Kelly Pavlik: Der Geist aus Youngstown

Von Pascal Jochem
Kelly Pavlik ist seit 2007 Mittelgewichts-Champion der Verbände WBC und WBO
© Getty

In Ohio ist er ein Held, hierzulande ein Unbekannter. Kelly "The Gost" Pavlik ist amtierender WBC- und WBO-Champion im Mittelgewicht - und wurde in der Vergangenheit schon einige Male als möglicher Gegner von Felix Sturm und Arthur Abraham gehandelt. Der 28 Jahre alte US-Amerikaner gehört zu den spektakulärsten Boxern der Welt, seine Heimatstadt liegt ihm zu Füßen. Der Boxwelt hat Pavlik nach einer verheerenden Oktobernacht allerdings noch etwas zu beweisen.

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Der Jubel ist überwältigend. Tausende Menschen auf den Straßen bereiten ihrem Helden, der wenige Stunden zuvor seinen größten Sieg gefeiert hatte, einen warmen Empfang. Begleitet von einer beeindruckenden Polizei- und Feuerwehr-Eskorte, überquert Kelly Pavlik in seinem Geländewagen die Grenze seiner Heimatstadt. Der Stolz von Youngstown/Ohio ist zurückgekehrt, zwei Weltmeister-Gürtel im Gepäck.

Schon während des Kampfes am Vorabend im über 400 Meilen entfernten Atlantic City hatten 6.000 mitgereiste Pavlik-Fans ihren Schützling lautstark angefeuert. In einer spektakulären Schlacht entthronte Pavlik den großen Favoriten Jermain Taylor, den bis dato ungeschlagenen Mittelgewichts-Champion der Boxverbände WBC und WBO.

Dabei hatte es alles andere als vielversprechend begonnen. Bereits in der zweiten Runde schluckte der Herausforderer eine Serie harter Treffer und ging sogar zu Boden. Doch Pavlik kam zurück, drehte den Kampf und knockte Taylor in Runde sieben aus. "What a survival", krönte auch Larry Merchant, Kommentatoren-Legende des übertragenden Fernsehsenders "HBO", Pavliks Leistung.

2008: Knockout-Quote von über 90 Prozent

Mit dem Sieg über Taylor im September 2007 gelingt Kelly Pavlik endgültig der Durchbruch. Der Kampf, der als einer der größten Fights des Jahres in die Geschichte eingeht, ist aber auch eine lang ersehnte Revanche. Acht Jahre zuvor hatte Pavlik als Amateur in der Olympia-Ausscheidung gegen Taylor, den späteren Bronzemedaillengewinner von Sydney, noch den Kürzeren gezogen.

Im dritten Aufeinandertreffen der beiden im Februar 2008 behielt Pavlik im obligatorischen Re-Fight erneut die Oberhand. Einstimmiger Punktsieg über zwölf Runden lautete das Urteil diesmal. Sein 33. Sieg im 33. Profikampf, 30 davon durch K.o. Eine makellose Bilanz, dekoriert mit einer furchteinflößenden Knockout-Quote von über 90 Prozent.

Zweieinhalb Jahre ist der große Triumph jetzt her. Pavlik trägt immer noch beide WM-Gürtel. Am 17. April verteidigt er sie gegen den Argentinier Sergio Martinez.

Der bodenständige Champion

Doch so spektakulär und erfolgreich Pavlik auch boxt, über die Grenzen von Ohio hinaus gilt er nicht als Superstar. Ohne jegliche Häme schrieb die "New York Times" einst: "Wenn Sie noch nicht von Kelly Pavlik gehört haben, ist es nicht unbedingt Ihre Schuld."

In einer Boxwelt, die besonders in den USA von Glamour und hohen Börsen bestimmt wird, bildet der bodenständige junge Mann aus dem mittleren Westen mit seinem bescheidenen Lebensstil eine willkommene Ausnahme. Glamour und Prahlerei sind ihm fremd, Pavlik schwört seiner Heimatstadt die Treue.

"Ich habe hier alles, was ich zum Glücklichsein brauche", betont Pavlik immer wieder: "Ich schätze diese Nähe zu meinen Fans." Finanziell wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, der tristen Welt in der einstigen Hochburg der Stahl- und Metallindustrie zu entfliehen - so wie es die Mehrzahl der Einwohner Youngstowns nach der Schließung der Fabriken in den siebziger Jahren getan hat.

Doch Pavlik ist geblieben, das rechnen sie ihm hoch an. "Money has not changed him", urteilte unlängst die "New York Times". Gemeinsam mit seiner langjährigen Freundin Samantha und der kleinen Tochter Sydney wohnt er in einem bescheidenen Reihenhaus im Süden der Stadt, unweit vom eigenen Elternhaus entfernt.

Youngstown's South Side Boxing Club

Selbst wenn Pavlik von seinen Idolen spricht, bleibt seine Heimattreue allgegenwärtig. "Ich habe immer Ray Mancini und Harry Arroyo bewundert. Beide waren Weltmeister und stammen aus Youngstown, wo auch ich herkomme", sagte Pavlik einst, angesprochen auf seine boxerischen Vorbilder, die hierzulande nur Experten ein Begriff sein dürften.

