Zwischen Tyson und Great Wall

Taishan gilt als die neue Hoffnung aus dem Reich der Mitte
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Mit JianJun "Taishan" Dong hat der boomende Boxsport Chinas einen neuen Hoffnungsträger auserkoren. "The Great Wall" gilt als Naturgewalt, als roher Diamant, dessen Schliff über seine Zukunft entscheidet. Dass es überhaupt so weit kam, verdankt der Schwergewichtler jedoch vor allem dem Schicksal.

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Berge üben seit jeher eine magische Faszination auf die Menschheit aus. Sie gelten aufgrund ihrer schieren Größe als majestätisch, sorgen für Ehrfurcht und zuweilen gar Angst. Mit der Tatsache, dass sie sich nicht bewegen, vermag deshalb auf gewisse Weise eine beruhigende Wirkung einhergehen. Betritt JianJun Dong allerdings den Ring, könnte so mancher zumindest kurzzeitig ins Zweifeln geraten.

Denn der Spitzname "Taishan", der in einem der fünf heiligen Berge des Daoismus seinen Ursprung hat, kommt nicht von ungefähr. "Ich habe bis heute nichts Vergleichbares gesehen", erinnert sich Manager George Gallegos noch exakt an die erste Begegnung mit dem Mann aus dem Reich der Mitte. Allein die Anwesenheit des Chinesen lasse viele Menschen innehalten, sie geradezu erstarren, führt Gallegos weiter aus. Auch er selbst habe diese Erfahrung gemacht.

Wink des Schicksals

Dabei wollte Taishan vor etwas mehr als einem Jahr beim besten Willen weder Angst noch Schrecken verbreiten. Stattdessen war er auf der Suche nach Hilfe. Den Vater einer kleinen Tochter plagten Fragen bezüglich seines Visums, Antworten fand er keine. Gallegos, der hauptberuflich als Rechtsanwalt arbeitet und in dessen Kanzlei unter anderem chinesisch gesprochen wird, sollte jene für ihn finden. Er fand jedoch deutlich mehr.

Gallegos war von der Aura, die den Chinesen stets umgibt, sofort fasziniert. Nachdem auch er kurz innehalten musste, als Taishan den Raum betrat, entwickelte sich zwischen den beiden Männern schnell ein Gespräch, welches über die rechtliche Ebene hinausging. Eher beiläufig berichtete Taishan im Verlauf der Unterhaltung von seinen Plänen in den Vereinigten Staaten als Boxer Karriere zu machen. Gestand im gleichen Atemzug jedoch auch ein, dass er nicht so recht wisse, wie er dies eigentlich anstellen solle.

Dass er bei seinem Gegenüber offene Türen einrannte, dürfte der Riese, für den es nicht einmal passende Handschuhe zu geben schien, wohl kaum erwartet haben. Dennoch war er an der richtigen Adresse. Gallegos, selbst ein großer Box- und MMA-Fan und alles andere als ein normaler Anwalt, traute seinen Ohren kaum - und witterte eine Chance.

Yao Ming des Boxens

"Er sagte mir, dass er der Yao Ming des Boxens werden will", blickte der Anwalt unlängst zurück: "Ich allerdings glaube, er kann noch viel größer werden." Auch Taishans erster Trainer, John Bray, glaubte sofort an die Zukunft des Chinesen. "Oh mein Gott", sagte der erfahrene Coach, der selbst einst aktiv im Ring gestanden hatte, bereits nach wenigen Einheiten: "Er hat mir jeden Tag die Schultern rausgehauen." Selbst die größten Pads und Mitts hätten kaum Abhilfe schaffen können, zu groß sei die Power in den Händen des Giganten.

"Sein Schlag ist wie eine Dampframme", setzte Bray, der bereits mit Mike Tyson, Evander Holyfield und Lennox Lewis Sparringsrunden absolvierte, seine Beschreibung fort. Eigentlich habe er es nie für möglich gehalten, dass er jemals einem Menschen gegenüberstehen würde, der eine größere Schlagkraft als Tyson besäße, so der 45-Jährige. Dann habe er Taishan getroffen.

Bei einer beeindruckenden Größe von 2,13 Meter, 213 Zentimetern Reichweite sowie einem Gewicht von austrainierten 142 Kilogramm ein glaubwürdige Aussage. Handelt es sich dabei doch um Ausmaße, die einen Vergleich zur berühmten Chinesischen Mauer nahelegen.

Dennoch sei es laut Bray eine andere Eigenschaft, von der Taishan zurzeit am meisten profitiere: Er präsentiere sich als ein extrem lernfähiger und motivierter Schüler. Selbst die Sprachbarriere sei kein Problem.

Potential und Wille

Ein überaus wichtiges Kriterium für einen Athleten, der zwar über Erfahrungen im Muay Thai und MMA-Sport verfügt, jedoch über keinen Amateurhintergrund im boxerischen Bereich. Selbst an den grundlegendsten Elementen fehlte es dem Chinesen. Defizite, die auch ein Jahr später noch klar erkennbar sind.

