"Ulli Wegner schickt man nicht in die Wüste!"

Von Interview: Haruka Gruber
Ulli Wegner wurde dieses Jahr zum siebten Mal in Folge zu Deutschlands Trainer des Jahres gewählt
© Imago

Er ist der beste Trainer Deutschlands, doch die Blamage gegen Carl Froch in Helsinki hat auch bei Arthur Abrahams Coach Ulli Wegner tiefe Spuren hinterlassen. Der 68-Jährige über das angespannte Verhältnis zu Abraham und dessen Ausreden.

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SPOX: Wie haben Sie Arthur Abrahams deutliche Niederlage gegen Carl Froch verkraftet?

Ulli Wegner: Schlecht, sehr schlecht. Ich habe seit der Rückkehr aus Finnland fast komplett durchgeschlafen, weil ich so kaputt bin und irgendwie den Stress verarbeiten muss. Der Kampf war die größte Enttäuschung in meiner Trainer-Karriere und es fällt mir nach wie vor sehr schwer, das alles zu verstehen. Ich muss in mich gehen und versuchen, die Niederlage soweit wegzudrücken wie möglich.

SPOX: Sie haben praktisch keine Pause, weil Sie Marco Huck, Ihren zweiten Schützling, auf den WM-Kampf am 18. Dezember gegen Denis Lebedew vorbereiten müssen. Ist es Ihre anstrengendste Phase als Trainer?

Wegner: Die Situation ist extrem schwierig, zumal Hucks Gegner ja nicht irgendwer ist. Lebedew ist stärker einzuschätzen als Froch. Aber derzeit beschäftigt mich noch der Kampf von Helsinki. Ich arbeite seit fast 40 Jahren als Trainer, ich war bei sieben Amateur-Weltmeisterschften, zwei Olympischen Spielen und zig Europameisterschaften dabei, und ich habe bereits einige Niederlagen meiner Boxer ansehen müssen. Sie schmerzen allesamt. Aber so etwas seelisch Brutales wie in der Nacht auf Sonntag habe ich noch nie erlebt.

SPOX: Sie sagten direkt nach dem Kampf, dass Arthur Abraham "keine Ehre im Leib" habe und eine "Schande" gewesen sei.

Wegner: Ich habe noch während des Kampfs daran gedacht, was die Fans aus Armenien über uns denken müssen, nachdem sie ihr Geld und ihre Zeit geopfert haben, um Arthur in Helsinki zu unterstützen. Oder wie enttäuscht die deutschen Fans am Fernseher sind. Und dann sehe ich Arthur im Ring: kein Aufbäumen, nichts. Deswegen bin ich so unglaublich enttäuscht. Dabei war der Junge immer die Nummer eins bei mir.

SPOX: Sie sprechen in der Vergangenheitsform.

Wegner: Ich brauche Zeit zum Nachdenken, ob ich mit ihm aus dem tiefen Graben herauskomme. Es wird ein harter Weg. Zurzeit bin ich nicht in der Lage, die Situation klar zu analysieren.

SPOX: Angeblich suchen einige Vertraute aus dem Abraham-Lager die Schuld bei Ihnen.

Wegner: Wenn ich in der "B.Z." eine Überschrift wie "Schickt Abraham Wegner in die Wüste?" lese,  schäme ich mich dermaßen, dass können Sie sich nicht vorstellen. Einen Ulli Wegner schickt man nicht die Wüste. Wenn überhaupt, schickt Ulli Wegner andere in die Wüste. Ich bin persönlich beleidigt! Ich bin so sauer! Aus dem Stegreif kann ich Vorträge darüber halten, was ich erreicht habe. Soll das alles falsch sein? Was sind das für Leute, die etwas Schlechtes über mich erzählen. Wenn sich der Junge freiwillig von mir trennt, wird es der größte Fehler seines Lebens sein.

SPOX: Andersherum gefragt: Könnten Sie sich von Abraham trennen?

Wegner: Bei aller Härte und Autorität: Es wäre ein ganz schlechter Zug von mir, wenn ich ihn in Grund und Boden beschimpfen und im Stich lassen würde. Das ist nicht mein Anspruch. Entscheidend wird sein, wie sich Arthur in den nächsten Tagen verhält und wie er sich gegenüber der Presse äußert.

