Alles wie 1987...

Von Jan Konietzny
Im Gruppenspiel der All Blacks gegen Frankreich war Nonu (r.) für Aurelien Rougerie nicht zu halten
© Getty

Alles wie 1987. Danach sieht es bei der Rugby-WM in Neuseeland momentan aus. Vor 24 Jahren hießen die letzten vier verbliebenen Mannschaften ebenfalls Australien, Neuseeland, Frankreich und Wales - exakt wie in diesem Jahr.

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Und auch damals fand die WM in Neuseeland statt. Man teilte sich die Ausrichtung des Turniers zwar mit Australien, doch wurden die meisten Spiele auf neuseeländischem Grund ausgetragen.

Insgesamt 21 in Neuseeland, dagegen nur 11 in Australien. Die wichtigen Spiele (u.a. das Finale) fanden damals wie heute im legendären Eden Park von Auckland statt. Selbst die Finalpaarungen sind identisch.

Ähnlich wie im Fußball

Im kleinen Finale traten Australien und Wales gegeneinander an, Wales gewann damals mit 22:21 - dieses Mal Australien mit 21:18, und im Duell um den Titel gibt es die Neuauflage von Neuseeland gegen Frankreich. 29:9 gewannen die All Blacks seinerzeit und wurden Weltmeister. Es sollte bis heute das einzige Mal bleiben.

Bei den Franzosen ist es bisweilen ähnlich wie im Fußball. Die Mannschaft spielt unkonstant und hat Probleme im Innenleben. Les-Bleus-Coach Mark Lievremont nannte seine Spieler unlängst "Rotzlöffel", nachdem er herausfand, dass einige Spieler sich nach dem mehr als glücklichen Halbfinal-Sieg gegen Wales eine Partynacht gönnten.

Der Trainer fand deutliche Worte: "Ich habe ihnen gesagt, was ich über sie denke - dass sie ein Haufen undisziplinierter verwöhnter Gören sind. Ungehorsam, manchmal selbstsüchtig und immer am meckern und weinen. So ist es seit Jahren."

Erinnert ein bisschen an Raymond Domenech. Dennoch: Gegen Neuseeland will man natürlich nicht schon im Vorfeld aufgeben, denn wer mit Angst spielt, der verliert. Um eine Chance zu haben, muss allerdings eine enorme Leistungssteigerung her.

Frankreich mit stark schwankenden Leistungen

Auf die Frage, ob Frankreich mit dem Pensum vom Wales-Spiel eine Chance hat, sagte Lievremont: "Nein, ich denke nicht." Und das ist auch objektiv betrachtet so sicher wie das Amen in der Kirche, dafür sind die All Blacks schlichtweg zu stark.

Ohne Zweifel gehen die Neuseeländer als großer Favorit in das Finale. Frankreich zeigte im Laufe des Turniers stark schwankende Leistungen, mit der Favoritenrolle kamen sie nie zurecht. Auf ein gutes Spiel folgte meist ein schlechtes, aber trotz der schwankenden Leistungen konnte man bis ins Finale vordringen.

Das lag wohl daran, dass in der gesamten Endrunde kein wirklicher Gegner der Extraklasse angetroffen wurde. Im Viertelfinale ging es im Prestigeduell gegen inspirationslose Engländer, im Halbfinale gegen Wales, wo hätte Schluss sein müssen. Wäre ein Gegner der Größenordnung Australien oder Südafrika dabei gewesen, wären die Franzosen wohl schon längst wieder daheim.

Doch nun kommt mit den All Blacks ein ganz Großer, vielleicht der Größte. Coach Lievremont sollte sich einen mehr als guten Plan ausdenken, um Neuseeland gefährlich werden zu können.

"Ich weiß nicht, wie wir gewinnen sollen, aber ich weiß, dass wir versuchen werden zu gewinnen. Ich denke, die Strategie ist nur für die Ohren meiner Spieler bestimmt", sagt Lievremont. Die Rolle des Underdogs könnte den Franzosen auf jeden Fall gut tun.

