Der Prinz ist tot, es lebe der König

Von Bastian Strobl
Amir Khan wartet auf seine Chance gegen die Großen wie Floyd Mayweather und Manny Pacquiao
© Getty

Amir Khan gilt als die zukünftige Pound-for-Pound-Nummer eins im Boxen. In der Nacht von Samstag auf Sonntag verteidigt der bekennende Bolton-Wanderers-Fan und Superleichtgewichts-Weltmeister seinen Titel gegen den Amerikaner Lamont Peterson. SPOX blickt zurück auf eine Karriere, die einst mit einer Niederlage seines Idols angefangen hat und fast in Las Vegas ihr Ende gefunden hätte.

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Naseem Hamed liebte große Auftritte. Er lebte dafür. Nicht wenige sagen sogar: Er war dafür geboren. Ob auf einem fliegenden Teppich, in einem Chevrolet Impala oder per Aufzug - wenn der Prinz seinen Gang zum Ring zelebrierte, wurde geklotzt und nicht gekleckert.

Die Erwartungen waren dementsprechend groß, als der damalige Federgewichts-Weltmeister am 7. April 2001 sein Vegas-Debüt gab. Und die Zuschauer im legendären MGM Grand wurden nicht enttäuscht. Unter einem Feuerwerk betrat Hamed die Bühne, gab seinen Hüftschwung zum Besten, nur um wenige Augenblicke später mit einem Stahlgerüst über die Zuschauer zum Ring zu schweben. Siegfried und Roy wären stolz gewesen.

Früh mit den Kumpels vorm TV

Und noch jemand war stolz. Jemand, der in dieser Nacht über 8000 Kilometer entfernt im Wohnzimmer seines Elternhauses in Bolton lungerte, früh morgens zusammen mit seinen Freunden. Amir Khan kann sich an diesen Moment noch erinnern, als wäre es gestern gewesen: "Als Naz gegen Barrera geboxt hat, bin ich mit ein paar Kumpels extra aufgestanden, um ihn anzufeuern."

Doch es half nichts. Der als unbesiegbar eingeschätzte Hamed wurde in dieser Nacht von Marco Antonio Barrera nach allen Regeln der Kunst ausgeboxt. Die erste und einzige Niederlage seiner Karriere beendete zugleich den Mythos des Prinzen. "Es war, als würde eine Welt zusammenbrechen", so Khan im Rückblick.

Der Prinz war tot. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis das Vereinigte Königreich einen neuen Box-Monarchen begrüßen durfte. Eben jener Khan, mittlerweile unter dem Spitznamen King Khan bekannt, trat die Nachfolge Hameds an und versetzte die Insel nun in Euphorie.

"Geborener Kämpfer"

Dass Amir Khan eine große Karriere bevorstehen würde, wurde früh offensichtlich. Der Sohn pakistanischer Eltern räumte bereits im Jugendalter Titel am Fließband ab, unter anderem die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen der Junioren 2003. Für seinen Vater war Amir schon immer der "geborene Kämpfer". Ein Jahr später wurde er mit 17 Jahren jüngster britischer Boxer bei Olympischen Spielen seit 1976.

Dass er in Athen zudem Silber holte, erklärt sich dabei fast von selbst. Bereits damals sagte kein Geringerer als Evander Holyfied über ihn: "Der Kerl hat ein unfassbares Potenzial." Was allerdings seitdem fast noch beeindruckender war, ist die Fähigkeit Khans, sich immer weiter zu verbessern. Zugegebenermaßen, mit Anfang 20 ist es als Sportler immer einfacher, an seinen Schwächen zu arbeiten.

Und mit Freddie Roach, dem Coach von Manny Pacquiao, bekam Khan 2008 nach seiner Erstrunden-Niederlage gegen Breidis Prescott zudem den passenden Trainer an die Seite gestellt. Dank des Star-Trainers wurde aus dem talentierten, aber meist zu kopflos agierenden Nachwuchsboxer ein wahrer Wirbelwind, der eine Schlagfrequenz an den Tag legte, die seinesgleichen suchte. Roach lehrte dem bekennenden Wanderers-Fan allerdings auch, seine Schnelligkeit in der Defensive zu nutzen.

Sparring mit Pac-Man

Dass der Engländer darüber hinaus mit dem Pac-Man Sparring betreiben durfte, tat sicherlich sein Übriges dazu. Der Lohn war der Gewinn des Superleichtgewichts-Gürtels gegen den Ukrainer Andreas Kotelnik, der aus dem damals 22-jährigen Khan den drittjüngsten britischen Weltmeister aller Zeiten machte.