SPOX: Kann es aber nicht sein, dass sich Ihr Verhältnis abgenutzt hat und Abraham einen neuen Coach braucht, der ihn neu motivieren kann? Zuletzt hat Sauerland mit Torsten Schmitz einen Trainer abgeworben, der Robert Stieglitz zum Weltmeister-Titel geführt hat.

Wegner: Gewisse Routinen können sich bei Trainern einschleichen, keine Frage. Aber zu meinen besonderen Qualitäten gehört es, immer neue Reizpunkte setzen zu können. Ich wollte noch nie stur durch die Wand und meine Methoden um jeden Preis durchsetzen, vielmehr schaue ich auch nach rechts und links, arbeite mit Wissenschaftlern zusammen und versuche das Training immer weiter zu optimieren. Sonst hätte ich es nicht geschafft, sieben Mal in Folge zum Trainer des Jahres gewählt zu werden.

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SPOX: Es heißt, Abraham sei nach all seinen Erfolgen nicht mehr bissig genug und habe nicht gut trainiert. Liegt darin die Hauptursache für die Niederlage?

Wegner: Er hat die letzten Wochen vernünftig trainiert, da gab es nichts auszusetzen. Was ihm ganz offensichtlich fehlt, ist das taktische Rüstzeug. Im Vergleich zu Henry Maske, Sven Ottke oder Markus Beyer geht ihm die Erfahrung ab, die man normalerweise als Amateur bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen sammelt.

SPOX: Aber sind Sie als Trainer nicht verantwortlich für die taktische Grundausbildung?

Wegner: Die erste Runde gegen Froch hat doch gezeigt, dass die Taktik die richtige war. Arthur war von Beginn an viel aktiver und offensiver als sonst. Er hat offenbar etwas verstanden und die Strategie verinnerlicht, die ich ihm vorgegeben habe. Aber plötzlich war davon nichts mehr zu sehen, ich kann es mir einfach nicht erklären. Dabei besitzt er eine so wunderbare Führhand und kann aus dem Nichts seinen rechten Hammer rausholen - doch im Kampf hat er alles vergessen.

SPOX: Was ist mit Abrahams Lebenswandel? Den Partys, den Schulterklopfern, dem Ferrari?

Wegner: Das finde ich nicht schlimm. Er kam nach Deutschland, hat bei Null angefangen und hat in den letzten sieben Jahren unglaublich viel erreicht. Dass dann die Schulterklopfer kommen und der Junge mal die Übersicht verliert, ist verständlich. Ich kann ihm nicht vorwerfen, dass er auch mal Spaß haben möchte.

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SPOX: Wann fällt die Entscheidung, wie es zwischen ihnen weitergeht?

Wegner: Eigentlich wollten wir uns am Montag treffen, aber ich habe kurzfristig abgesagt, weil ich noch ein paar Tage brauche, um die Gedanken zu sortieren. Ich muss erst mit mir ins Reine kommen und überlegen, was ich falsch gemacht haben könnte.

SPOX: Im April oder Mai geht es im Super-Six-Halbfinale gegen Weltmeister Andre Ward, ein noch gefährlicherer Kontrahent als Froch. Somit droht Abraham die dritte Niederlage in Folge, was seinen Ruf irreparabel schädigen könnte. Stimmen Sie zu, dass sich Abraham in einer extrem kritischen Situation seiner Karriere befindet, obwohl er sich mit 30 Jahren im besten Box-Alter befindet?

Wegner: Sie haben Recht, man braucht sich über Arthurs Situation nichts vorzumachen.

SPOX: War der Aufstieg aus dem Mittelgewicht ins Super-Mittelgewicht eine kapitale Fehlentscheidung? Abraham selbst will in seine alte Gewichtsklasse zurückkehren.

Wegner: Man sucht immer nach Ausreden, wenn etwas schief läuft. Aber ich sage klipp und klar: Es geht überhaupt nicht um Gewichtsklassen sondern nur um die Einstellung im Ring. Was würde Arthur denn im Mittelgewicht erwarten? Dort kämpfen mittlerweile viel mehr gute Boxer als im Super-Mittelgewicht. Boxer, die wesentlich stärker sind als Froch. Und Arthur müsste selbst nur zu gut wissen, wie hart es für ihn früher war, auf das richtige Gewicht zu kommen. Anfang 2009 hatte er es vor dem Kampf gegen Lajuan Simon so schwer gehabt beim Abkochen, dass er fast durchgedreht wäre. Das kann ich als Trainer nicht verantworten. Im Mittelgewicht wäre Arthur auf Dauer kaputtgegangen.

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