"Thrilla in Manila": Es war Krieg

Muhammad Ali (l.) und Joe Frazier lieferten sich eine epische Schlacht
© imago

Die Duelle zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier bilden eine Trilogie, die in Sachen Intensität bis heute unerreicht ist. Der "Thrilla in Manila" am 1. Oktober 1975 war die letzte und entscheidende Schlacht zwischen The Greatest und Smokin' Joe. Anlässlich Alis Tod am 3. Juni 2016 blickt SPOX auf einen Kampf zurück, der die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit verschwimmen ließ.

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Es sind vertraute Stimmen, die Joe Frazier in all dem ohrenbetäubenden Lärm den Weg weisen. Mit seinen Augen versucht Smokin' Joe einen Blick von dem Mann zu erhaschen, der einst ein guter Freund war und nun sein größter Feind ist.

Alles was er sieht, sind jedoch nur schemenhafte Umrisse, die ineinander zu verschmelzen scheinen. Er neigt den Kopf, sucht unter all den Schatten, die sich inzwischen auch um ihn herum versammelt haben, nach einem Fixpunkt.

Erneut ist es ein bekannter Klang, der ihm hilft. "Das war's, Joe", bückt sich Eddie Futch zu seinem Schützling hinab: "Es ist vorbei."

Ihn durchfährt ein stechender Schmerz, als hätte ihm jemand eine Klinge mitten ins Herz gerammt. Er lehnt ab, bettelt: "Nein, Eddie, das kannst du mir nicht antun".

Es soll nicht so enden, nicht nach all den Jahren, den Verhöhnungen, dem Verrat. Frazier erhebt sich, doch eine Hand drückt ihn zurück auf seinen Stuhl.

Schwere Stunden im Big Apple

New York. Sommer 1967. Acht Jahre vor der Hölle von Manila schlenderte ein in Gedanken versunkener Muhammad Ali durch die Häuserschluchten des Big Apple. Desillusioniert von den Geschehnissen der vergangenen Monate, die ihn seines Traumes beraubt hatten, versuchte er die Ungerechtigkeiten zu verarbeiten. Tagein, tagaus. Immer wieder.

Seit er drei Jahre zuvor im Convention Center von Miami Beach als großer Außenseiter Sonny Liston bezwungen und sich so zum Weltmeister im Schwergewicht gekrönt hatte, trotzte Ali innerhalb des Seilgevierts zwar jedem noch so erbitterten Angriff, nun jedoch schien er zum ersten Mal machtlos. Dennoch ließ ihm seine Überzeugung keine Alternative. Es war sein Weg und er musste ihn gehen.

Er werde nicht "helfen, eine andere arme Nation zu ermorden und niederzubrennen, nur um die Vorherrschaft weißer Sklavenherren über die dunkleren Völker der Welt zu sichern", hatte Ali wiederholt und voller Inbrunst seine Haltung zum Vietnamkrieg kundgetan und sich zudem vehement für die Gleichberechtigung eingesetzt. Noch im Jahr seines Titelgewinns war Ali zum Islam konvertiert und hatte seinen ursprünglichen "Sklavennamen" Cassius Marcellus Clay jr., den er fortan als Beleidigung empfand, abgelegt.

Aufgrund seines Glaubens sowie der Rassendiskriminierung lehnte er es strikt ab, sich dem US-Militär zu verschreiben. Zu einer Zeit, in der noch immer der Vietnamkrieg tobte und bei großen Teilen der Bevölkerung Unterstützung fand, handelte es sich um eine Entscheidung, die für gewaltiges Echo sorgte und ihn als finale Konsequenz nicht nur seinen Titel, sondern auch seine Lizenz kostete. Lediglich eine Haftstrafe blieb ihm erspart.

Brüder im Geiste

Während Ali in der Folge seinen Lebensunterhalt überwiegend durch die Gagen für seine Reden finanzierte, intensivierte sich der Kontakt zu einem Landsmann. Die unnachgiebige Haltung und der Wille, sich notfalls für seine eigene Überzeugung zu opfern, rangen Frazier tiefen Respekt ab.

Der Boxer, der selbst aus ärmsten Verhältnissen in South Carolina stammte und bereits in jungen Jahren in der von alltäglichem Rassismus geprägten Kleinstadt Beaufort auf dem Acker schuftete, avancierte nicht nur zu einem Sprachrohr Alis, sondern unterstützte ihn auf alle erdenklichen Arten - auch finanziell.

Fußend auf dem gegenseitigen Respekt entwickelte sich eine Freundschaft, die ihren Höhepunkt in einer Reise Fraziers nach Washington fand, im Rahmen derer er sich vor dem Kongress sowie dem damaligen US-Präsident Richard Nixon für seinen "Bruder im Geiste" stark machte. Das Handeln für den Mann aus Louisville war jedoch nicht komplett selbstlos. Frazier brauchte Ali - und zwar im Ring.

Nachdem sich der damals 26-Jährige im altehrwürdigen Madison Square Garden gegen Jimmy Ellis selbst zum Weltmeister krönte und damit die einst für vakant erklärten Gürtel Alis aneignete, war es dessen Schatten, der sich wie ein Schleier über ihn legte und ihm die Luft zum Atmen nahm. Obwohl Frazier sein Ziel erreicht hatte, fehlte ihm doch die Legitimation der breiten Masse. Ein Makel, der sich in seinen Augen nur mit einem Sieg im direkten Vergleich ändern lassen könnte.

