"Deutschland ist der Geheimtipp"

Von Interview: Haruka Gruber
Svetislav Pesic über Bundestrainer Dirk Bauermann (l.): "Sein Konzept scheint aufzugehen"
© Imago

Chris Kaman ist überflüssig, Tony Parker ist kein NBA-Star und deutsche Talente sind europaweit Spitze: Svetislav Pesic, der Deutschland mit dem EM-Titel 1993 zum größten Erfolg der Geschichte geführt hat, vor dem EM-Auftakt in Polen am Montag gegen Frankreich (19 Uhr im LIVE-TICKER) über das DBB-Team und die Glorifizierung der NBA.

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SPOX: Sie haben vor einigen Jahren Dirk Nowitzki mit Ronaldinho verglichen, weil Nowitzki für das DBB-Team so wichtig sei wie Ronaldinho für eine Fußball-Mannschaft...

Svetislav Pesic: Da muss ich gleich einschränken: Der Vergleich gilt natürlich nicht mehr. Ronaldinho hat sich seit damals deutlich verschlechtert, Dirk hingegen ist nach wie vor Weltklasse. Ehrlich gesagt war es sowieso Quatsch, Parallelen zwischen Dirk und einem Fußballer zu ziehen.

SPOX: Warum?

Pesic: Nehmen wir Cristiano Ronaldo. Er mag zwar ein sehr guter Fußballer sein, aber Dirk gehört zu einer anderen Kategorie. Er ist eine komplette Persönlichkeit und hat seit einem Jahrzehnt bewiesen, dass er auf seiner Position einer der Besten ist. Wenn nicht sogar der Beste.

SPOX: Dementsprechend trauen Sie nach Nowitzkis Absage der deutschen Nationalmannschaft bei der EM nicht viel zu?

Pesic: Ganz im Gegenteil. Deutschland ist der Geheimtipp.

SPOX: Aber neben Nowitzki fehlt mit Chris Kaman auch der zweite NBA-Spieler.

Pesic: Ich halte nicht viel von Chris Kaman. Er ist einfach irgendein Ausländer, der im letzten Jahr für Deutschland gespielt hat. Ich begrüße so etwas ganz und gar nicht - zumal er auch sportlich nichts gebracht hat. Er ist nur ein Basketballer, der in der NBA spielt. Er macht aber keinen Unterschied aus. Daher ist er überflüssig, speziell auch mit Blick auf die Zukunft.

SPOX: Dennoch fehlen zwei Stützen der Mannschaft, die sich letztes Jahr für Olympia qualifiziert hat.

Pesic: Wegen Olympia kommt der dringend benötigte Neuaufbau auch ein Jahr zu spät. Aber das Konzept von Bundestrainer Dirk Bauermann scheint aufzugehen. Dirk Nowitzki ist natürlich ein Verlust, aber ohne ihn haben die jungen Spieler die Chance, sich zu beweisen. Ich habe die Deutschen in der Vorbereitung gesehen und muss sagen: Die Mannschaft ist sehr, sehr interessant. Den Kern bilden die bewährten Steffen Hamann, Jan Jagla, Patrick Femerling, Demond Greene und Sven Schultze, zudem gibt es Talente, die europaweit zu den Besten gehören. Ich traue Deutschland zu, mindestens die WM-Qualifikation zu schaffen.

SPOX: Dafür müsste das DBB-Team aber Sechster oder - sollte WM-Gastgeber Türkei unter den besten sechs Teams landen - mindestens Siebter werden.

Pesic: Ein realistisches Ziel. Die Mannschaft hat eine große Zukunft vor sich, und die WM 2010 wäre der logische nächste Schritt. Zudem ist der EM-Modus für die junge Mannschaft von Vorteil. Durch die beiden Gruppenphasen kann man wie in der Vorbereitung hin und wieder auch eine deutliche Niederlage kassieren und dennoch weiterkommen.

SPOX: Mit Spanien, Griechenland, Slowenien, Litauen, Kroatien, Russland, Serbien, Türkei und Frankreich gibt es jedoch mindestens neun Teams, die auf dem Papier besser besetzt scheinen.

Pesic: Das sehe ich nicht so. Von Spanien abgesehen - das qualitativ einen Tick voraus ist - gibt es beim Turnier keine Favoriten. Slowenien, Kroatien und Serbien schätze ich recht stark ein, aber ansonsten? Griechenland ist nicht komplett, Russland ist nicht so gut und Litauen ist auch ohne Sarunas Jasikevicius, Ramunas Siskauskas und Rimantas Kaukenas zwar talentiert, hat aber keine Persönlichkeiten.

