Der vertraute Feind

Von SPOX
Pflichtherausforderer Tony Thompson (l.) trifft am 7. Juli auf Weltmeister Wladimir Klitschko
© Getty

Am Samstag muss Wladimir Klitschko seine vier WM-Gürtel gegen Tony Thompson verteidigen (22.30 Uhr im LIVE-TICKER). Für den Weltmeister ist der Kampf eine Reise in die Vergangenheit, die erneut das derzeitige Schwergewicht in Frage stellt. Der Tiger hat derweil das Wunder von Bern im Visier.

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Der wilde Kaiser. Der zahme Kaiser. Und mittendrin: der Box-Kaiser. Als Wladimir Klitschko Mitte Juni die Journaille in den berühmten "Stanglwirt" in der Nähe von Kitzbühel einlud, hatte die Szenerie etwas von Urlaub. Entspannung. Die Seele baumeln lassen.

Es ist eine lieb gewonnene Tradition, dass die Klitschko-Brüder zu einem gewissen Zeitpunkt in der Vorbereitung auf einen Kampf die malerische Kulisse der Tiroler Alpen suchen. Doch der Eindruck täuschte.

Kaum hatte der Weltmeister den provisorisch in der hoteleigenen Tennishalle aufgestellten Ring geentert, schien sich die Ferienatmosphäre in Luft aufgelöst zu haben. Nur vereinzelte Gäste, die sich in Bademantel gekleidet an der Tür geirrt hatten, erinnerten noch eine Oase der Erholung.

Thompson: Sparring mit Klitschko

Davon konnten Klitschkos Sparringpartner nur träumen. Kaum einer hielt mehr als zwei Runden durch, der Letzte wurde gar ausgeknockt. Auch Tony Thompson war einst in dieser Rolle.

2003 absolvierte er Sparring mit Wladimir, vor einigen Jahren machte er denselben Job für den größeren Bruder.

Am Samstag wird er Klitschko erneut im Ring gegenüberstehen. Wie 2008. Damals konnte er durch eine ordentliche Deckung und gute Nehmerqualitäten überzeugen, ohne den Ukrainer wirklich in Gefahr zu bringen. "Wladimir hat mir damals eine schmerzhafte Lektion erteilt", blickte er zuletzt auf die Niederlage in Hamburg zurück.

"Ich ging nur auf einem Bein"

In der elfen Runde küsste der Amerikaner nach einer harten Rechten den Ringboden. Doch für Thompson spielte eine Verletzung einer weitaus größere Rolle: "Es ist schwer genug, Wladimir Klitschko auf zwei Beinen zu boxen, ich ging damals praktisch nur auf einem Bein. Ich hatte einen angerissenen Meniskus im rechten Knie und konnte deswegen nicht richtig trainieren."

Dass er nun eine weitere Chance bekommt, hat Thompson seinen fünf Siegen in Folge und der IBF zu verdanken. Der Weltverband ernannte den Tiger, wie ihn seine Kinder nach einer Figur aus einer Cornflakes-Werbung tauften, zum Pflichtherausforderer.

Zum Missfallen einiger Kritiker, die in Thompson nicht mehr als einen weiteren Spielball für den Weltmeister sehen. Zwar wird allgemein erwartet, dass der Amerikaner durch seine körperliche Ebenbürtigkeit (Größe: 1,96 m, Reichweite: 207 cm) Klitschko mehr fordern wird als vor einigen Monaten Jean-Marc Mormeck.

Tiger visiert Rekord an

Die Möglichkeit eines engen Kampfes wird dennoch als verschwindend gering eingeschätzt. Zu dominant scheint Klitschkos Auftreten, zu zermürbend sein Jab. Und zu eindimensional die Offensiv-Fähigkeiten Thompsons, trotz einiger markiger Worte im Vorfeld.

"Ich werde es schaffen - am 7. Juli werden es alle sehen. Ich werde der erste Boxer sein, der mit 40 Jahren zum ersten Mal Weltmeister wird", tönte Thompson. "Ich werde den Titel in die USA zurückbringen. Dort warten alle Fans schon so lange auf die Gürtel, die die Klitschkos einfach nicht hergeben wollen."

Wladimir: "Beste Thompson aller Zeiten"

Die PR-Maschinerie des Weltmeisters wird es mit Wohlwollen aufgenommen haben. Ein wenig Show, ein wenig Trash-Talk haben sich schließlich noch nie negativ auf das Medienaufkommen rund um einen solchen Event ausgewirkt.

Auch Klitschko weiß das. Dass ein Boxer einen Fight, an dem er selber mitverdient, zudem bestmöglich vermarkten will, ist dabei verständlich und legitim. Und Thompson als Pflichtherausforderer kann nun mal selbst der Weltmeister nicht aus dem Weg gehen.

Vor allem die gemeinsame Vergangenheit wird der Ukrainer nicht müde zu betonen: "Er kennt mich in- und auswendig, besser als jeder andere Gegner. Ich denke, wir werden den besten Thompson aller Zeiten sehen."

Schwergewicht in einer Sackgasse

Dass ein 40-Jähriger allerdings erneut um die WM-Krone kämpfen darf, spiegelt mal wieder die derzeitige Tristesse im Schwergewicht wieder. Es mangelt in der einstigen Königsklasse des Boxens schlicht und ergreifend an veritablen Gegnern.

Powetkin, Helenius, Fury, Solis, Mitchell... Die Alternativen haben ein Duell mit dem Weltmeister in der Vergangenheit entweder abgelehnt, sind noch zu unerfahren oder nach einer schweren Verletzung weit entfernt von der persönlichen Topform.

Die Muppet Show wartet

Im englischsprachigen Raum hat man sowieso den Eindruck, als wäre der Klitschko-Kampf nicht mehr als eine nette Vorspeise. Am selben Tag treten Kelly Pavlik und Nonito Donaire in Kalifornien in den Ring. Und in der nächsten Woche kommt es im Londoner Upton Park zum brisanten Fight zwischen David Haye und Dereck Chisora.

Die "Muppet Show", wie es Klitschko ausdrückte, sorgte nicht nur wegen Lizenzproblemen für einen nicht möglich gehaltenen Hype auf der Insel.

Ob der Sieger dieses Duells allerdings nach den zahlreichen (verbalen) Attacken in den letzten Monaten wirklich noch mal die Chance bekommt, gegen das ukrainische Gürteltier zu kämpfen, darf bezweifelt werden. Fast so sehr wie ein amerikanisches Wunder von Bern.

Die Weltmeister der Verbände in der Übersicht

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