Immerhin beherrschte der Linksausleger, der beispielsweise bei der Beinarbeit ein erhebliches Verbesserungspotential aufweist, nach kurzer Zeit zumindest die Grundlagen. So eignete er sich eine deutlich sicherere Positionierung der Beine sowie einen soliden Jab und recht ansehnliche Eins-Zwei-Kombinationen an. Ein guter Anfang, allerdings nicht mehr.

Auch hinter seiner Kondition und seinem Kinn steht ein großes Fragezeichen. Bislang musste der Chinese nur über maximal vier Runden gehen, ohne sich dabei auch nur ansatzweise zu verausgaben oder gar ernsthaft unter Druck zu geraten. Sollte ihm bei stärkeren Kontrahenten die Puste ausgehen, wären auch seine Power und die durchaus vorhandenen Ansätze letztendlich wertlos. Die Zukunft muss zeigen, was der Riese wirklich zu leisten im Stande ist.

Golden Boy Taishan

Viel wichtiger ist für die Hoffnung des chinesischen Boxsports allerdings erst einmal die Gegenwart. Und hier genügte das Gezeigte, um Golden Boy Promotions auf sich aufmerksam zu machen. Robert Diaz, der für die Promotion als Talentscout arbeitet, war direkt von den Fähigkeiten Taishans überzeugt. Der Vertragsschluss unter den Augen von Legende und Golden-Boy-Gründer Oscar De La Hoya die logische Folge. Für den 26-Jährigen ein entscheidender Schritt um Fuß zu fassen.

"Wir glauben an Taishan und seine Fähigkeiten", zeigte sich De La Hoya erfreut: "Er hat das Talent, den Speed und eine unbeschreibliche Power. Wir wissen zudem, wie man Weltmeister formt. Deshalb haben wir keinen Zweifel daran, dass er der Kämpfer werden kann, der er sein möchte." Doch damit nicht genug: "Was mich bei Taishan am meisten beeindruckt, sind seine unglaubliche Geschwindig- und Beweglichkeit", legte der 42-Jährige nach: "Vor allem bei seiner unglaublichen Größe."

Während sich die boxerische Laufbahn nach zwei Knockout-Siegen gegen Alex Rozman und Tommy Washington Jr. sowie einem einstimmigen Punktsieg gegen Roy McCrary noch in den Kinderschuhen befindet, ist die mediale Aufmerksamkeit bereits beachtlich. Das Marktpotential des Chinesen ist ohne Zweifel enorm und De La Hoya nach seiner aktiven Zeit vor allem Geschäftsmann.

"In diesem kurzen Zeitraum, in dem er in Amerika antritt, konnte Taishan bereits viele Fans gewinnen", weiß auch die Legende: "Wir erwarten, dass diese Fan-Basis weiter wachsen wird. Besonders je mehr die Öffentlichkeit von ihm zu sehen bekommt." Taishan könnte in der Tat der Schlüssel zum schwer zu erreichenden chinesischen Markt sein. Allerdings nur, wenn die Leistungen im Ring stimmen.

Zwischen Aura und Hype

"Jeder erinnert sich an Naturgewalten wie beispielsweise Andre the Giant", betonte Gallegos deshalb vor Kurzem: "Die meisten davon sind unbeweglich und langsam. Bei Taishan ist das anders, er kann sogar aus dem Stand in einen Spagat gehen. Er ist auch athletisch unglaublich." Beste Voraussetzungen für James "Buddy" McGirt, der den Chinesen weiter formen soll und mit Lamon Brewster, Audley Harrison und Antonio Tarver bekannte Namen unter seinen Fittichen hatte.

"Buddy hat mir gezeigt, wie ich mich entspannen und mein volles Potential abrufen kann", lobt Taishan die bisherige Zusammenarbeit: "Ich lerne das Boxen Schritt für Schritt. Er hat mir gezeigt, wie ich mich bei meiner Größe bewegen muss, um etwa meine Geschwindigkeit auszuspielen." Trotz Vorbildern wie Muhammad Ali und Mike Tyson sei es sehr wichtig, einen eigenen Weg zu gehen. Nur ein eigener Stil könne schließlich zur Ausschöpfung seines gesamten Potentials führen.

Hindernisse gibt es dabei genug. So gestalte es sich laut Gallegos unter anderem als überaus schwierig, geeignete Gegner zu finden. Ein erhebliches Problem für einen Boxer, der dringend wertvolle Erfahrungen innerhalb des Seilgevierts sammeln muss.

Gilt es doch von möglichst guten Gegnern zu lernen - ohne dabei jedoch unnötige Niederlage zu kassieren, die das Ende des frühen Hypes bedeuten könnte. Ein schmaler Grat, der allen Beteiligten wohl bewusst ist. Denn sobald ein Berg erstmals bezwungen wurde, verliert er immer auch einen Teil seiner Aura.

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