Ein Grundübel des deutschen Basketballs

Von Kommentar: Haruka Gruber
Bitteres Ausscheiden: Jan Jagla, Steffen Hamann, Per Günther, Elias Harris und Demond Greene (v.l)
© Imago

Das WM-Aus gegen Angola war eine der bittersten Stunden der DBB-Geschichte - und machte deutlich, dass den so gelobten Talenten die Toughness fehlt. Schuld daran ist auch der Verband. Ein Kommentar von Haruka Gruber.

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Ein Häufchen Elend. Die Stimme zittrig, die Augen gerötet, bei jedem Satz drohen die Tränen wieder auszubrechen. Philipp Schwethelm kam dennoch seiner Pflicht nach und beendete professionell die Pressekonferenz.

Es waren die unangenehmsten Minuten in seiner jungen Karriere. Gerade erst gegen Angola verloren und damit das Minimalziel WM-Achtelfinale verpasst, musste sich Schwethelm als einziger Spieler der Öffentlichkeit stellen, während die Veteranen um Demond Greene, Jan Jagla und Steffen Hamann wie auch die vor dem Turnier gefeierten Supertalente Robin Benzing, Elias Harris und Tibor Pleiß in der Kabine blieben.

Sie seien nun mal sehr aufgewühlt und fühlten sich nicht nach einem Statement, entschuldigte der DBB. Aus menschlicher Sicht vielleicht verständlich - dennoch spiegelt die Episode ein Grundübel des deutschen Teams wider. Vor lauter Rücksicht und Empathie wird nicht nur nach einem verlorenen Spiel gegen Angola versucht, vor allem die jungen Spieler vor der Öffentlichkeit zu schützen.

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Spieler von Kritik abgeschirmt

Zwei Wochen vor Beginn der WM geschah etwas Ungewöhnliches. Bundestrainer Dirk Bauermann entschloss sich zu einem psychologischen Kniff und kritisierte Benzing und Harris - und das vor mehreren Journalisten. Sein Kalkül: Wenn sie die Artikel darüber lesen, werden sie dadurch angestachelt und noch motivierter sein.

Auf Bauermanns Worte hin entwickelte sich eine rege Diskussion zwischen Benzings Berater Marko Pesic und dem ebenfalls tadelnden Experten Frank Buschmann. Eine Debatte, die außerhalb der deutschen Basketball-Szene nur wenige interessierte - und doch für den DBB Anlass genug war, einzuschreiten und insbesondere Benzing vor jedweder Kritik abzuschirmen.

Man mag meinen, dass es nur eine Randnotiz während der WM war. Eine Randnotiz, die jedoch illustriert, wie der DBB denkt. Auf dem Parkett sollen die Spieler selbstständig und selbstsicher agieren, außerhalb des Parketts müsste man sie aber vor störenden Einflüssen seitens der Journalisten schützen, um deren behutsame Entwicklung nicht zu gefährden.

In diesem Fall lautete die Erkenntnis des Verbands bereits nach den ersten Spielen: Die Berichterstattung trägt eine Teilschuld an Benzings schwacher WM - weswegen Bauermann auch zurückruderte.

Überfordert beim Do-or-Die-Spiel

Aber: Die aktive Auseinandersetzung mit der Außenwelt gehört genauso zum Reifeprozess wie das Erlernen von Playbooks. Der Bundestrainer findet in Team-Meetings mit Sicherheit strengere Töne als gegenüber den Journalisten. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit bleibt jedoch ein wichtiges pädagogisches Instrument bei der Erziehung von Talenten.

Ein Vier-Augen-Gespräch ist das eine, Kritik auch einmal in die Medien zu tragen und so den Spieler in die Pflicht zu nehmen, das andere. Erst so lernt ein junger Spieler, nicht nur mit dem Druck des Trainers, sondern auch mit der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit zurechtzukommen.

Im Falle von Benzing war Bauermann offenbar selbst überrascht, wie sehr sich der Spieler von seinen Aussagen verunsichern ließ. Die Kernfrage bleibt jedoch: Wenn sich jemand von drei, vier Artikeln derart aus dem Konzept bringen lässt, wie soll er dann erst mit den Erfordernissen eines Do-or-Die-Spiels gegen Angola umgehen können? Wenn eine halbe Million Deutsche vor dem Fernseher sitzen?

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Der Unterschied zu den DFB-Talenten

Benzing, Pleiß, Harris: Sie alle wollen spätestens nächstes Jahr in die NBA. Oder zumindest zu einem europäischen Topklub. Die Medien in den USA, Spanien und Griechenland werden jedoch nicht einmal ansatzweise so verständnisvoll berichten wie die DBB-Berichterstatter, bei denen sich selbst die Boulevard-Medien in Zurückhaltung üben.

Dass die jungen Deutschen tatsächlich hochbegabt sind, darüber bestehen keinerlei Zweifel. Das bestätigen auch alle Experten und ausländischen Journalisten. Gerne vergleicht Bauermann seine Mannschaft mit dem aktuellen DFB-Team, weil die Altersstruktur eine ähnliche ist. Neben der Spielpraxis auf höchstem Niveau haben die deutschen Fußballer jedoch eine entscheidende Sache voraus: Sie werden bereits in frühen Jahren mit dem öffentlichen Anspruch konfrontiert und wachsen daran.

Dementsprechend wären die Tage von Kayseri, als sich selbst Nicht-Basketball-Fans für die WM interessierten, vielleicht der richtige Zeitpunkt gewesen, die Spieler mit NBA-Ambitionen aus ihrem Kokon zu holen und an Stress zu gewöhnen. Zu verlieren gab es ohnehin nicht viel, zu schwach waren die Leistungen.

Mentale Überbelastung und fehlende Stressresistenz

1:45 Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit gegen das international zweitklassige Angola mit neun Punkten zu führen - und den Vorsprung doch noch herzugeben, weil simpelste Spielzüge nicht gelingen, Bälle weggeschmissen werden und plötzlich nicht mehr verteidigt wird, war kein Zeichen von fehlender Klasse, sondern von mentaler Überbelastung und fehlender Stressresistenz bei den vermeintlichen Leistungsträgern.

Gegen Angola überzeugten hingegen ausgerechnet die Ersatzspieler, die trotz ihres jungen Alters bereits Erfahrung darin haben, kritisiert zu werden.

Tim Ohlbrecht beispielsweise, einer der am skeptischsten beäugten deutschen Basketballer der letzten Jahre, steigerte sich im Turnierverlauf beträchtlich.

Oder ein 21-Jähriger, der erst in diesem Sommer sein Länderspieldebüt feierte und bis vergangene Saison immer nur als Quoten-Deutscher galt. Sein Name: Philipp Schwethelm. Zufall, dass er sich als einziger in der Pressekonferenz gestellt hat?

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