"Ich halte es wie Konfuzius"

Von Interview: Haruka Gruber
Treffpunkt Audi Dome: SPOX-Chefreporter Haruka Gruber interviewt Svetislav Pesic in seinem Büro
© spox

Mit dem neuen Headcoach Svetislav Pesic kam die Wende: Die Bayern-Basketballer zelebrieren 100-Punkte-Galas, fahren den fünften Sieg in Folge und marschieren durch die BBL. Dennoch sieht sich der 63-Jährige weiter als "Visagist". Warum er stur bleibt. Warum er keinen Adam Morrison mehr will. Und was es mit Egon Coordes auf sich hat.

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SPOX: Mitte Dezember sagten Sie in der "AZ", dass der FC Bayern jeden Tag "wie eine Frau geschminkt" werden müsse, um die Schwächen der Mannschaft zu verbergen. Wie viel Schminke ist noch nötig, nachdem die letzten fünf Spiele gewonnen und viermal über 100 Punkte erzielt wurden?

Svetislav Pesic: Wir sehen mittlerweile attraktiver aus als vor einigen Wochen, dennoch müssen wir uns jeden Tag in den Spiegel schauen und uns schminken. Bis aus dem FC Bayern eine natürliche Schönheit wird, kann es noch eine Zeit dauern.

SPOX: Ihr Gemütszustand scheint immer derselbe zu sein. Unabhängig davon, ob Sie Ihr erstes Spiel mit den Bayern in Berlin deutlich verlieren oder ob Sie wie zuletzt eine Basketball-Gala nach der anderen zelebrieren. Woher kommt die Gelassenheit?

Pesic: Aus dem Wissen heraus, wie im Basketball alles miteinander zusammenhängt. Ein Trainer muss wissen, was ihn motiviert. Bei mir ist es so, dass ich motiviert werde, wenn im Training die Spieler gut mitmachen und die Intensität hoch ist. Das ist bei uns der Fall, daher entwickele ich aus der Zufriedenheit eine innere Ruhe, die sehr wichtig ist, um wiederum der Mannschaft die richtige Einstellung mitzugeben. Ich weiß, dass wir nicht alles gewinnen können. Aber ich weiß, dass wir alles dafür getan haben.

SPOX: Nur gut und intensiv trainieren reicht für einen Bayern-Profi, um die Ansprüche des als sehr streng geltenden Pesic zu erfüllen?

Pesic: Was heißt "nur"? Ich erwarte von allen das Maximum an Einsatz. Ich habe in meiner Karriere so vielen Spielern gesagt, dass sie nicht hundertprozentig alles für den Erfolg geben und sie sich verbessern können. Die meisten haben es nicht verstanden und erst nach Jahren zugegeben: "Coach, jetzt weiß ich, was Sie damals meinten, es ist nur zu spät."

SPOX: Ein Beispiel?

Pesic: Bei meinem Sohn Marko lief es so. Ich wollte immer, dass er mehr Point Guard spielt, ihm selbst war es jedoch immer wichtiger, als Shooting Guard viele Punkte zu erzielen. Genauso Juan Carlos Navarro. Ich hatte ihn beim FC Barcelona als 22-Jährigen angefangen zu trainieren und ihm gleich geraten, dass er seine Fähigkeiten als Point Guard verbessert. Navarro antwortete nur: "Sorry Coach, im Training kann ich gerne die Eins übernehmen, im Spiel möchte ich auf der Zwei spielen und scoren." Dabei wollte ich die Spieler nur besser, auf einer gewissen Art auch reicher machen.

SPOX: Was sagen Ihr Sohn Marko Pesic, als Sportdirektor Ihr Vorgesetzter bei den Bayern, und Juan Carlos Navarro heute?

Pesic: Dass ich Recht hatte und sie besser auf mich gehört hätten. Ich bin überzeugt, dass sie noch erfolgreicher hätten sein können. Die Sportart hat sich entwickelt, es geht in die Richtung "Basketball total". Von allem wird mehr und mehr erwartet: mehr Intensität, mehr Schnelligkeit, mehr Sprungkraft, vor allem mehr Vielseitigkeit. Mittlerweile muss der Spitzenbasketballer mindestens zwei Positionen spielen können, um interessant und begehrt zu sein. Und der Spitzenbasketballer soll an sich selbst den Anspruch haben, jedes Jahr etwas Neues zu erlernen: einen neuen Move in der Offense, eine neue Aufgabe in der Defense, irgendwas. Das ist er alleine den Fans schuldig, die für ihn Eintrittskarten kaufen und sehen wollen, dass er sich bemüht.

SPOX: Genau dieses Bemühen wurde bei Ihrem ehemaligen Privatschüler Robin Benzing in den letzten beiden Jahren in Frage gestellt. Seit Sie die Bayern trainieren, wirkt er jedoch wie verwandelt und verzeichnet in den vergangenen 5 Spielen 17,0 Punkte und beachtliche 4,8 Rebounds im Schnitt. Steckt in ihm doch mehr als nur ein eindimensionaler Scorer?

Pesic: Robins Problem sind die großen Erwartungen. Dabei ist es Quatsch, in ihm den neuen Nowitzki oder Schrempf zu sehen. Ich hatte schon im Sommer mit der Nationalmannschaft den Eindruck, dass er sich entwickelt hat. Nur: Die Öffentlichkeit sollte verstehen, dass Robin etwas anders ist als die Gleichaltrigen auf dem Niveau, weil seine biologische und sportliche Uhr unterschiedlich ticken. Er ist zwar 23 Jahre alt, als Basketballer hingegen eher 21. Er wurde später als andere professionell gefördert.

SPOX: Trotzdem klang es ziemlich gewagt, als Sie sagten, dass Sie in Benzing einen zukünftigen Bayern-Anführer sehen.

Pesic: Ich traue ihm das zu, wobei er wissen muss, dass es mit Anstrengung verbunden ist. Wenn sein Wurf mal nicht fällt, darf er nicht nachlassen, sondern muss eben andere Qualitäten zeigen und mehr Defense spielen oder Rebounds holen. Wenn er das versteht und umsetzt, steigt sein Ansehen nach innen und nach außen automatisch. Ich bin gespannt.

SPOX: Sie betonen, dass Ihnen die Entwicklung der einzelnen Spieler wichtig ist und dass Sie jeden bis zu den Playoffs "20 bis 30 Prozent besser" machen wollen. Will das nicht jeder Trainer?

Pesic: Ein Trainer arbeitet in einem ständigen Spannungsfeld, weil der Druck so groß ist, kurzfristig gute Resultate zu erzielen. Ich bin allerdings stur und sage: Von dem Druck lasse ich mich nicht ablenken. Mit kurzfristigem Denken wird man mit viel Glück im ersten Jahr vielleicht Meister, danach kommt jedoch nichts mehr. Mit Kontinuität muss man anfangs vielleicht warten, dafür gibt es später mehrere Titel in Folge. Und Kontinuität erreicht man nur, wenn die Entwicklung der Spieler im Vordergrund steht. Ich halte es wie Konfuzius: "Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern."

Teil II: Pesic über Hoeneß, Coordes und einen möglichen Star-Zugang für die Bayern

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