Manche mögen’s dreckig

Johannes Voigtmann war gegen die Italiener einer der besten Spieler
© fiba.com

Mit einem "dreckigen Sieg" gegen Italien (61:55) ist das DBB-Team ins Achtelfinale der EuroBasket 2017 eingezogen. Zeit zum Erholen gibt es aber kaum: Bereits am Mittwoch geht es gegen Litauen bereits weiter. Und diesmal um den Gruppensieg.

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"Sollen wir heute Abend Litauisch essen?" Robin Benzing musste grinsen, als er in der Mixed Zone nach dem "Geheimrezept" gegen Italien gefragt wurde - schließlich war die Mannschaft am Abend zuvor geschlossen zum Italiener gegangen. Man könnte ja meinen, dass der kulinarische Talisman gefunden sei und man unbedingt an dieser neu gefundenen Tradition festhalten solle.

In Wirklichkeit hatte der Sieg gegen Italien natürlich nicht allzu viel mit dem Essen vom Vortag zu tun. Wobei der Ausflug vielleicht zumindest dafür gesorgt hatte, dass man einerseits die Leichtigkeit und andererseits vor allem den Team-Spirit wiedergefunden hatte. Denn der Sieg gegen Italien, mit dem der Achtelfinaleinzug perfekt gemacht wurde, war vor allem ein Sieg des Willens, der mentalen Stärke. Und natürlich der Defense.

"Gegen so eine gefährliche Mannschaft haben wir nur 55 Punkte zugelassen", sagte Benzing. "Das zeigt die Qualität unserer Mannschaft, unser Herz. Gerade nach so einer Niederlage so zurückzukommen und das Spiel in der Defense zu gewinnen, obwohl die Offense nicht läuft ... das spricht für uns. Hut ab an die Mannschaft." Dem musste man gar nicht viel hinzufügen.

61 Punkte reichen zum Sieg

Die deutsche Mannschaft kratzte und biss sich in dieses Spiel. Ein offensiver Rhythmus kam über die ganze Partie nie wirklich zustande, auch weil Dennis Schröder früh in der Partie einen Schlag auf den Oberschenkel abbekam, der ihn zumindest ein bisschen einschränkte. Er kam nicht ganz so einfach zum Korb, er konnte dort nicht ganz so effektiv finishen, wie man es von ihm kennt. Eine Risswunde an der linken Hand hatte er ja bereits aus dem Israel-Spiel davongetragen.

Auch bei den anderen lief es nur bedingt, zumal Schröder weniger Freiräume für die anderen kreieren konnte: Erneut wollte der Dreier kaum fallen, nur 6 der 20 Versuche von Downtown fanden ihr Ziel. 61 Punkte sind an guten Tagen selbst nach drei Vierteln verhältnismäßig wenig, diesmal reichten sie nach vier Vierteln sogar knapp für den Sieg.

"Fast gar keine offenen Würfe zugelassen"

Denn wo die Deutschen vorne selbst nur wenig hinbekamen, zogen sie den Italienern hinten sogar noch mehr den Zahn. "In der zweiten Halbzeit haben wir fast gar keine offenen Würfe mehr zugelassen", lobte Big Man Johannes Voigtmann, mit 12 Punkten, 7 Rebounds und 5 Assists der produktivste Deutsche an diesem Tag.

Während die ganze Mannschaft an diesem Tag nahezu hyperaktiv verteidigte, verdiente sich ein sonst sehr unauffälliger Spieler ein Sonderlob. "Karsten Tadda war heute meines Erachtens nach exzellent", sagte etwa Coach Chris Fleming über den Guard, der sich über einen Großteil des Spiels in das Trikot von Marco Belinelli verbiss und den Star unendlich nervte. Zu Beginn des Spiels hatte er seine ersten beiden Dreier des Turniers getroffen, danach konzentrierte er sich auf das, wofür Fleming ihn mitgenommen hat.

"Er muss defensiv ein Führungsspieler für uns ein", erklärte Fleming. "Wir benutzen ihn auch ein bisschen dafür, um Dennis zu beschützen. Das macht er wirklich gut." Das ließ sich so festhalten. Wenngleich Tadda den italienischen NBA-Star nicht die ganze Zeit verteidigte, war der Ertrag offensichtlich: Nach einem ordentlichen ersten Viertel war Belinelli abgemeldet und beendete die Partie mit nur 12 Punkten (4/18 FG).

Messina wütet über "hässliches" Spiel

Wie wichtig das war, hob Tadda selbst hervor: "Belinelli ist ein sehr abgezockter Spieler und wirft auch dann weiter, wenn er das ganze Spiel über nichts getroffen hat. Wenn irgendwann mal der Knoten platzt, kann er aber eben auch sechs Dreier in Folge reinwerfen, das ist seine Qualität, deswegen darf man nie die Konzentration verlieren. Aber das ist uns heute gut gelungen."

