Eine beängstigende Dominanz

Fight Night in Moskau: Wladimir Klitschko boxt am Samstag gegen Alexander Powetkin
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Ausdauer

Zu Beginn seiner Karriere neigte Klitschko dazu, sich oftmals viel zu schnell zu verausgaben. Bei der Niederlage gegen Ross Puritty war der Ukrainer bereits vor dem Niederschlag stehend K.o.. Klitschko hat aber über die Jahre hinweg dazugelernt und weiß, wie er seine Kraft effektiv einteilen muss, um auch in seinem Alter problemlos über die volle Distanz gehen zu können.

Das muss Powetkin dagegen erst mal beweisen. Zu häufig wirkte der Russe in der Vergangenheit nicht vollkommen austrainiert. Das Paradebeispiel war der Fight gegen Huck, als Powetkin ab Mitte des Kampfes ernste Konditionsprobleme bekam und sich nur mit Mühe und Not über die Runden retten konnte. Beim Pressetraining in Moskau machte er aber eine gute Figur, die auch Klitschko nicht verborgen blieb: "Powetkin macht auf mich einen sehr austrainierten Eindruck." SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Körperliche Verfassung

Von der Physiognomie ist Klitschko seinem Kontrahenten - wie eigentlich fast immer - überlegen. Mit 1,98 Meter ist er etwa zehn Zentimeter größer als Powetkin. Auch die Reichweite spricht klar für den Ukrainer (206 cm zu 191 cm) und wird den Kampf nachhaltig beeinflussen.

Dass sich Klitschko in dieser Woche in einem Top-Zustand der Presse präsentierte, ist ebenfalls keine Überraschung. Im Gegensatz zu vielen anderen Divisionskollegen findet sich an Wladimirs Körper kein Gramm fett. Das ermöglicht ihm, trotz seiner Größe flink und wendig auf den Beinen zu sein.

Powetkin kann da zwar nicht ganz mithalten. Allerdings befindet er sich in einer weitaus besseren Verfassung als in der Vergangenheit. Ex-Champion Lennox Lewis fasste Powetkins körperliche Stärken einmal so zusammen: "Powetkin bewegt sich gut. Er ist stark und er boxt spielerisch." Diese gute Balance aus Masse und Beweglichkeit zeichnet Powetkin aus und ist dringend notwendig, wenn er Klitschko in Bedrängnis bringen will. SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Fähigkeiten

An Klitschkos technischen Fähigkeiten gibt es keinerlei Zweifel. Der Jab sucht im Schwergewicht seinesgleichen. Sein Cross ist eine Augenweide und kaum vorauszuahnen. Und wenn Klitschko seine Rechte auspackt, sollte man tunlichst in Deckung gehen. Auch in der Defensive verbesserte sich der Dominator der letzten Jahre seit seinen Niederlagen gegen Brewster und Sanders Schritt für Schritt.

Der White Tiger gilt seinerseits als gefährlicher Allrounder mit starkem Offensivdrang, der im In-Fight zum Besten gehört, was das Schwergewicht zu bieten hat. Powetkins variabler Boxstil und die Fähigkeit, gegnerische Salven auszupendeln und schnelle Kombinationen ins Ziel zu bringen, zeichnen ihn aus. Vor allem ist der Russe aber wegen seiner hohen Schlagfrequenz gefürchtet, die Klitschko sogar an eine Legende erinnert: "Powetkin ist ein Krieger im Boxring. Sein schwarzes Outfit, sein Stil und seine Schläge zeigen auch, dass Powetkin versucht, Mike Tyson zu kopieren. Und spätestens, als er mit Teddy Atlas gearbeitet hat, konnte man sehen, dass er Mike Tyson ähnlich sein wollte." Dadurch wird Powetkin allerdings auch anfällig für Konter. Ein weiteres Merkmal: das hohe Anfangstempo, dem Powetkin im Laufe des Kampfes häufig Tribut zollen muss. SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Mentale Stärke

Anders wie beim Kampf zwischen Klitschko und David Haye war man in den letzten Wochen vergeblich auf der Suche nach einer Portion Trash-Talk. Beide Kämpfer begegneten sich mit großem Respekt, wohl wissend, dass ein Duell zwischen einem Russen und einem Ukrainer alleine aus geschichtlicher Sicht genügend Zündstoff bietet.

Davon will Klitschko aber nichts wissen: "Eine Russe gegen einen Ukrainer, das hat einen schlechten politischen Beigeschmack. Diese Spaltung in einem Kampf möchte ich nicht hören und nicht haben. Aus meiner Sicht ist es ein Kampf zweier Protagonisten, die aus der gleichen Ecke kommen."

Von einem Psycho-Krieg kann also keine Rede sein. Dafür sind beide zu besonnen, insbesondere Powetkin. Ein kleines Psycho-Spielchen erlaubte sich Powetkin dann aber doch. Sein Team wollte ausgerechnet Dereck Chisora in Klitschkos Kabine schicken, wenn dort dessen Fäuste bandagiert werden. Ein reizvoller Gedanke. Die Aktion wurde inzwischen aber verboten, Chisora wird nur am Ring sitzen dürfen.

Es wird insgesamt interessant zu beobachten sein, wie der White Tiger mit der Amtosphäre in der Olimpijski-Halle zurechtkommen wird. "Vor eigenem Publikum zu boxen wird definitiv eher eine Unterstützung für mich sein als Druck", wischt Powetkin jegliche Bedenken vom Tisch. Nichtsdestotrotz ist Klitschko, den in Moskau wohl ein feindseliges Publikum erwarten wird, den Druck mehr gewohnt als er. SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Fazit

Die Vorzeichen sind klar. Klitschko ist der Favorit, Powetkin der Außenseiter. Zu erdrückend scheinen die physischen Vorteile des Ukrainers, zu dominant seine Fähigkeiten. Dennoch ist Powetkin nicht komplett chancenlos und stellt die größte Bedrohung seit Haye dar.

Der Russe sollte versuchen, Klitschko seinen Boxstil aufzudrücken. Er muss die Offensive suchen und darf sich nicht von seinem Gegner einschüchtern lassen, ansonsten bekommen die Zuschauer wohl das nächste Jab-Festival zu sehen.

Klitschkos Erfolgsrezept ist dagegen klar: den Kampf diktieren, mit seiner Führhand bei den Punktrichtern Eindruck schinden und Powetkin mit seiner Reichweite auf Distanz halten, damit dieser nicht in den In-Fight kommt. Sollte der Russe nach seiner zu erwartenden Anfangsoffensive in der Mitte des Kampfes Konditionsprobleme bekommen, könnte für Klitschko auch ein Knockout herausspringen - wenn er dies wirklich forciert und ein gewisses Maß an Risiko in Kauf nimmt, dass er wohl nicht unbedingt gehen müsste.

Allerdings wird Powetkin alles versuchen, um vor heimischen Publikum nicht zu Boden gehen. Alles andere als ein Sieg Klitschkos wäre trotzdem eine Überraschung. SPOX-Urteil: Punktsieg Klitschko.

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