"Es reicht, hör‘ damit auf!“

Svetislav Pesic trainiert den FC Bayern seit 2012
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SPOX: Sie gelten nicht als Befürworter des Colleges. Was halten Sie davon, dass Albas größtes Talent Moritz Wagner nach dieser Saison an die University of Michigan geht?

Pesic: Ich kenne ihn nicht gut genug. Es gibt Beispiele aus der Vergangenheit wie Mike Koch und Henning Harnisch, die nie ans College gingen und alles glatt lief. Umgekehrt besuchten Rödl und Kai Nürnberger das College und hatten eine großartige Karriere. Pauschal konnte man es früher nicht sagen. Heutzutage hat es sich gewandelt. Die deutschen Klubs bewegen sich auf einem viel höheren professionellen Niveau, deswegen gibt es eigentlich keinen Grund, in die USA zu wechseln. Meine Meinung: Durchschnittliche Spieler können weiter das College besuchen, sie haben nichts zu verlieren - die Talente erster Klasse sollten hingegen höchstens für ein Jahr rüber. In der Zeit können sie sich in den USA umschauen, Englisch lernen und selbstständiger werden. Mit dem letzten Spiel nehmen sie den allerersten Flieger zurück nach Europa und beweisen sich unter professionellen Bedingungen. Wenn Moritz zu den Talenten erster Klasse gehört, würde ich ihm raten, nach einem Jahr zu Alba zurückzukehren.

SPOX: Dennoch stellt sich die Frage nach der deutschen Jugendförderung. Beim Next-Generation-Turnier, dem renommiertesten Nachwuchswettbewerb Europas, bestritten wie im Vorjahr Real Madrid und Roter Stern Belgrad das Finale. Warum ist Roter Stern, trotz überschaubarem Budget, den deutschen Klubs im Juniorenbereich so überlegen?

Pesic: Es gibt derzeit zwei gegenüberliegende Ansätze: Auf der einen Seite stehen Real und mittlerweile auch Barca, die ausländische Talente scouten und sie selbst ausbilden - mit allen Risiken. Wer erinnert sich daran, dass Bojan Bogdanovic von den Brooklyn Nets als Jugendlicher lange bei Real war, dort in Vergessenheit geriet und erst mit der Rückkehr nach Kroatien den Durchbruch schaffte? Er hätte es viel früher in die Euroleague und in die NBA schaffen können. Auf der anderen Seite steht Roter Stern, die nur mit einheimischen Spielern antreten. Natürlich bevorzuge ich diesen Ansatz.

SPOX: Zur Entschuldigung der deutschen Klubs: So viele Talente wie in Serbien gibt es hierzulande nicht.

Pesic: Das stimmt - doch kann das eine Entschuldigung sein? Für mich nicht. Wenn es ein deutscher Klub in der Euroleague irgendwann mit Real Madrid aufnehmen will, lautet die entscheidende Frage: Können es die vorgeschriebenen sechs deutschen Spieler beim deutschen Klub mit den fünf, sechs spanischen Spielern von Real aufnehmen? Stand jetzt nicht. Deutschland besitzt nicht die Auswahl wie Serbien, Spanien, Russland, die Türkei oder Italien, weil nicht so viele Menschen Basketball spielen. Das bedeutet nicht, dass man aufgeben sollte. Die Lösung ist: Die deutschen Talente müssen mehr, viel mehr trainieren als die spanischen Talente, dann gibt es eine Chance. Vor allem im athletischen Bereich sind die Defizite weiterhin offensichtlich.

SPOX: Die U19 der Bayern wurde in diesem Jahr deutscher Meister, mit Dejan Kovacevic und dem erst 16-jährigen Richard Freudenberg besitzen mindestens zwei Spieler ausgezeichnete Profi-Perspektiven. Wie weit sehen Sie die Nachwuchsarbeit Ihres Vereins?

