"Am Tiefpunkt angelangt"

SID
Die deutschen Fechter werden nicht nach Rio fahren
© getty

Die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro finden endgültig ohne deutsche Fecht-Teams statt. Als letzte Hoffnung verpassten auch die Degen-Herren um den zweimaligen Einzel-Europameister Jörg Fiedler das Ticket für die Sommerspiele in Rio. Die Ernüchterung im deutschen Lager ist groß.

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Beim letzten Qualifikationsturnier in Vancouver verlor das deutsche Quartett mit Fiedler (Leipzig), Constantin Böhm, Stephan Rein und Niklas Multerer (alle Heidenheim) im Viertelfinale gegen den Weltmeister Ukraine 30:45 und belegte Platz sechs. Es ist das erste Mal im derzeitigen Modus, dass Olympische Spiele ohne eine einzige deutsche Mannschaft stattfinden.

"Wir sind sehr enttäuscht, dass wir die Qualifikation nicht geschafft haben. Wir hatten es selbst in der Hand, aber am Ende war die Aufgabe zu groß", sagte Sportdirektor Sven Ressel zum Abschneiden der Degenfechter.

"Wir sind am Tiefpunkt angelangt. Alles andere wäre beschönigt", sagte Verbandspräsident Dieter Lammer dem SID: "Wir fahren ohne eine einzige Mannschaft nach Rio, der worst case ist eingetreten." Letztmals war 1956 in Melbourne kein deutsches Team bei Sommerspielen am Start, damals waren aber die Mannschaftswettbewerbe der Frauen nicht olympisch.

Zuvor hatten bereits die Degendamen um Peking-Olympiasiegerin Britta Heidemann (Leverkusen), die Florett-Herren um den viermaligen Einzel-Weltmeister Peter Joppich (Koblenz) und die Sabelfechterinnen ihre Hoffnungen auf einen Olympiastart aufgeben müssen.

Deutschen von der Weltspitze weitestgehend abgehängt

Der Deutsche Fechter-Bund bekam damit die Rechnung am Ende eines schleichenden Prozesses präsentiert. Seit langem laufen die Deutschen der Weltspitze hinterher, lange übertünchten aber auch die Erfolge von Spitzenathleten wie Heidemann oder Joppich die Probleme im Nachwuchsbereich.

Die Gelegenheit, in Zeiten des Erfolges die Weichen behutsam zu stellen, ist vergangen, nun muss ein abrupter Neuaufbau her. "Wir dürfen mögliche Versäumnisse der Vergangenheit nicht wiederholen", sagte Lammer.

Denn außer bei den Säbelfechtern um den WM-Dritten und Vize-Europameister Max Hartung, deren Teamwettbewerb ausgerechnet in Rio nicht im olympischen Programm ist, sind die Deutschen von der Weltspitze weitestgehend abgehängt worden. Nach derzeitigem Stand wären lediglich vier deutsche Fechter für die Einzel-Wettbewerbe qualifiziert: Max Hartung, Matyas Szabo (beide Säbel), Peter Joppich und Carolin Golubytskyi (beide Florett).

Als "desolat" hatte zuletzt der zweimalige Degen-Olympiasieger Arnd Schmitt in einem Interview die Situation beschrieben. "Das möchte ich nicht näher kommentieren, da sich in dieser Phase viele Leute zu Wort melden, die wissen, wie es besser geht", sagte Lammer: "Sie können sich gerne konstruktiv in den Verband einbringen."

Keine zweite Chance

Bereits nach dem Olympia-Aus der Florettfechter, in London noch mit Bronze dekoriert, hatte der Verband einen Umbruch angekündigt. Man könne nicht zur Tagesordnung übergehen, hatte Lammer erklärt und betont:" Es wird alles durchleuchtet - und es wird Veränderungen geben. Im Endeffekt müssen wir uns in allen Bereichen neu aufstellen."

Von den kurzfristigen Olympia-Zielen von zwei Medaillen will der DFeB aber trotz der tiefen Enttäuschung nicht abrücken. "Die Sportler, die in Rio an den Start gehen werden, haben alle Möglichkeiten, die avisierten Medaillen zu erreichen", sagte Lammer.

Tatsächlich haben Heidemann, Joppich und vor allem die Säbelfechter in dieser Saison bereits gezeigt, dass sie auch in Rio um die Podestplätze kämpfen können. Topfechterin Heidemann muss um ihr Ticket allerdings noch bangen. Und ohnehin darf in Brasilien nichts mehr schief gehen - eine zweite Chance in der Mannschaft haben die Deutschen im Gegensatz zu früher nun nicht mehr.

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