Box-Bulldozer & Haudrauf

Von Bärbel Mees
Firat Arslan erkämpfte sich 2007 den Weltmeistertitel von Virgil Hill, verlor ihn aber an Guillermo Jones
© Getty

Am 3. Juli treffen in Stuttgart zwei Rechtsausleger im Cruisergewicht aufeinander: Firat Arslan und Steve Herelius. Arslan steht nach 21 Monaten Pause und einem Horror-Unfall wieder im Ring - doch mit Aufbaugegnern will er sich nicht aufhalten. Er verfolgt schließlich ein Ziel: Erneut Weltmeister werden.

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Für Firat Arslan ist der Kampf gegen den Franzosen Steve Herelius nicht einfach irgendein Fight. Es ist seine letzte Chance. Und irgendwie auch so etwas wie ein Wunder.

Denn vor ziemlich genau einem Jahr lag der türkischstämmige Boxer auf einer Landsstraße. Neben ihm sein Fahrrad, zu Schrott gefahren. Der Halsmuskel gerissen, zahlreiche Knochen verschoben, die Wirbelsäule verletzt.

Mit seinem Konditionstrainer war Arslan auf einer 120-Kilometer-Tour um den Chiemsee unterwegs gewesen. Sie sollte ihn auf den Kampf gegen Marco Huck vorbereiten. Stattdessen wird sie zum größten Alptraum seines Lebens: Beim Überholen eines Heuwenders biegt der Landwirt nach links ab, Arslan legt eine Vollbremsung hin, stürzt, überschlägt sich und knallt mit dem Kopf auf den Asphalt.

Der Schmerz breitet sich in seinem Körper aus - der Kampf gegen Marco Huck ist in Sekundenschnelle geplatzt. Erst im Rettungshubschrauber auf dem Weg in die Notaufnahme wird ihm klar, dass das nicht alles ist. Dass er vielleicht nie wieder boxen wird. Und dass er vielleicht im Rollstuhl landet.

Angst vor dem Rollstuhl

Doch das jahrelange Training haben seine Muskeln gestählt und seinen Körper widerstandsfähig gemacht. Die Wirbelsäule bleibt unverletzt, der Halsmuskel wächst wieder zusammen. Arslan bleibt der Rollstuhl erspart.

Er fängt wieder an zu gehen, zu laufen, zu boxen. Und doch: Die Schmerzen bleiben. "Ich bin immer noch in Behandlung, habe immer noch Schmerzen. Aber ich denke, dass ich so stark bin wie vor dem Unfall, sonst würde ich nicht boxen."

Und um Firat Arslan unterzukriegen, muss dem Schicksal schon mehr einfallen als ein Unfall. Denn dass der mittlerweile 39-Jährige noch immer auf hohem Niveau boxt, ist nur eine Facette einer ungewöhnlichen Karriere.

Beginn einer ungewöhnlichen Karriere

Schon als Kind steht er stundenlang im Gym, schaut seinem großen Bruder beim Boxen zu - doch er selbst fängt erst im Alter von 18 Jahren mit dem Training an. Und will trotzdem noch hoch hinaus: Weltmeister werden ist sein Ziel.

Die Trainer winken müde lächelnd ab, die anderen Boxer haben nur Spott für ihn übrig - viel zu spät hat er mit dem Sport angefangen. Doch Arslan beweist ihnen das Gegenteil. Unbeirrt boxt er einen Gegner nach dem anderen - und gewinnt. Nach 81 Siegen in 92 Amateurkämpfen wechselt er ins Profigeschäft.

Aber: Er fällt noch immer aus der Reihe. Er steht zu seinen türkischen Wurzeln, sucht sich nicht wie Marco Huck (Muamer Hukic), Felix Sturm (Adnan Catic) und Robert Stieglitz (Sergei Stieglitz) einen deutschen Namen aus. Er trainiert im Profigeschäft jahrelang ohne Manager, ohne Coach. Erst 2007 unterschreibt er bei Universum.

Er geht seinen eigenen Weg - wie immer. Aber er muss auch mit der Ungerechtigkeit klarkommen, für gute Kämpfe keine Anerkennung zu bekommen, mit dem Risiko, ein Nobody zu bleiben.

