Hambüchen und Boy: Gewechselte Fronten

SID
Fabian Hambüchen (l.) und Philipp Boy planen ihre Zukunft im Profiturnen
© Getty

Fabian Hambüchen hat Lust am Turnen wie nie. Indes kann sich Philipp Boy noch nicht zu einer Entscheidung durchringen. Ihm fehlt die Motivation angesichts vieler Verletzungen.

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Unter der Woche verbrachte Fabian Hambüchen noch einen zünftigen Abend auf der Münchner Wiesn, am Sonntag (14 Uhr) kehrt er bei seinem Bundesliga-Debüt endlich an die Turngeräte zurück: 54 Tage nach dem Gewinn der Silbermedaille am Reck bei Olympia geht es dem deutschen Vorturner "einfach bestens". "Ich freue mich auf alles was, jetzt so kommt. Und das sollen auch die Spiele in Rio de Janeiro sein", sagte Hambüchen der Nachrichtenagentur dapd. Vier Jahre will sich der 24-Jährige weiter schinden für den "Traum von Gold" - ein Entschluss, zu dem sich sein Kontrahent Philipp Boy noch nicht durchringen kann.

"Es wäre nicht klug, wenn ich jetzt eine Entscheidung treffen würde", sagte Boy in seinem ersten Interview nach dem Absturz bei den Olympischen Spielen in London. "Feuer und Motivation" fehlen dem Vizeweltmeister der vergangenen beiden Jahre derzeit angesichts seines lädierten Körpers. Handgelenk, Schlüsselbein, Rücken, Sprunggelenk: "Mir tut sehr viel weh", sagt er. Am kommenden Dienstag allerdings steht in Berlin ein erstes wegweisendes Gespräch mit Bundestrainer Andreas Hirsch an. Und der stellte im dapd-Gespräch klar, die Unentschlossenheit des Cottbussers "nicht ewig" dulden zu können.

"Wer gewinnen will, muss auch wegstecken, wenn es nicht so läuft. Ich hoffe, es kommt zu keiner Kurzschlussreaktion", sagt der Berliner. Natürlich könne er Boys Enttäuschung nach dem in vielerlei Hinsicht schmerzlichen Auftritt in London verstehen, im Kopf aber schwirrt dem Chefcoach das Traum-Team der kommenden Jahre. Mit einem fitten Hambüchen, einem genesenen Boy und dem ohnehin hoch motivierten Marcel Nguyen kann die deutsche Männer-Riege an die erfolgreichen vergangenen Jahre anknüpfen.

Hambüchen will endlich Gold

Dass Hambüchen in der feucht-fröhlichen Oktoberfest-Laune gleich ankündigte, "so fit zu sein, dass ich noch mal vier Jahre durchziehen will", ist für Hirsch ein erstes gutes Zeichen. "Ich bin froh, dass er das Ziel hat und nicht nur von Jahr zu Jahr denkt", sagt er. Hambüchen setze sich durch den Blick auf seine vierten Sommerspiele "nicht unter Druck. Der weite Blick nach vorne gefällt mir". Was nach Bronze in Peking und Silber in London das Ziel in Rio sein wird, ist jedem in Hambüchens Umfeld klar. Ausgeschlossen ist auch nicht, dass der Wetzlarer für seinen großen Traum den Mehrkampf vernachlässigt und zum Reck-Spezialisten wird.

Es hat schon etwas Kurioses, dass die beiden Top-Turner genau im Olympia-Jahr die Fronten gewechselt haben. Boy, der Überflieger der vergangenen Jahre, wird in diesem Jahr keinen Wettkampf mehr bestreiten. Den für Ende des Jahres angesetzten Lehrgang der Bundeswehr-Sportfördergruppe hat der 25-Jährige abgesagt - als Sportsoldat verliert er damit wohl seinen verlässlichsten Geldgeber. Hambüchen hingegen entschied sich vollkommen überraschend kurz nach London, für den Aufsteiger KTV Obere Lahn in der eigentlich ungeliebten Bundesliga an den Start zu gehen.

Noch vor den Spielen habe er "gedacht, dass das die letzte große Herausforderung für meinen Körper sein wird", gab er zu. Nun hat er offenbar so viel Lust auf Turnen wie selten zuvor. "Für uns ist das der Wahnsinn. Unsere Chancen auf den Klassenerhalt sind sich durch die Zusage von Hambüchen unglaublich gestiegen", sagt KTV-Teammanager Philipp Wiemers.

Bundestrainer will Klarheit

Die Umstände allerdings werden ab Montag für den Reck-Weltmeister von 2007 nicht mehr sein wie in den letzten acht Jahren. Wenige Stunden nach dem Bundesliga-Debüt geht es am Sonntag von Stuttgart direkt nach Köln. Ab Montag startet Hambüchen sein Studium an der Deutschen Sporthochschule, Vater und Trainer Wolfgang soll weiter das Training leiten. "Er wird derselbe bleiben, egal wo er trainiert", sagt Hirsch. Über Europa- und Weltmeisterschaften muss er sich auch in Zukunft in die Mannschaft turnen. Eine Extrawurst wird es trotz der neuen Situation nicht geben.

Auch für Boy nicht: "Denn fehlendes Training kann durch Routine nicht ersetzt werden", stellt Hirsch klar. Dass Boy sich in den vergangenen Wochen kaum in der Cottbusser Turnhalle hat blicken lassen, schmeckt auch dem Bundestrainer nicht. Das wird er seinem Sorgenkind am Dienstag unter vier Augen sagen: "Und ich erwarte, dass auch Philipp mit reinen Wein einschenkt."