Trotz überzeugender Siege, unter anderem gegen den ehemaligen Weltmeister Paulie Malignaggi, wurden in der Folgezeit allerdings auch Rufe laut, wonach Khan mit seinem Glaskinn keinen Punch aushalten würde. Außerdem wurde auch sein Kämpferherz immer wieder in Frage gestellt.

Schlüsselkampf in Las Vegas

Zumindest bis zum 11. Dezember 2011 und seiner dritten Titelverteidigung gegen Marcos Maidana in Las Vegas. Ausgerechnet Las Vegas. Sollte Khan genauso wie einst Naseem Hamed bei seinem Debüt in Sin City eine bittere Niederlage erleiden?

Zu Beginn des Kampfes lief noch alles nach Plan. Khan schickte Maidana gleich in der ersten Runde mit einem Leberhaken zu Boden. Allerdings erholte sich der Argentinier und brachte den Weltmeister in der siebten Runde mit einem harten rechten Schwinger in Schwierigkeiten.

Doch die Dramatik sollte ungeahnte Höhen erreichen. In der zehnten Runde traf eine Rechte Khan genau am Kinn. Der Brite torkelte und taumelte durch den Ring und konnte sich nur mit Mühe und Not in die Rundenpause retten. Im Anschluss gab Freddie Roach sogar an, kurz davor gewesen zu sein, das Handtuch zu werfen.

Zum Glück entschied er sich dagegen. Denn in den letzten beiden Runden zeigte sein sichtlich angeschlagener Schützling Moral, holte sich beide Runden und entschied damit den Kampf für sich. "Es war ein Hammer-Kampf. Amir ist ein großartiger, talentierter Fighter. Und er hat heute auch gezeigt, dass er einen harten Punch aushalten kann", zeigte sich Maidana als fairer Verlierer. Spätestens mit diesem Erfolg setzte Khan ein Ausrufezeichen in der Box-Welt. Dass der Fight zudem als Kampf des Jahres ausgezeichnet wurde, war dabei ein netter Nebeneffekt.

Auf dem Boden geblieben

Dass sich Khan darauf allerdings nichts einbildet, spricht für sich. Sonst würde er beispielsweise nicht ab und zu bei seinen Verwandten in der Fast-Food-Bude in Bolton auftauchen und aushelfen. Sicherlich, ein gesundes Selbstbewusstsein gehört zu jedem Boxer dazu. Und ein wenig Trash Talk hat noch niemandem geschadet. Das weiß auch Khan und verteilte zuletzt in Richtung von Floyd Mayweather schon mal ein paar Spitzen: "Mayweather ist ein Angsthase. Er tut doch alles, um nicht gegen mich oder Manny Pacquiao antreten zu müssen."

Ob er allerdings schon für einen Kampf gegen den Pretty Boy oder Pac-Man bereit ist, darf derzeit noch bezweifelt werden. Trotzdem sagt sein Coach: "Amir ist weiter, als Manny es in diesem Alter war. Er wird in einigen Jahren die Pound-for-Pound-Nummer eins sein." Was für ein großes Lob für Khan, der mit seinen 25 Jahren immer noch am Anfang seiner Karriere steht. Umso beeindruckender, was der amtierende WBA-Superweltmeister bereits jetzt erreicht hat.

Vorbild auch außerhalb des Rings

Und zwar nicht nur im Ring, sondern auch außerhalb. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ist sich Khan bewusst, welche Rolle er auch in der Öffentlichkeit bzw. als Vorbild spielt.

2005 half er Erdbebenopfern in Pakistan, in Bolton sammelte er für einen schwer verbrannten Feuerwehrmann Spenden oder eröffnete mit seinem eigenen Geld Box-Gyms, um die Jugendlichen von der Straße wegzuholen.

Eine ganz besondere Ehre wurde ihm zuletzt zuteil, als Khan zum Botschafter für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr in London ernannt wurde. Im Zuge dessen will er den englischen Nachwuchsboxern bei der Vorbereitung auf das Turnier helfen. Nicht ganz ohne Hintergedanken: "Die Erfahrung 2004 in Athen war atemberaubend. Trotzdem ärgere ich mich immer noch, dass es nicht für Gold gereicht hat. Das war eines meiner Ziele, bevor ich Profi werden wollte."

Während Olympisches Gold ein unerfüllter Traum bleiben dürfte, hat Khan zumindest mit Naseem Hamed schon längst seinen Frieden geschlossen. Auf seine ganz eigene Art und Weise: Er besiegte 2009 eben jenen Barrera, der den Mythos seines einstigen Jugendidols zerbrach. Spätestens seit diesem Moment wusste ganz Großbritannien: Der Prinz ist tot, es lebe der König.

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