Versuche von Manager Cameron Dunkin, seinem Schützling ein neues Image zu verpassen und einen erfahreneren Trainer an die Seite zu stellen, scheiterten. Selbst von medienwirksameren Trainingscamps fernab der Heimat ist Dunkin mittlerweile abgekommen. Pavlik lässt sich nicht verbiegen, noch immer trainiert er am liebsten im heimischen Youngstown's South Side Boxing Club, wo er mit neun Jahren das erste Mal die Boxhandschuhe schnürte.

Jack Loew, der seit nunmehr 17 Jahren Pavlik als Coach betreut, erinnert sich an die ersten Trainingsstunden mit dem jungen Kelly. "Mutig und hartnäckig" sei er damals gewesen, aber "kein besonderes Talent".

Trotz Spätstart: Schlagkräftigster Boxer im Mittelgewicht

Doch mit Fleiß und harter Arbeit entwickelte sich Pavlik zu einem gnadenlosen Puncher, der durch Athletik, Schnelligkeit und eine beeindruckende Schlagfrequenz besticht. Weil er selbst zudem nur schwer zu treffen war, verpasste ihm sein Bruder bereits zu Amateurzeiten den Spitznamen "The Ghost".

1999 macht der Unsichtbare das erste Mal auf sich aufmerksam, als er die Junioren-Championships der USA gewinnt. Mit 18 wechselt er schließlich ins Profilager, wo er bei Promoter-Legende Bob Arum unterschreibt. Nach einer ungewöhnlich langen Aufbauphase mit knapp 30 gewonnen Profi-Kämpfen in Folge geht erst im Jahr 2007 Pavliks Stern auf.

Die hoch gehandelten Jose Luis Zertuche und Edison Miranda schickt er in eindrucksvoller Manier vorzeitig auf die Bretter. Letzterer hatte ein Jahr zuvor in der legendären "Ring-Schlacht von Wetzlar" Arthur Abraham den Kiefer gebrochen.

Schon damals wird deutlich: Dieser junge, aufstrebende Pavlik, eigentlich ein Boxer von schlaksiger Statur und mit dünnen Beinchen, sucht unerschrocken die Nahdistanz, feuert eine Kombination nach der anderen ab und schlägt mit einer Bösartigkeit und Härte zu, die seinesgleichen sucht. Das "Ring Magazine" kürt ihn prompt zum schlagkräftigsten Boxer im Mittelgewicht.

Hohn und Spott nach Hopkins-Niederlage

Nach den Siegen über Jermain Taylor und einer erfolgreichen Titelverteidigung gegen Gary Lockett steht Pavlik als Doppelweltmeister auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Felix Sturm und Arthur Abraham werden als mögliche Gegner gehandelt, doch ein Kampf kommt nie zustande.

Stattdessen tritt Pavlik im Herbst 2008 gegen Bernard Hopkins an, der ihm eine empfindliche Niederlage zufügt. Eine Tracht Prügel, die seinen Ruf zerstört. Zwölf Runden lang wird Pavlik vom damals 43 Jahre alten Hopkins vorgeführt. Pavlik verliert den ersten Kampf in seiner Profi-Karriere - und muss viel Hohn und Spott einstecken.

Gerüchte um eine Ellenbogenverletzung und eine Bronchitis, die ihn vier Tage vor dem Kampf flachgelegt haben soll, machen die Runde. Sie halten sich bis heute hartnäckig, ändern aber nichts an der Blamage und dem tiefen Kratzer, den Pavliks Karriere davongetragen hat.

"Ich weiß nicht, was mit mir los war, aber eines weiß ich: Das war nicht Kelly Pavlik, der gegen Hopkins im Ring stand", beteuert Pavlik bis heute. Der einzige Trost: Seine Mittelgewichts-Titel darf er behalten. Im Hopkins-Kampf, der im Halbschwergewicht stattfand, standen sie nicht auf dem Spiel.

Warten auf den Sieger des Super-Six

Auch heute, knapp zwei Jahre später, wird Pavlik immer wieder mit der bittersten Stunde in seiner Karriere konfrontiert. "Du musst das Geschehene hinter dir lassen. Viele der größten Kämpfer der Geschichte haben wichtige Kämpfe verloren. Aber sie sind wieder zurückgekommen", sagt er.

Pavlik ist dies ebenfalls gelungen. Allerdings verlief das Jahr 2009 anders als erwartet, eine komplizierte Hand-Infektion setzte ihn für zehn Monate außer Gefecht und ließ nur zwei Kämpfe zu. Marc Antonio Rubio und Miguel Espino bereiteten ihm keine Probleme, sind allerdings auch nicht die großen Namen im Geschäft. Gegen Paul Williams musste Pavlik gleich zwei Mal passen, wofür er erneut Kritik einstecken musste. Mit Abraham wurde er sich auch nicht handelseinig. Fortan hieß es, er drücke sich um die großen Gegner.

"Für viele bin ich der Typ aus dem Mittleren Westen, der da oben nicht hingehört. Meine Kritiker kann ich nur zum Schweigen bringen, indem ich die wirklichen Topleute besiege", glaubt Pavlik. Am kommenden Samstag macht er gegen Martinez den Anfang.

Für die Zukunft hat er aber ganz andere Pläne: "Hoffentlich ist das Super-Six-Turnier 2011 zu Ende. Denn dann werde ich eine Gewichtsklasse hoch gehen und mir einen der Sieger vorknöpfen."

Youngstown wird wieder auf den Beinen sein - und ihm bei seiner Rückkehr einen warmen Empfang bereiten.

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