Pesic: Das sind zwei von vielen Eigengewächsen bei uns. Wir haben eine Linie gefunden und die Voraussetzungen geschaffen. Der Coaching-Staff, die drei Hallen zum Trainieren, der Kraftraum, das passt. Die entscheidende Frage lautet: Wie verbinden wir Sport mit Schule? In Litauen gibt es das Sabonis-Zentrum und die Marciulionis-Akademie, in Serbien betreiben die Klubs wie Roter Stern eigene Internate. Nur so kann beispielweise vor der ersten Schulstunde regelmäßig ein Training durchgeführt werden. Warum haben wir so etwas nicht im deutschen Basketball? Im Fußball gibt es das. Nehmen wir Dejan Kovacevic, der in München geboren und aufgewachsen ist: Er macht dieses Jahr Abitur und kann sich ab nächster Saison auf den Basketball konzentrieren. Bis jetzt war es ein Spagat, um Schule und Sport zu verbinden. Dass Dejan trotzdem so gut ist und wegen der Herkunft seiner Eltern vom serbischen Verband angefragt wird, für die U-20-Nationalmannschaft zu spielen, darf man als Erfolg sehen. Jetzt entschied er sich stattdessen für die deutsche U20. Aber es bleibt dabei: Es gibt in Deutschland kein Modell, alles ist Improvisation.

SPOX: Sie betonen immer wieder, dass deutsche Talente mehr trainieren müssten. Simpel gefragt: Warum machen sie es nicht?

Pesic: Ich sage immer: "Junge Spieler sind wie Schilf - sie wachsen schnell und können noch schneller einknicken." Und das ist in Deutschland besonders der Fall. Die Jugendlichen lassen sich ablenken: Von Agenten, vom Klub, von den Eltern, von den Freunden, von den Journalisten, von den Schlagzeilen im Internet über sich. Und speziell hierzulande gibt es noch den Nowitzki-Faktor, dass - warum auch immer - jeder große Spieler zum Power Forward ausgebildet werden will. Dabei sollte die Basis von allem die Spieler-Trainer-Beziehung sein. Agenten, Klubs und Journalisten haben ihre eigenen Interessen und die berufstätigen Eltern heutzutage doch kaum mehr Zeit, sich um ihre Kinder zu kümmern. Umso größer ist die Verantwortung beim Trainer, der an das Wohl seines Spielers und an nichts anderes denkt. Wenn der Trainer zu Geduld mahnt, sollte das Talent zuhören.

SPOX: Was halten Sie von Paul Zipsers Meldung für die Early-Draft-Liste der NBA?

Pesic: Vor zwei, drei Jahren war Zipser eines der ganz wenige Talente, das sich nie davon beeinflussen ließ, ob irgendein College anruft. Er traf ganz bewusst die Entscheidung, in Deutschland zu bleiben und sich hier auszubilden.

SPOX: In der Branche heißt es, dass er zuletzt falsch beraten wurde.

Pesic: Ich begrüße jeden Spieler mit Ambitionen. Wenn Pauls Ziel lautet: "Ich will in die NBA", ist das legitim und okay. Dennoch möchte ich nicht sagen, dass ich die Entscheidung unterstütze. Ich habe viel erlebt und viel gesehen, daher weiß ich viel. Das will ich vermitteln. Und aus meiner Perspektive wurden viele europäische Spieler in der zweiten Runde gedraftet, die jetzt nicht mehr Basketball spielen.

SPOX: NBA-Scouts haben gegenüber SPOX Zipsers Potenzial gelobt. Sie könnten das als Kompliment für Ihre Arbeit sehen.

Pesic: Das ist mir egal - und das aus zwei Gründen. Erstens: Ich will nicht die zweite Liga oder die Farmliga der NBA sein. Ich bin nicht da, um Spieler für die NBA auszubilden, wo sie nur auf der Bank sitzen. Europa ist kein Ausbildungszentrum der NBA, zu dem jeder Scout anreisen kann, wann er will, und sich einfach Spieler aussucht. Die NBA-Scouts sind nicht unsere Kolonialherren.

