Cooler als Gandalf

Von Jonas Schützeneder
Die Crailsheim Merlins feierten gegen Trier ihren ersten Sieg in der BBL

Was bei einer Kiste Bier und als Basketball-AG begann, darf sich 25 Jahre später Bundesligist nennen. Die Geschichte der Crailsheim Merlins spielt sich irgendwo zwischen Zauberei, kleinen Budgets und ungewöhnlichen Marketing-Maßnahmen ab.

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Vorwahl, Durchwahl, Freizeichen. Kurze Pause. "Willkommen in der BBL", sagt eine Stimme vom Band, "Sie werden verbunden." Auch fünf Monate nach dem Aufstieg ins Basketball-Oberhaus herrscht in Crailsheim noch immer Euphorie. Und das, obwohl der Neuling mit einer Bilanz von 0-5 einen Fehlstart ins Abenteuer hingelegt hat, bevor er am Samstag mit dem 100:84 gegen Trier erstmals gewinnen konnte.

Es sind genau diese Stories, die man im Sport so sehr liebt. Eine Truppe Basketball-Verrückter gründet 1986 in der oft zitierten "Runde bei ein paar Bierchen" die Basketball-AG in Crailsheim. Im Jahr 2014 gastieren plötzlich Alba Berlin, die Brose Baskets Bamberg und der FC Bayern im beschaulichen Städtchen (30 000 Einwohner) östlich von Schwäbisch Hall.

"Wir haben hier gute Strukturen aufgebaut. Der Unterschied zu den Top-Teams ist natürlich groß, aber mit den unmittelbaren Konkurrenten können wir mithalten", sagt der Sportliche Leiter Ingo Enskat im Gespräch mit SPOX.

Der gebürtige Bremer ist seit über zehn Jahren im Verein aktiv. Zuerst als Co- und Jugendtrainer, später als erfolgreicher Headcoach. Seine damalige Beförderung kam ausgerechnet in der wohl schwersten Stunde des Klubs.

Mehr Mitarbeiter und größere Halle

Am 2. Juli 2008 verstarb völlig überraschend der damalige Headcoach Arne Alig. Der frühere Junioren-Nationalspieler hatte den Klub vier Jahre lang überaus erfolgreich in der zweiten Liga Süd und der Pro B gecoached. Sein unerwarteter Tod traf Anhänger und Vereinsführung gleichermaßen unvorbereitet.

Also übernahm Enskat den Posten und wechselte nach vier erfolgreichen Jahren in die Sportliche Leitung. Hier managed er zusammen mit Martin Romig den BBL-Debütanten und kümmert sich weiterhin um den Nachwuchsbereich. Der Fortschritt ist beachtlich.

Die Geschäftsstelle wurde im Sommer erweitert und zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Dazu bekamen die Merlins eine neue Spielstätte. Statt in der zu kleinen Hakro-Arena spielt der Erstligist jetzt in der Arena Hohenlohe, etwa zehn Kilometer nördlich von Crailsheim. Gut 3200 Zuschauer passen unter die auffällige Holz-Konstruktion an der Hallendecke.

Willkommen im Haifischbecken

Zum Heimspiel-Debüt in der Liga präsentierte der Anhang eine Choreografie. Blaues Wasser und 17 Haifische - für jeden BBL-Gegner einer - symbolisierte der Fanblock mit Pappschildern. "Haifischbecken BBL - zusammen überleben wir", war auf dem Spruchband zu lesen. Als Stierkampf-Arena bezeichnen die Fans ihr neues Zuhause.

Eigentlich gehört die Arena der Rinderunion Baden-Württemberg. Unter der Woche steigern Händler aus Süddeutschland hier um die besten Zuchttiere der Region. "Die Stimmung ist bislang fantastisch. Obwohl wir nur Mieter sind, fühlen wir uns sehr wohl", bestätigt Enskat.

Das erfordert aber auch viel Arbeit. Der Auf- und Abbau rund um ein Heimspiel ist aufwendig, dafür können jetzt deutlich mehr Fans das Spektakel verfolgen. "Wir kalkulieren für die Saison etwas vorsichtig mit 2000 Zuschauern. Vielleicht werden es ja auch mehr."

Der Kader kostet so viel wie ein Topstar

Keine Frage: Finanziell ist der Unterschied zu den Topklubs immens. Mit unter 1,5 Millionen Euro hat der Aufsteiger den niedrigsten Etat der Liga. Der komplette Kader kostet etwa 500 000 Euro. Topspieler der Liga kommen alleine in ähnliche Dimensionen.