SPOX: Und was ist mit Deutschlands Auftaktgegner Frankreich?

Pesic: Beide Mannschaften sind auf einem Niveau. Frankreich wird froh sein, sich für die WM zu qualifizieren.

SPOX: Aber für Frankreich spielen NBA-Stars wie Tony Parker und Boris Diaw.

Pesic: Das sind keine NBA-Stars. Man muss unterscheiden zwischen NBA-Stars und NBA-Spielern. Es gibt so viele Spieler in Europa, die ohne Probleme in der NBA mithalten könnten. Andersherum ist nicht jeder Spieler in der NBA automatisch ein Star bei einer EM. Sie wecken große Erwartungen, im Grunde sind es aber nur ganz normale Basketballer. Daher sehe ich Deutschland auf Augenhöhe.

SPOX: Hat Dirk Bauermann demnach nicht übertrieben, als er Elias Harris mit Ademola Okulaja, Robin Benzing mit Henning Harnisch, Lucca Staiger mit Henrik Rödl und Tibor Pleiß mit Patrick Femerling verglichen hat?

Pesic: Es ist keine Übertreibung. Die Spieler der neuen Generation werden mindestens so gut sein wie ihre Vorgänger. Und es fehlt noch einer in der Auflistung: Heiko Schaffartzik ist der nächste Kai Nürnberger. Nachdem er in den letzten Jahren einige Probleme hatte, hat er sich prächtig entwickelt und ist aus meiner Sicht die langfristige Lösung auf der Spielmacherposition.

SPOX: Die Zukunft des deutschen Basketballs ist demnach rosig?

Pesic: Das Talent ist definitiv vorhanden - aber um die Entwicklung nicht zu gefährden, muss die BBL aufwachen. Es reicht nicht aus, dass junge Spieler in der Nationalmannschaft ihre Einsätze bekommen. Basketballer werden im Verein geformt. Dieser Verantwortung müssen sich die BBL-Klubs stellen.

SPOX: Ihr Ex-Klub Alba Berlin ist aber das beste Beispiel dafür, dass Ihre Forderung nur schwer umsetzbar ist. Nationalspieler Philipp Zwiener wurde von Bauermann aussortiert, weil er in Berlin zu wenige Minuten bekommt.

Pesic: Albas Problem ist, dass die deutschen Spieler im Kader nicht unbedingt die besten des Landes sind. Dass diese demnach nicht so oft spielen, ist bis zu einem gewissen Grad verständlich.

SPOX: Aber?

Pesic: Generell macht Alba den gleichen Fehler wie die gesamte Liga. Es werden Ausländer geholt, die auf den ersten Blick günstiger und etwas besser sind als ein deutsches Talent. Spitzenbasketball ist jedoch immer ein Produkt von Kontinuität. Mit Ausländern ist das aber nicht zu gewährleisten, zumal die Ausländer international nur bedingt konkurrenzfähig sind. Wenn man einen Spieler importiert, sollte er so gut sein, dass die Deutschen im Kader etwas von ihm lernen können. Mittelfristig wäre es die richtige Politik.

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SPOX: Trotz des höchsten Zuschauerschnitts Europas und des höchsten Etats in Deutschland stagniert Alba sportlich. Braucht Berlin Ihre Hilfe?

Pesic: Berlin ist meine Heimat und ich bin Alba freundschaftlich verbunden. Ich habe nach wie vor einen sehr guten Kontakt zum Klub und zu Trainer Luka Pavicevic, daher ist irgendwann eine Rückkehr nicht auszuschließen.

SPOX: Vielleicht als Ratgeber für den unter Kritik stehenden Pavicevic?

Pesic: Nein, ich kann nichts anderes als Chefcoach sein. Ratgeber, Co-Trainer, Präsident, Direktor, Manager: Das ist alles nichts für mich. Und bevor Sie nachfragen: Derzeit kommt für mich ein neuer Trainerjob nicht in Frage. Ich habe letzte Saison noch Roter Stern Belgrad betreut, weil ich darum gebeten wurde, dieses Jahr trete ich aber bewusst etwas zurück, leite einige Trainerlehrgänge und schnaufe durch.

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