im Schwergewicht selten gibt. Ergänzt mit dem linken Haken, ergibt sich ein potentes Arsenal, das bereits einige Opfer gefordert hat - und noch fordern wird.

"Ich glaube, niemand denkt, dass es über zwölf Runden gehen wird", prognostizierte Coach Banks entsprechend: "Oder zehn. Sie sind wie zwei Berge, die aufeinander krachen." Ein Selbstläufer dürfte es aber nicht werden. Fury verfügt über die Größe, um Klitschko auf Augenhöhe zu begegnen. Auch seine Knockout-Quote von 75 Prozent klingt gut.

In der Realität ist diese zu großen Teilen den Gegnern geschuldet, die vom Niveau her nicht ansatzweise an die seines Konkurrenten heranreichten. Fury verlässt sich immerhin nicht auf seine Power, sein Jab kann sich sehen lassen. Auch Aufwärtshaken gehören zum Repertoire des Außenseiters von der Insel, mit dem er Klitschko einheizen möchte.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Kinn

Die vermeintliche Schwachstelle, die Fury suchen muss, gibt es dabei in der Tat. Denn auch der Weltmeister hat eine Achillesferse, selbst wenn davon schon eine Ewigkeit nichts mehr zu sehen war. Dass Klitschkos Kinn nie das härteste war, ist kein Geheimnis. Es handelt sich seit Jahren um den einzigen Hoffnungsschimmer am Horizont, erreichen konnte ihn nach Lamon Brewster aber niemand mehr.

Der Grund hierfür ist simpel. Klitschko hat aus dem Brewster-Debakel die nötigen Lehren gezogen und seine Defensivarbeit deutlich verbessert. Eine Entwicklung, die er vor allem unter Trainer-Legende Emanuel Steward durchlief und die er immer weiter perfektionierte. Auch der Jab als Kontrollinstrument sowie teils eklatante Vorteile in Sachen Größe, Technik und Schlagkraft ließen ihn scheinbar unverwundbar werden.

Klitschkos Defensive fußt ferner auf seiner Offensive. Er war dabei vor allem eines: unheimlich effektiv. Wurde es doch mal eng, ging es in den Clinch. Etwas, dass diesmal jedoch nicht so einfach werden dürfte. Eine Niederlage musste Fury bislang nicht verkraften, am Boden war er aber bereits zweimal im Laufe seiner Karriere. Hauptgrund dafür war jeweils, dass der Herausforderer auf die Gürtel Klitschkos die notwendige Ernsthaftigkeit im Ring vermissen ließ und so in offene Schläge lief.

Allerdings steckte Fury die Niederschläge gut weg und kam, nachdem er wieder auf den Beinen war, nie ernsthaft in Bedrängnis eines Knockouts. Will er gegen den Champion punkten, dürfte sich diese Nehmerfähigkeit als elementar erweisen. "Der Knockout wird schnell, einfach und hart", kündigte er im Vorfeld jedenfalls vollmundig an.

SPOX-Urteil: Vorteil Fury

Seite 1: Vorbereitung bis Kinn

Seite 2: Ausdauer bis Fazit

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