Les Bleus im Check: Bei der Aufstellung der Les Bleus wird es keine Überraschungen geben. Die Stammelf steht, allein auf der Bank kann sich noch etwas tun. Mit Verbinder sowie Kicker Morgan Parra und Gedrängehalb Dimtri Yachvili sind die Kreativköpfe der Franzosen klar personifiziert, zusammen erzielten sie bereits 76 Punkte bei dieser WM.

Außendreiviertel Vincent Clerc steht mit sechs erzielten Versuchen auf Platz eins der Bestenliste, zusammen mit Chris Ashton. Auch im Sturm hat man mit Kapitän Thierry Dusatoir, Julien Bonnaire und Imanol Harinordoquy seine Leistungsträger. Die Hintermannschaft lässt bisweilen etwas zu wünschen übrig, hat aber nichtsdestotrotz Klasse. Die Franzosen brauchen eben ihren berühmten "guten Tag".

All Blacks im Check: Nicht nur Frankreich hat so seine Problemchen, auch bei den All Blacks gibt es Schatten. Schlussmann Mils Muliana brach sich im Viertelfinale gegen Argentinien die Schulter und gab daraufhin sein Ende bei den All Blacks bekannt. Mit Verbinder und Kicker Dan Carter fiel schon zu Beginn der Weltmeisterschaft einer der Stars des Teams aus.

Nachfolger Colin Slade zog sich im Viertelfinale gegen Argentinien ebenfalls eine Verletzung zu. So wurde mit Aaron Cruden der Ersatz vom Ersatz nachnominiert. Gegen Australien lieferte er trotz seiner wenigen Erfahrung ein starkes Spiel ab und so steht er nun vor dem wichtigsten Spiel seiner Karriere. Vor einigen Wochen hätte er davon nicht mal zu träumen gewagt.

Mit 1,79 Meter Körpergröße und 79 Kilogramm ist der 22-jährige Cruden ein Leichtgewicht im Rugby, so einen findet man heutzutage nur noch selten in Profimannschaften. Insgesamt haben die All Blacks aber ohne Zweifel das bessere Team. Allein die vorderen Reihen mit Spielern wie Mealamu, Whitelock und Kapitän Richie McCaw bestehen ausnahmslos aus Weltklasse-Spielern.

Dazu kommt ein Gedrängehalb wie Piri Weepu, Ma'a Nonu als ester Innendreiviertel und einer der besten Spieler der Welt, Richard Kahui sowie Cory Jane auf den Flügeln und natürlich der flexible Israel Dagg - alle verkörpern Extraklasse.

Schon vor der WM war klar: Neuseeland kann sich eigentlich, wie schon so oft zuvor, nur selbst schlagen. Nehmen sie ihre Favoritenrolle an und verzweifeln nicht an ihr, dann ist das Finale das Mindeste. So ist es gekommen.

Schlüsselduelle

Offenes Gedränge: Die Franzosen Imanol Harinordoquy, Julien Bonnaire und Thierry Dusautoir gegen Neuseelands Jerome Kaino, Kieran Read und Richie McCaw. Dieses Duell wird spielentscheidend sein.

Es ist nicht nur das Duell der Kapitäne, McCaw und Dusatoir, es wird auch das häufigste Duell des Spiels überhaupt sein. Die All Blacks gewannen beeindruckende 98 Prozent ihrer offenen Gedränge, Frankreich 95 Prozent. Hier müssen die Franzosen dagegenhalten und wichtige Ballgewinne holen.

Die Kicker: Daniel Carter verletzt, Colin Slade verletzt. Aaron Cruden? Zu schlecht. Also muss Piri Weepu bei den All Blacks ran. Man merkte ihm in den letzten spielen an, dass er kein ausgewiesener Kicker ist - zu viele Möglichkeiten auf Punkte ließ er liegen.

Bei den Franzosen ist Kick-Routinier Dimitri Yachvili für die Straftritte verantwortlich. Ein Vorteil für die Franzosen könnte man meinen. Aber ein Blick in die Statistik verrät: Beide beförderten bisher 15 erfolgreiche Tritte zwischen die Malstangen, wobei Weepu mit einer Erfolgsrate von 75 Prozent gegenüber 71 Prozent von Yachvili vorne liegt.