Das habe auch daran gelegen, dass man perfekt auf die relativ eindimensionale Spielweise der Italiener eingestellt war: "Wir wussten, was kommt, waren gut auf ihren Plan vorbereitet", sagte Tadda. "Nach jedem Pass kommt direkt der nächste Screen, aber das wussten wir. Wir wollten immer wieder über den Screen gehen und physisch dranbleiben."

Das gelang ihnen exzellent, da das ganze Team extrem diszipliniert verteidigte. Gerade in der zweiten Halbzeit, als Deutschland nach und nach davonzog, fiel den Italienern überhaupt nichts mehr ein. Deren Coach Ettore Messina fasste das Spiel daher in Anwesenheit seines "Chefs" Gregg Popovich wie folgt zusammen: "Das einzig Schöne an diesem Spiel waren die Cheerleader."

Eine völlig andere Aufgabe

Fleming sprach etwas positiver von einer "Defensivschlacht", natürlich wusste aber auch er, dass hier kein Basketball-Leckerbissen geboten worden war. Es dürfte ihm aber herzlich egal gewesen sein. Nachdem die Pflicht mit dem Achtelfinaleinzug bereits erfüllt wurde, kommt jetzt die Kür. Und zwar sehr bald: Das Spiel gegen Litauen beginnt ja bereits um 13.45 Uhr deutscher Zeit am Mittwoch, viel Zeit für die Vorbereitung bleibt also nicht.

Dabei wäre diese an sich durchaus angebracht. Der amtierende Vize-Europameister ist nach der Auftaktniederlage gegen Georgien mittlerweile voll im Groove und wurde seiner Favoritenrolle in den anschließenden Spielen immer gerecht. Litauen ist herausragend besetzt, strotzt vor Selbstvertrauen - und ist "witzigerweise eine komplett andere Mannschaft als Italien", wie Fleming es ausdrückte.

Voigtmann respektiert die Litauer

Während die Italiener offensiv fast überhaupt nicht über ihre Big Men gehen, hat Litauen in Jonas Valanciunas einen der dominantesten Low-Post-Spieler des Turniers, daneben mit Donatas Motiejunas noch einen weiteren Center mit NBA-Erfahrung. Auch die Forwards Mindaugas Kuzminskas und Jonas Maciulis posten gerne auf und spielen physisch. Selbst die Guards sind in der Lage, mit dem Rücken zum Korb zu spielen.

Im Gegensatz zu den Italienern sind sie zudem tief und vielseitig besetzt. Hier reicht es nicht, sich auf ein paar Schützen zu konzentrieren, man muss mit einer ganzen Mannschaft rechnen. "Sie haben einen hohen Basketball-IQ, sind technisch und taktisch versiert, fast alle können alles - das macht schon Spaß, da zuzugucken", musste Voigtmann zugeben.

Auf den Starting Center kommt dabei natürlich eine besonders große Rolle zu - und eine große Umstellung. Italiens Marco Cusin ist offensiv beinahe unbewaffnet, daher war Voigtmann gegen Italien eher als Help-Defender und Rim-Protector gefragt. Gegen den physisch imposanten Valanciunas wird er hingegen im Eins-gegen-Eins mit aller Macht dagegenhalten müssen.

"Mache es genauso wie heute"

Wie man sich innerhalb einer so kurzen Zeit auf eine komplett andere Aufgabe einstellen kann, wurde Voigtmann gefragt: "Ich mache es einfach genauso wie heute", grinste der Center. "Nein, im Ernst: Das Spiel ist jetzt schon fast vergessen. Das kann man schnell abhaken, man nimmt das Positive mit und konzentriert sich schnell auf die nächste Aufgabe. Bisher haben wir das gut gemacht."

In der Tat: Die deutsche Mannschaft hat sich bei dieser EM jetzt schon besser verkauft als in den letzten Jahren, das Achtelfinale frühzeitig gebucht - und zwar absolut verdient. Dementsprechend selbstbewusst traten die Spieler nun auch auf.

"Jetzt wollen wir natürlich Gruppenerster werden", sagte etwa Schröder, der über seine Blessuren an Hand und Oberschenkel verständlicherweise nicht sprechen wollte. "Litauen ist in einer sehr guten Form gerade, aber wenn wir so verteidigen, können wir die auch schlagen", fügte Benzing hinzu.

Auf einmal Gruppensieger?

Es mag überraschend erscheinen, aber bei dieser deutschen Mannschaft bekommt man das Gefühl, dass diese Qualität tatsächlich da ist. Sie haben eine klare Identität, können extrem stark verteidigen, sind tief genug, um eine hohe Intensität das ganze Spiel über beizubehalten. Sie können dreckig gewinnen. Und sie haben einen Leader, der selbst in individuell schwächeren Spielen noch Gold wert ist.

"Dennis wusste, dass er gegen Israel kein gutes letztes Viertel hatte, heute hat er es viel besser gemacht", sagte Fleming. "Er hatte in der Schlussphase alles gut unter Kontrolle. Da hat die ganze Mannschaft gemerkt: 'Okay, jetzt fahren wir dieses Ding nach Hause.' Er hat jetzt ein paar Stunden zum Regenerieren, und dann geht es um den ersten Platz."

Wer hätte das gedacht?

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