Als sich die Stimmung im Land gegen den Vietnamkrieg wendete, sollte das Warten ein Ende haben. Der Supreme Court erkannte den Lizenzentzug als unverhältnismäßig an, negierte die Entscheidung und erteilte Ali die lang ersehnte Freigabe. Die Freude, die sich zunächst auch bei Frazier einstellte, sollte sich allerdings bald in Entsetzen und Unverständnis verwandeln.

"Onkel Tom" der Gorilla

Dass Ali, der seit jeher über beachtliche rhetorische Fähigkeiten verfügte, seine Gegner auf der psychischen Ebene zu brechen versuchte, sie teils bis auf das Blut provozierte und dabei gerne auch unterhalb der Gürtellinie ansetzte, war nicht neu.

Die Dimension, die er in den kommenden Jahren bei Frazier erreichte, ließ dennoch alles Vergangene verblassen und sollte das Verhältnis beider Männer für immer prägen. Wenngleich Ali seine Aussagen in der Zeit nach Manila immer wieder als Kampf-Promotion herunterspielen und seinem Gegner Hochachtung zollen sollte, vergab ihm dieser nie gänzlich.

Über vier Jahre und zwei Kämpfe, von denen Frazier den ersten, Ali den zweiten gewinnen konnte, wurde aus einer von Respekt geprägten Freundschaft die wohl erbittertste und intensivste Rivalität der Box-Geschichte. Denn nicht nur der Kämpfer Frazier, sondern vor allem der Mensch dahinter wurde von seinem Widersacher degradiert, verhöhnt und verspottet. Dass er "der hässlichste Mensch im Boxen" und ein Gorilla sei, waren nur Bruchstücke der verbalen Tiraden, die der Linksausleger über sich ergehen lassen musste.

Auch sei "jeder Schwarze, der sich für Frazier ausspricht, ein Verräter", so Ali: "Die Einzigen, die ihm die Stange halten, sind Weiße in Anzügen, Sheriffs aus Alabama und Typen vom Ku-Klux-Klan." Vor allem jedoch die Bezeichnung als "Onkel Tom", also als eine Person, die den Weißen ohne Widerwille diene, musste Frazier bis ins Mark getroffen haben. Handelte es sich dabei um eine Diffamierung, die zur damaligen Zeit jegliche Grenze weit überschritt - und das ungeachtet des Versuches einen Kampf anzuheizen beziehungsweise zu promoten.

All der angestaute Hass sollte sich im Herbst des Jahres 1975 in einer letzten Schlacht entladen.

Gegensätze in einem zerrissenen Land

Als Ort hatte Promoter Don King die Philippinen auserkoren. Sowohl Ali als auch Frazier kamen bereits Wochen vor dem Duell nach Manila, um sich an das Klima zu gewöhnen. Ali genoss zudem die Aufmerksamkeit, sein Empfang glich dem eines Volkshelden.

Auch seine Liaison mit Veronica Porche, die er gegenüber Diktator Ferdinand Marcos als seine Frau vorstellte, konnte er fernab seiner eigentlichen Angetrauten, Belinda Boyd, ausgiebig intensivieren. Dass Belinda, als sie die TV-Bilder sah, nach Manila flog und Ali lautstark konfrontierte, dürfte angesichts dessen illustren Lebens als Betriebsunfall durchgehen.

Über die Ablenkung, die daraus entstand, machte er sich keine Gedanken. Nachdem Frazier gegen George Foreman eine krachende Niederlage durch technischen Knockout und den damit einhergehenden Verlust seiner Gürtel hatte verkraften müssen, ging man im Lager Alis, der sich den Titel durch einen Knockout beim "Rumble in the Jungle" gegen eben jenen Foreman zurückholen konnte, von einem entspannten Zahltag aus. Doch trotz aller Lockerheit - auf seine Psychospielchen wollte The Greatest nicht verzichten.

"It's gonna be a thrilla - and a chilla - and a killa - when I get the gorilla - in Manila", lautete sein Slogan nach Verkündung des Kampfes. Er sollte sich für immer in die Köpfe der Boxfans einbrennen. Unaufhörlich verspottete er Frazier, sabotierte unter anderem dessen Trainingseinheiten mit eigenen Auftritten. Unvergessen bleibt sein Auftritt zwei Tage nach der Ankunft, als er auf einer Pressekonferenz einen kleinen Spielzeug-Gorilla aus seiner Tasche hervorholte und immer wieder mit den Worten "auf geht's Gorilla, wir sind in Manila" auf ihn einschlug.

"Wenn ich ein Gorilla bin, muss er auch einer sein, schließlich haben wir die gleichen Vorfahren", gab sich Frazier trotz der Beschimpfungen nach außen hin gelassen: "Das ist ein Kampf zwischen ihm und mir. Alles was er sonst noch ins Spiel bringt, ist nebensächlich." Das Wissen, dass er seinen Erzfeind in wenigen Tagen endlich vor die Fäuste bekommen würde, dürfte seinen inneren Schmerz dabei zumindest kurzzeitig gelindert haben.

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