"Mein Opa war ein kleiner Pyromane"

Marteria spielt selbst lange in der Jugend von Hansa Rostock
© paulripke

Er will die Musik ruhen lassen, um ein Jahr mit Hansa Rostock "auf Tour" gehen zu können. Mit SPOX spricht Marteria über den Verfall des Ostdeutschen Fußballs, die verkorkste Musikbranche und plädiert für die uneingeschränkte Nutzung von Pyrotechnik in deutschen Stadien.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Marteria, Sie sind ein großer Hansa-Rostock-Fan und versuchen, so oft es geht auch im Stadion zu sein. Wie passt das mit Ihrem engen Terminkalender zusammen?

Marteria: Wann immer es irgendwie geht, bin ich dabei. Aktuell ist das natürlich schwierig, vor allem wenn wir auf Tour sind. Ich habe mir aber fest vorgenommen, in ein paar Jahren einfach mal mit der Musik zu pausieren und mir jedes Hansa-Spiel anzugucken, daheim und auswärts.

SPOX: Wie geht es bei Hansa Rostock in den kommenden Jahren weiter? Der Aufstieg war nur sehr kurz ein Thema in der vergangenen Saison.

Marteria: Das weiß ich leider nicht. Auch diese Saison war wieder sehr unruhig. Erst spielen wir mit um den Aufstieg, dann verlieren wir den Anschluss, dann ist der Trainer weg und das ewig leidige Thema mit dem Geld... Es kommt drauf an, was für ein Trainer kommt und ob wir neue Sponsoren generieren können. Vom Umfeld her müsste der Klub viel höher spielen.

SPOX: Bundesliga?

Marteria: Ein Beispiel: Ich war letzte Woche bei Paris Saint-Germain auf dem Trainingsgelände. Da sah es nicht anders aus als hier bei uns. Vier beheizte Trainingsplätze, drei Nebenstadien und ein Leichtathletik-Stadion mit allem Schnick-Schnack. Das hat absolut Bundesliga-Niveau und wir dümpeln in der dritten Liga rum... Zumindest gibt es nächstes Jahr vermutlich einige Ost-Derbys.

SPOX: Das stimmt, Cottbus und Dresden sind beide in die 3. Liga abgestiegen. Warum geht es dem ostdeutschen Fußball so schlecht zurzeit?

Marteria: Das ist doch kein Wunder. Nachdem der Westen unsere Vereine kaputt gekauft hat (lacht).

SPOX: Sie sind pro Pyrotechnik im Stadion. Wie stellen Sie sich das vor, mit Einschränkungen wie zum Beispiel einem abgetrennten Bereich, oder einfach "frei Schnauze".

Marteria: Einfach "frei Schnauze" (lacht). Das Thema Pyro wird immer eine große Diskussion bleiben und wie beim Graffiti werden sich die Menschen einigen. Die einen sagen es ist Kunst, die anderen sagen es ist Schmiererei. Die Pyrotechnik erweckt in vielen Menschen einen Instinkt und eine große Faszination. Die Leute, die schon mal bei einer Pyro-Aktion dabei gewesen sind, wissen auch, wie friedlich es da zugeht. Man liegt sich in den Armen, singt ein Lied, zündet und ist einfach happy. Das mag nach außen aggressiv wirken, es ist aber das genaue Gegenteil. Es ist ein Signal an die Mannschaft, kein Feuerwerk.

SPOX: Sie sprechen aus Erfahrung?

Marteria: Schon mein Opa war ein kleiner Pyromane. Da gab es auf der ein oder anderen Geburtstagsfeier auch immer ein Feuerwerk.

SPOX: Ist das nicht gefährlich?

Marteria: Nein, kein bisschen - es ist nicht gefährlich. Klar, wenn irgendein Hirni so eine Fackel in einen anderen Block wirft, kann natürlich schon was passieren. Aber ich bin ja auch nicht so dämlich und setze mich mit meinem Jungen direkt neben den Gästeblock. Die Leute sagen immer, dass heute alles so schrecklich ist, dabei ist es überhaupt kein Vergleich zu früher.

SPOX: Was meinen Sie?