Die Verbinder: Wie schon angesprochen ist Cruden der Ersatz vom Ersatz. Er kann also keine 1a Lösung sein, auch wenn er gegen Australien ein starkes Spiel zeigte. Vor allem an seinen Tritten muss er noch arbeiten, deswegen wird dies auch weiterhin Weepu übernehmen.

Ohnehin mimt Weepu den zweiten Spielmacher auf dem Feld und greift dem jungen Cruden damit unter die Arme. Bei den Franzosen übernimmt Morgan Parra den Verbinder-Job, auch wenn er dort nicht zuhause ist. Eigentlich ist Parra Gedrängehalb, ein mehr als umstrittenes Experiment von Trainer Lievremont. Hier wird es interessant sein zu sehen, wer das Spiel seiner Mannschaft besser beeinflussen kann.

Die Top-Scorer: Die All Blacks haben in Piri Weepu ihren Mann, der bisher die meisten Punkte erzielte - 41 an der Zahl. Bei den Franzosen stehen mit Yachvili (39), Parra (37) und Clerc (30) gleich drei Spieler in den Top 10.

Vincent Clerc hat bisher sechs Versuche auf dem WM-Konto, mit zwei weiteren würde er sich in eine Reihe mit Spielern wie Bryan Habana und Jonah Lomu einreihen, die jeweils acht Versuche im Laufe einer WM erzielten.

Bei den All Blacks sind die Versuche auf viele Schultern verteilt: Dagg mit fünf, Guildford vier, Kahui vier, Kaino vier - um nur ein paar zu nennen. Ein Zeichen für Klasse, speziell in der Breite.

Die Spielweise: Beide Mannschaften spielen im Grunde ein ähnliches Rugby. Sie bevorzugen ein technisches, schnelles Angriffsrugby - verbunden mit einem starken Sturm. Nicht nur aus diesem Grund ist ein attraktives Weltmeisterschaftsfinale zu erwarten.

Die Tendenz geht zu 1987, einer Wiederholung - die Zeit ist reif. Mit einem der wohl besten Teams aller Zeiten treten die All Blacks, den Heim-Bonus im Rücken, gegen eine wackelnde, unkonstante französische Mannschaft an, die sich allerdings in der Underdog-Rolle sehr wohl fühlt.

Schon in der Gruppenphase trafen beide Teams aufeinander: Neuseeland gewann ohne Probleme mit 37:17. Doch nun steht das Finale an, und dort ist bekanntlich alles möglich.

Voraussichtliche Aufstellungen:

Starting XV Neuseeland: 1. Tony Woodcock, 2. Keven Mealamu, 3. Owen Franks, 4. Samuel Whitelock, 5. Brad Thorn, 6. Jerome Kaino, 7. Richie McCaw (Kapitän), 8. Kieran Read, 9. Piri Weepu, 10. Aaron Cruden, 11. Richard Kahui, 12. Ma'a Nonu, 13. Conrad Smith, 14. Cory Jane, 15. Israel Dagg

Bank: 16. Andrew Hore, 17. Ben Franks, 18. Ali Williams, 19. Victor Vito, 20. Andy Ellis, 21. Stephen Donald, 22. Sonny Bill Williams

Starting XV Frankreich: 1. Jean-Baptiste Poux, 2. William Servat, 3. Nicolas Mas, 4. Pascal Pape, 5. Lionel Nallet, 6. Thierry Dusautoir (Kapitän), 7. Julien Bonnaire, 8. Imanol Harinordoquy, 9. Dimitri Yachvili, 10. Morgan Parra, 11. Alexis Palisson, 12. Maxime Mermoz, 13. Aurelien Rougerie, 14. Vincent Clerc, 15. Maxime Medard

Bank: 16. Dimitri Szarzewski, 17. Fabien Barcella, 18. Julien Pierre, 19. Fulgence Ouedraogo, 20. Francois Trinh-Duc, 21. Jean Marc Doussain, 22. Cedric Heymans

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