Bruchpilot Boll quält sich durch das Jahr

SID
Rekord-Europameister Timo Boll reist als Favorit zur EM nach Danzig
© Getty

Eine Mülltonne hätte Timo Boll beinahe die EM-Teilnahme gekostet. Das am Samstag beginnende Turnier in Danzig ist für den abgekämpften Rekordeuropameister ein Etappenziel auf dem Weg zu den Highlights 2012.

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Timo Boll wird ein besonders gutes Sehvermögen nachgesagt. Doch vor gut vier Wochen ließ den Tischtennis-Star sein außerordentliches Augenlicht einmal kurz im Stich - beinahe mit fatalen Folgen.

Nachdem sich der 30-Jährige nach dem Training in Düsseldorf aufs Rad geschwungen hatte, übersah er auf dem Heimweg eine Mülltonne.

"Ich habe mit dem Lenker eingefädelt und seitlich den Abflug gemacht", erzählt Boll. Sein Schutzengel allerdings war aufmerksamer, denn Boll trug nur Prellungen und Hautabschürfungen davon. "Da hatte ich echt Glück", sagt der Linkshänder. Lediglich ein kleiner roter Fleck ziert noch seinen linken Unterarm.

Rekordeuropameister mit 13 Titel

Bei einem Knochenbruch hätte der topgesetzte Boll die am Samstag beginnende EM in Danzig (bis 16. Oktober) abhaken können.

Wobei der Odenwälder, der sich mit seinem Titel-Triple im vergangenen Jahr in Ostrau zum Rekordeuropameister (13 Titel) aufgeschwungen hat, durchaus eine Verschnaufpause gebrauchen könnte, denn seinen Sommerurlaub nach der Bronzemedaille bei der WM in Rotterdam hatte Boll gegen einen achtwöchtigen Kraftakt in der chinesischen Superliga getauscht.

Kein Wunder also, dass zu Saisonbeginn mit dem Triple-Gewinner Borussia Düsseldorf noch nicht alles rund lief. "In den letzten Wochen musste ich schon ein bisschen Tribut zollen. Ich habe eine kurze Pause eingelegt, weil ich mich ausgelaugt fühlte", sagt Boll.

Bei Olympia 2012 angreifen

Die strapaziöse Zeit beim Klub Zheijang Huangzhou ("Ich bin am Ende auf dem Zahnfleisch gegangen") möchte der Weltranglistenvierte aber nicht missen. Schließlich der "Staatsfeind Nr. 1" die chinesische Übermacht im kommenden Jahr bei der Mannschafts-WM und vor allem bei Olympia erschüttern. "Man lernt dort, gegen die Chinesen aggressiver zu spielen und die wenigen Chancen, die man bekommt, zu nutzen", lautet Bolls Fazit.

Die EM ist daher für Boll eine Art Etappenziel auf dem Weg über die Mannschafts-WM im März in Dortmund zu den Olympischen Spielen in London.

"Ich hatte keine spezielle Vorbereitung für das Turnier, sonst hätte ich das ganze Jahr anders planen müssen", sagt Boll, versichert aber: "Ich fahre sicher nicht zum Spaß dahin. Ich weiß, wie strapaziös diese Meisterschaft ist. Man muss sich extrem quälen können."

Boll verzichtet auf Doppel

Angesichts des Mammutprogramms verzichtet Boll in diesem Jahr auf das Doppel, zumal Partner Christian Süß nach seiner Knieverletzung ausfällt. Im Team und im Einzel will Boll trotzdem ganz vorne mitspielen: "Ich hoffe, dass ich die Power habe. Mir fehlen noch ein paar Einheiten, aber ich hoffe, dass ich das über den Odenwälder Kampfgeist wettmachen kann."

Nicht zu müde war Boll bei all dem sportlichen Stress für eine Nebenbeschäftigung als Autor. "Mein China" lautet der Titel des Buches, das Anfang November erscheint.

Der Inhalt: Eine Art Reisebericht, garniert mit autobiografischen Elementen und Tischtennis-Kunde. Auch hier macht Boll keine halben Sachen: Direkt im Anschluss an die EM geht es auf Promotiontour.

Keine Zeit für Familienplanung

Die Zeit der ständigen Reisen und privaten Entbehrungen soll für Boll noch bis 2016 weitergehen. Für Familienplanung war bislang noch keine Zeit, wenngleich Boll zugibt: "Ich bin mittlerweile so weit, dass ich es mir vorstellen kann."

Gemeinsame Zeit mit Ehefrau Rodelia hat Boll im November. Dann steht ein Kurzurlaub in der Schweiz oder Österreich an. Vielleicht mit Mountainbike, aber hoffentlich - siehe oben - ohne Hindernisse.

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