Marteria: Wenn ich überlege, wie ich früher mit meiner Mutter weggerannt bin, wenn es gegen den BFC Dynamo ging und was man da für eine Panik hatte. Sowas ist durch die Sicherheitsmaßnahmen und die Fantrennung heute gar nicht mehr möglich. Ich werde nie vergessen, als ich fünf oder sechs Jahre alt war, da sind die BFC-Fans mit 500 Bekloppten durchs Marathontor ins Ostseestadion gerannt und haben alles niedergemäht, was ihnen in den Weg gekommen ist. Anschließend haben die die ganze Stadt verwüstet und sind dann zurück nach Berlin gefahren.

SPOX: Sie haben selber sehr ambitioniert in der Jugend von Hansa Rostock gespielt und wurden von Horst Hrubesch sogar zur U-17-Nationalmannschaft berufen. Dennoch entschieden Sie sich gegen eine Karriere im Fußball und folgten dem Angebot eines Modelscouts, als Sie Ihre Schwester in New York besuchten.

Marteria: Das stimmt. Ich dachte mir damals: Wenn du das jetzt nicht versuchst, wirst du es ewig bereuen. Ein 17-Jähriger aus Rostock plötzlich in der großen weiten Welt - wer könnte da Nein sagen?

SPOX: Richtig Fuß fassen konnten Sie in der Modelbranche nicht und hatten auch selber relativ schnell genug davon. Haben Sie Ihre Entscheidung, nach Amerika zu gehen, nach Ihrer Rückkehr bereut?

Marteria: Sicher gibt es Phasen, in denen man Dinge bereut. Heute sehe ich das Ganze sehr positiv und denke, dass mich auch diese Entscheidung dort hin geführt hat, wo ich heute bin. Damals war das natürlich anders. Wenn du mit 2,40 Euro in der Tasche zu Hause sitzt und viele schlaflose Nächte durchlebst, dann denkt man sich schon: Ich war ganz schön dumm, warum habe ich das bloß gemacht. Aber das ist ganz normal. Jeder Mensch braucht im Leben mehrere Anläufe.

SPOX: Haben Sie nach Ihrer Rückkehr probiert, nochmal im Fußball durchzustarten.

Marteria: Nein, nicht wirklich. Ich habe zwar noch ein bisschen in der Verbandsliga gespielt, hatte aber auch nicht mehr so richtig Bock. Wenn Du einmal in der weiten Welt warst, hast du keine Lust mehr, Fußballer zu sein. Außer du bist wie Clarence Seedorf unterwegs und spielst in vielen verschiedenen Ländern. Abgesehen davon, kann man es sich auf diesem Level auch nicht erlauben, ein bis zwei Jahre nicht zu spielen.

SPOX: Sie hatten in Ihrem Leben schon Einblicke in unterschiedlichste Branchen, unter anderem Profifußball, Musik, Schauspiel und die Modewelt. Haben Sie sich für die richtige entschieden?

Marteria: Ich habe auf jeden Fall den richtigen Weg gewählt. Musik zu machen ist ein absoluter Traum, ähnlich wie Fußball zu spielen. Man hat die Chance, den Leuten etwas mit auf den Weg zu geben. Musik ist etwas sehr inhaltsstarkes. Man kann Menschen dabei helfen, mit gewissen Situationen umzugehen oder auch mal eine andere Sichtweise in Betracht zu ziehen. Das ist das Schöne an der Musik. Im Fußball wird man in eine Disziplinwelt gedrückt, die man nicht verlassen darf. Abgesehen davon hat man als Musiker viel mehr von seinem Beruf. Mit meinen 31 Jahren wäre ich gerade im besten Fußballer-Alter, als Musiker stehe ich gerade erst am Anfang. Außerdem verdienen wir Musiker natürlich viel, viel mehr (lacht).

SPOX: Welche Branche würden Sie als die am meisten verkorkste beschreiben?

Marteria: Oh, das ist eine schwierige Frage. Es gibt schon eine Menge verkorkster Musiker, ohne Frage. Aber auch der Sport hat seine Tücken. Als Fußballer musst du viele Lügen erzählen und dir eine Art Parallelwelt ausdenken, wenn du Lust hast, auch mal feiern zu gehen oder Party zu machen, weil man immer unter Beobachtung steht. Da geht man am besten mit drei Sonnenbrillen und zwei Perücken vor die Tür, um nicht erkannt zu werden. Wenn ich wählen müsste, würde ich aber die Musikbranche nehmen, da sind schon einige kaputte Typen unterwegs.

Seite 1: Hansa Rostock, Pyrotechnik und die verkorkste Musikbranche

Seite 2: Hip Hop, die Charlotte Hornets und Freikarten von John Wallace