Die Schlacht des Straßenköters

Von Für SPOX in Stuttgart: Haruka Gruber
Das ständige Abducken von Alexander Powetkin führte zu keiner Verwarnung
© Getty

Betrug? Schiebung? Komplott? Der WM-Kampf zwischen Alexander Powetkin und Marco Huck wurde zu einem echten Rumble - mit dem falschen Sieger und einem triumphalen Verlierer. Powetkin sorgt für Kopfschütteln.

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In einer Nacht, in der Marco Huck sich der Seriosität verpflichtet hatte, war es eine kurze Rückkehr zu seinem früheren Selbst. Als Retourkutsche auf die teils seltsam anmutenden Äußerungen seines Kontrahenten Alexander Powetkin riss Huck eine Geschichte an, die sich vor ungefähr drei Jahren ereignet hat.

Powetkin, schon damals nach Meinung vieler der weltbeste Schwergewichtler hinter den Klitschkos, war mit seiner Entourage nach Berlin gereist und bereitete sich mit Huck als einer der Trainingpartner auf einen Kampf vor. Dabei zeigte sich der Russe im Sparring so chancenlos, "dass er sich seitdem nie mehr bei uns blicken ließ", sagte Huck und blickte rüber zu Powetkin.

Mann im Fokus: Luis Pabon

Dieser hatte sich für seine schwache Leistung im WM-Kampf von Stuttgart damit erklärt, dass er Huck nicht für voll genommen habe. Huck: "Du hast mich auf keinen Fall unterschätzt. Du hast mich in sehr, sehr guter Erinnerung." Sein Trainer Ulli Wegner pflichtete bei: "Marco hat Powetkin damals schön unter Strom gesetzt."

Doch all die rhetorische Überlegenheit blieb eine Staffage. Denn den wichtigsten Erfolg errang Powetkin. Im Ring. Dank der Hilfe von zwei der drei Punktrichter, die den Russen mit 116:112 und 116:113 vorne sahen, obwohl das Unentschieden des Dritten (114:114) der Wahrheit wesentlich näher kam.

Und dank des puertoricanischen Ringrichters namens Luis Pabon, der anfangs Hucks Runterdrücken des Gegners zu sachte bewertet hatte - und daraus für sich die Legitimation ableitete, Powetkin noch mehr durchgehen zu lassen.

Nicht anders ist es zu erklären, dass Powetkins ständiges Abducken kein einziges Mal verwarnt wurde.

Der "sexuelle Akt" von Powetkin

"Der Ringrichter kam vorher extra in der Kabine zu uns und mahnte uns dazu an, dass keiner mit dem Kopf runtergehen soll. Ich dachte schon, Powetkin wollte einen sexuellen Akt an mir ausüben", sagte Huck: "Betrüger gibt es überall, selbst im eigenen Land. Wie kann jemand gewinnen, wenn man selbst bei der Siegerverkündung noch wackelt?"

Powetkin schlug mit einer höheren Frequenz auf Huck ein, dieser jedoch traf wesentlich genauer und wirkungsvoller, so dass der Gegner wiederholt kurz vor dem K.o. stand. Dieser jedoch ließ mit dem Selbstverständnis eines Weltmeisters wissen: "Es gab keinen einzigen Schlag, der mich ins Wanken gebracht hat."

Von derlei Sperenzchen des Russen ließ sich Huck jedoch nicht provozieren, weder im Kampf noch bei der Pressekonferenz. Nach den letzten weniger überzeugenden Auftritten wurde ihm vorgeworfen, dass er sich nicht weiterentwickelt und durch die Annehmlichkeiten eines Box-Stars die innere Mitte verloren habe. Gegen Powetkin bewies Huck das Gegenteil: Sein Auftreten war gleichsam selbstbewusst wie konzentriert, sein Boxstil mutig wie aufregend.

Huck ist im positiven Sinn ein Straßenköter. Einer, der als Kriegsflüchtling mit seiner Familie nach Deutschland geflohen war und sich vom Asylbewerber zum Weltmeister durchbiss. Wer in der 12. Runde gegen Powetkin in das nicht von Blut beschmierte Auge blickte, sah jene Tugend, die Promoter Kalle Sauerland so beschrieb: "Ganz tief, irgendwo in Marcos Körper, sitzt dieses Kämpferische."

Powetkin: An der Grenze des Kollaps'

In der jüngeren Vergangenheit gab es zwei Boxer von Rang, deren Karrieren ausgerechnet durch eine Niederlage begründet wurden. Felix Sturm verlor 2004 in Las Vergas gegen den damaligen Superstar Oscar de la Hoya kontrovers nach Punkten. Ein Jahr zuvor musste sich Vitali Klitschko in Los Angeles Lennox Lewis und seinem blutenden Cut beugen.

Powetkin ist nicht das gleiche Kalibers eines de la Hoya und Lewis - dennoch sollte Hucks Leistung ähnlich gewürdigt werden. Huck war der erste Cruisergewichtler, der nach dem Aufstieg in die Königsklasse sofort einen WM-Kampf forderte und bekam. Und das nicht gegen irgendjemanden, sondern gegen den designierten Regenten der Schwergewichtsszene, sollten die Klitschkos abdanken.

Powetkin genoss anders als Spätstarter Huck eine fundierte Ausbildung, gewann als Amateur Gold bei Olympia, WM und EM - und war im Kampf fast zwölf Kilogramm schwerer als jeder Gegner, mit dem es Huck je zu tun bekam. Huck selbst nahm zwar knapp fünf Kilogramm zu, trotzdem blieb eine Differenz von neun Kilogramm.

Die fehlende Masse ignorierte Huck aber beflissentlich und brachte mit seinen Salven den nicht austrainierten Powetkin an die Grenze des Kollaps'. Explosiv, schnell, taktisch clever: Was fehlte, war nach der guten Vorbereitung mit der linken Führhand die Geduld beim Nachsetzen, um mit einem rechten Aufwärtshaken den Knockout zu erzwingen.

Rückkehr ins Cruisergewicht?

Ansonsten gab es wenig auszusetzen: "Ich habe nur 15 Amateurkämpfe bestritten und dominiere Powetkin, der im Amateurbereich alles gewonnen hat. Ich habe ihn nicht nur dominiert, ich habe ihn nach Strich und Faden verprügelt."

Dass der Sieger dennoch Powetin heißt, spottet jeder Beschreibung - und wäre der perfekte Aufhänger für ein Rematch. Dies sei aber erst im Herbst möglich, so Kalle Sauerland. Denn zuvor steht noch Powetkins Pflicht-Herausforderung gegen Hasim Rahman bevor.

Vor der Terminierung gäbe es ohnehin genug Fragen zu beantworten: Promoter-Übervater Wilfried Sauerland plädierte für eine Rückkehr von Huck ins Cruisergewicht. Huck selbst hält sich alles offen: Erst in eineinhalb Wochen muss er sich der WBO erklären, was er gedenkt.

Tritt er wieder im Cruisergewicht an, darf er den WM-Titel behalten. Bleibt er im Schwergewicht, muss er sich mit Aufbaukämpfen die Weltranglisten hochkämpfen.

Doch dass wäre nichts neues für den Straßenköter.

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