Steaks, Pasta und Meeresfrüchte

Doch im Juni 2007 bietet sich ihm die Chance: Er kann gegen den WBA-Interims-Weltmeister Valery Brudov kämpfen. Und er bereitet akribisch auf den Kampf vor: Er gibt "mehr als 100 Prozent" und geht im Training "durch die Hölle".

Er isst riesige Rindersteaks mit Kartoffeln, verschlingt Berge an Pasta und Meeresfrüchten - und verzichtet schweren Herzens auf sein Lieblingsessen: Crepes mit Nutella.

Im Gym schikaniert er sich, ist gnadenlos zu sich selbst - und bereit: "Ich habe 18 Jahre auf vieles verzichtet, viele Entbehrungen in Kauf genommen und bin einen sehr steinigen Weg gegangen. Deshalb bin ich auch bereit für alles." Brudov ist es nicht. Er teilt Schläge en masse aus, doch sie hinterlassen bei Arslan keine Wirkung. Er steckt sie alle ein - und gewinnt.

Mit dem Sieg erkämpft sich Arslan das Recht, den amtierenden Weltmeister Virgil Hill herauszufordern. Nur fünf Monate später steigt er gegen den Henry-Maske-Bezwinger in den Ring und gewinnt erneut nach Punkten.

Blutverschmiert ins Krankenhaus

Auch seine erste Titelverteidigung gegen Darnell Wilson ein halbes Jahr später glückt - doch dann kommt im September 2008 der Kampf gegen den Panamaer Guillermo Jones. Arslan verliert nicht nur, sondern geht gnadenlos unter.

In der zehnten Runde bricht der Ringrichter den Kampf ab. Zu schwer sind die Verletzungen des Deutschen, zu übermächtig ist sein Gegner.

Arslan wird ins Krankenhaus gebracht, die Lippe muss genäht werden, der Verdacht auf einen Nasenbeinbruch besteht. Währenddessen wischen Helfer das Blut vom Ringboden.

"Das sah aus, als sei hier ein Ochse geköpft worden. Jones hat Firat so empfindlich getroffen, dass er ständig Blut schlucken musste. Man hätte auch zwei Runden früher abbrechen können", sagt Jean Marcel Nartz, technischer Leiter des Universums-Boxstalls. Seinem Gegner tut Arslans Zustand nicht im Geringsten leid. "Ich mag Blut, ich war hungrig", verkündet Jones nach dem Sieg arrogant.

"Box-Bulldozer" & "Haudrauf"

Der Titel ist weg, Arslan steht wieder am Anfang. "Das ist nicht sein Ende. Firat hat schon schlimmere Tage gehabt", sagt sein Freund Luan Krasniqi. Und fügt hinzu: "Firat hat begrenzte Möglichkeiten. Er kann nicht Mike Tyson spielen."

In der Tat. Seine Nehmerqualitäten sind herausragend, seine Willenskraft schier unerschöpflich. Doch seine Technik ist ein Graus. Als "Box-Bulldozer" wird er bezeichnet, als "Haudrauf", der sich im Ring "schildkrötenartig" bewegt. Und doch: Er ist effektiv. Von seinen 29 Profikämpfen verliert er nur vier.

Mit seinem Kampf gegen Marco Huck will er im Jahr nach der Niederlage gegen Jones sein Projekt "Weltmeister-Titel" erneut angehen. Doch dann kommt ihm der Heuwagen in die Quere, der sein Leben durcheinanderwirbelt, ihn aber nicht vom Weg abdrängt.

Arslans letzte Chance

Am Samstag ist es endlich soweit: Arslan steigt wieder in den Ring. Nach 21 Monaten Pause ist sein französischer Gegner nicht der leichteste. Er ist nicht nur sechs Jahre jünger, sondern zudem im Cruisergewicht noch ungeschlagen. Trotzdem: Sorgen um eine mögliche Niederlage macht sich Arslan nicht.

"Auf mich wartet ein knallharter Fight. Aber werde versuchen, alle schwierigen Situationen zu meistern. Wir werden beide Schmerzen haben und Schläge einstecken müssen, es kommt auch einfach darauf an, wer sie besser aushält", sagt Arslan im "Stern".

Und an Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht, schließlich ist sein Lebensmotto ein Satz vom indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du." Arslan weiß nur zu gut, wovon Gandhi spricht.

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