SPOX: Zweitens?

Pesic: Zweitens: Mein Ziel als Trainer ist es nicht, NBA-Spieler zu entwickeln. Mein Ziel ist es, echte Basketballer zu formen, die Talent in Erfahrung und Können umwandeln. Wenn sie diesen Sprung schaffen, kommt die NBA automatisch. Sie gewinnen in Europa Titel, das Selbstbewusstsein wächst, man strahlt eine Winner-Mentalität aus, die NBA wird auf einen aufmerksam und es geht als gestandener Profi mit breiter Brust nach Amerika. Von wenigen Ausnahmen wie Dirk Nowitzki abgesehen ist das der einzig richtige Weg.

SPOX: Sie lassen Zipser sehr selten spielen, wenn überhaupt in der Garbage Time wie bei der Auftaktniederlage in Berlin. Eine Lektion?

Pesic: Glauben Sie mir: Ich denke viel mehr über Zipser nach als jeder Journalist und Experte. Wir müssen unterscheiden zwischen Basketball trainieren und Basketball spielen. Paul befindet sich in der Phase, in der er Basketball TRAINIEREN muss. In den Einheiten und auch in einem Spiel. In den Minuten, die er bekommt, soll er Spitzenbasketball trainieren. Zipser hat eine gute Einstellung, er ist intelligent, er besitzt die Physis und die Ruhe, die ein Spieler auf seiner Position benötigt. Und er wird von den Mitspielern respektiert. Nur: Er hatte zwei schwere Verletzungen. Deswegen muss er noch viel lernen. Ich kann allerdings schon jetzt voraussagen: Nächstes Jahr wird er, wenn er gesund bleibt, Basketball spielen.

SPOX: Was genau muss Zipser lernen?

Pesic: Nur so viel: Im Basketball geht es immer darum, eine Balance zu finden zwischen Offense und Defense. Wir möchten aus ihm keinen Verteidigungsspezialisten machen, trotzdem wollen wir eine bessere Balance. Schröder hat sich vor allem mit seiner Defense in der NBA durchgesetzt.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Pesic: Viele achten nur auf seine Punkte oder Assists, wobei Schröder offensiv noch gar nicht so weit ist und als Point Guard lernen muss, ein Spiel besser zu organisieren. Dass er Minuten erhält, hat mit seiner Verteidigung zu tun: Er macht Druck am Ball, hat lange Arme und schnelle Beine und er spielt in der Defense konstant und mit wenigen Fehlern. So etwas mögen Coaches und so etwas bringt einem den Respekt von NBA-Veteranen ein, das sieht man in Atlanta. Zipser sollte das beherzigen, zumal auf der Shooting-Guard- und Small-Forward-Position die Konkurrenz noch größer ist als bei den Point Guards.

SPOX: Könnte die Summer League Zipser helfen, sich an den NBA-Basketball zu gewöhnen? Sie sind erklärter Gegner der Summer League, aber Schröder hatte im letzten Sommer daran teilgenommen.

Pesic: Zipser wird nicht an der Summer League teilnehmen, weil er weiß, dass es ihm nichts bringt. Die Summer League ist ein Zirkus: Man lernt nichts und man bietet sich nicht der NBA an. Die Teams haben ohnehin Scouts in Europa und wissen alles. Warum sollte man daran teilnehmen? Von der Summer League profitieren drei Gruppen: Sophomores wie Schröder, die in der ersten Runde des Vorjahres gedraftet wurden und fest bei ihrem NBA-Team unter Vertrag stehen, können dort ein bisschen trainieren. Europäische Teams können auf einem Fleck alle nicht gedrafteten College-Spieler beobachten. Und Agenten, die ihre europäischen Spieler unterbringen und so zeigen können, dass sie für das Geld arbeiten.

Seite 1: Pesic über sein Verhältnis zu Alba und Streit mit einer College-Legende

Seite 2: Pesic über den deutschen Nachwuchs und Zipser Anmeldung zum Draft

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