"Hier verdient keiner sechsstellig", verrät Enskat, "wir können nicht mit Geld überzeugen, aber mit sportlicher Perspektive." Der Plan sieht so aus: Spieler, die den nächsten Schritt machen wollen, verzichten bei den Merlins auf das große Gehalt, bekommen aber in der BBL eine wichtige Plattform für den nächsten Schritt. Bestes Beispiel ist Point Guard Garret Sim, der aus Jena gekommen ist, und sich dort als Topscorer der Pro A für höhere Aufgaben empfohlen hat.

Die Sponsoren gehen diesen Weg bereitwillig mit. Ohnehin sind die meisten Werbepartner schon seit Jahren dabei. Großes Plus der kleinen Stadt: Basketball ist hier die klare Nummer 1. Es gibt keinen großen Fußball-Klub in der Nähe, die Fanbasis ist genau wie der Sponsoren-Stamm behutsam über die erfolgreichen Jahre gewachsen.

Trotzdem schaut man sich in der Kreisstadt weiter nach neuen Geldquellen um. Einen Namenssponsor wie viele BBL-Konkurrenten haben die Merlins nämlich nicht. "Wir haben das auf dem Schirm. Wenn wir es machen, muss der Partner aber auch wirklich passen", bestätigt die Sportliche Führung.

Die BBL-Auflagen als Orientierung

Statt in Beine floss das meiste Geld im Sommer ohnehin in die Infrastruktur. Wo andere Klubs abwinken und die Auflagen der Liga für einen Start in der BBL als unmöglich kritisieren, wurde in Crailsheim angepackt. "Wir waren froh über die Auflagen. Sie zwingen uns dazu, ins Umfeld zu investieren. Mit Blick auf die nächsten Jahre ist das wichtiger als alles andere", findet Enskat.

Ähnlich hat es letztes Jahr auch Rasta Vechta versucht. Trotz großem Kampf musste der ungewöhnliche Aufsteiger nach nur einem Jahr wieder absteigen. Die Sympathien für den sympathischen Außenseiter waren dennoch enorm. "Vechta hat sehr viel richtig gemacht. Wir wollen noch einen Tick mehr richtig machen und den Klassenerhalt schaffen", gibt Enskat als Ziel aus.

"Team hat dazugelernt"

Und auch die Wahrnehmung unter Spielern und Agenten hat sich geändert. "Natürlich haben die mitbekommen, dass wir jetzt BBL spielen und nach dem Start nochmal nachrüsten wollten", sagt er mit Blick auf Neuverpflichtung Chad Timberlake. "Ich sage den Agenten immer, dass wir kein Geld haben, Chad hatte trotzdem großes Interesse für uns zu spielen."

Mit Blick auf zahlreiche unseriöse Angebote und Offerten aus aller Welt arbeiten die Merlins in der Regel mit einem festen Stamm aus Agenten zusammen. "Natürlich bekommen wir dauernd Mails mit neuen Spielern. Für uns ist es aber wichtig, dass sich ein Spieler mit unserem Klub identifiziert", meint Enskat, "Gehalt spielt hier nicht die größte Rolle. Wahrscheinlich könnten sie sogar in der tschechischen Liga mehr verdienen als hier."

Natürlich sind die Merlins angesichts des Saisonstarts weiterhin der größte Außenseiter der Liga. Trotzdem: Beim deutlichen Sieg gegen Trier zeigten die Merlins erstmals ihr Potenzial, auch gegen Göttingen fehlten nur Kleinigkeiten zum Sieg. "Wir müssen uns erst noch an das Tempo gewöhnen, aber das Team hat in den letzten Wochen gut gearbeitet und dazugelernt", sagt Coach Willie Young.

Fast wie Gandalf

Chancenlos ist der Neuling also nicht. Ingo Enskat drückt es bildlich aus: "Gandalf wirkt im Vergleich zum Balrog von Moria auch ziemlich klein auf der Brücke. Die Topteams der Liga sind deutlich größer als wir, aber wir werden alles tun, um sie nicht so einfach vorbeizulassen." Auffällig: Trotz der Niederlagen-Serie bleibt man bisher betont cool.

Ob nun Merlin oder Gandalf: Ein bisschen wie Zauberei wirkt das Basketball-Märchen in Crailsheim schon. "Wir haben uns alles selbst erarbeitet. Nach einer Saison wollen wir zurückschauen und sehen, dass sich unser Klub ein kleines Stück verbessert und weiterentwickelt hat. Wenn wir den Klassenerhalt schaffen ist das ein riesiger Schritt, es wäre wie eine Meisterschaft", sagt Enskat.

Der Kader der Crailsheim Merlins

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