Joachim Franke: "Man ist schockiert"

SID
Joachim Franke arbeite seit Jahren mit Claudia Pechstein (r.) zusammen
© Getty

Joachim Franke äußert sich zum Dopingbefund bei Claudia Pechstein. "Ich bin mir sicher, dass sie unschuldig ist", so der langjährige Trainer der Olympiasiegerin.

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Joachim Franke hat Claudia Pechstein im aktuellen Dopingfall vor persönlichen Enttäuschungen gewarnt. "Sie wird in diesem Fall immer wieder enttäuscht werden, auch von Menschen, denen sie vertraut hat", erklärte der langjährige Trainer und Berater der Eisschnelllauf-Olympiasiegerin im Interview mit dem "SID".

Frage: "Herr Franke, Sie waren 16 Jahre lang Trainer von Claudia Pechstein, haben mit ihr alle fünf Olympiasiege geholt und stehen ihr heute noch mit Rat und Tat zur Seite. Wie sehr haben Sie die Dopinganschuldigungen gegen sie mitgenommen?"

Joachim Franke: "Man ist schockiert. Sie hat mich kurz nach meinem 69. Geburtstag Ende März über die Sache informiert. Da ging sie aber noch davon aus, dass sich alles nach der Anhörung durch den Weltverband erledigt haben würde. Das war ja bekanntlich nicht der Fall."

Frage: "Vor knapp zwei Wochen hat die ISU sie für zwei Jahre gesperrt ..."

Franke: "Wir haben uns danach natürlich intensiv ausgetauscht, und sie hat mir sehr deutlich ihre Sicht der Dinge erläutert. Ich kenne sie sehr gut. Ich glaube ihr und bin mir sicher, dass sie unschuldig ist."

Frage: "Claudia Pechstein sagte zuletzt, dass sie sich vorstellen könnte, dass auch der Herzinfarkt, den Sie kürzlich erlitten haben, mit der Dopingaffäre zu tun haben könnte ..."

Franke: "Das glaube ich nicht. Dieser Infarkt hat mich selbst überrascht, und ich hätte nicht gedacht, dass es meinem Herzen so schlecht geht. Mir geht es wieder ganz gut. Ich gehe viel spazieren und fahre viel Rad."

Frage: "Claudia Pechstein hat sich gemeinsam mit ihrem Anwalt Simon Bergmann und ihrem Manager Ralf Grengel, der Ihr Schwiegersohn ist, sehr aggressiv an die Öffentlichkeit gewandt. Sie sagte, sie tue das, was sie am besten könne: kämpfen. Erkennen Sie darin die Sportlerin Claudia Pechstein wieder?"

Franke: "Ja, unbedingt, das ist Claudia wie sie leibt und lebt. Ich kenne viele Athleten und Athletinnen, die an dieser Situation verzweifelt und zusammengebrochen wären. Aber Claudia kämpft, zielgerichtet und konsequent wie sie es immer getan hat. Und so trainiert sie auch momentan, trotz allem. Ich war am vergangenen Donnerstag erstmals wieder bei ihrem Training, und sogar ich war überrascht, mit welcher Härte sie an die Sache herangeht."

Frage: "Haben Sie ihr die Leistungsexplosion in der vergangenen Saison zugetraut, die ihr viele Kritiker derzeit zum Vorwurf machen?"

Franke: "Immer. Das war an ihren Trainingsleistungen abzusehen. Das hat mich nicht überrascht. Ich habe immer gewusst, dass sie trotz ihres Alters noch zu außergewöhnlichen Leistungen fähig ist."

Frage: "Konsequenz und Härte wird sie auch im weiteren Verlauf dieses Dopingfalls gut gebrauchen können ..."

Franke: "Ja, sie wird in diesem Fall immer wieder enttäuscht werden, auch von Menschen, denen sie vertraut hat. Die kritischen Aussagen ihres Trainers Peter Mueller zum Beispiel haben wir sehr genau registriert. Wir werden das erörtern. Mal sehen, was sich daraus ergibt."

Frage: "Wie wird Ihre künftige Rolle aussehen?"

Franke: "Ich habe ihr nach meinem Rücktritt 2006 gesagt, dass ich immer da bin, wenn sie Hilfe benötigt. Diese Aussage gilt natürlich jetzt in besonderem Maße. Ich werde punktuell helfen - mehr denn je, wenn es keine Zusammenarbeit mit Peter Mueller mehr geben sollte. Vor allem, wenn es um die Einschätzung ihrer Leistungsfähigkeit geht, gibt es wohl niemanden, der sie besser beurteilen kann als ich. Eine vollständige Rückkehr mit allen Konsequenzen ist aber nicht angedacht."

Frage: "Einige Medien haben im Zusammenhang mit dem laufenden Fall darauf hingewiesen, dass Sie einst in der DDR zur Forschungsgruppe 'zusätzliche Leistungsreserven' gehört haben sollen, die immer wieder mit Doping in Verbindung gebracht wurde. Sind Sie in Ihrer Karriere als Trainer jemals mit Doping in Berührung gekommen?"

Franke: "Nein, und die Behauptung, ich sei Mitglied dieser Energetik-Kommission gewesen, ist der größte Blödsinn."

Frage: "Und der Eisschnelllauf in der DDR war sauber?"

Franke: "Das Entscheidende, was dem Eisschnelllauf der DDR damals den Erfolg gebracht hat, waren neue methodische Wege. Durch diese Wege mit ganzjährigem Training auf dem Rad, auf dem Eis und auf der Rolle haben wir mit viel Mühe zu den Holländern und Norwegern aufgeschlossen. Wir haben gelernt, die Trainingsmittel optimal auszunutzen."

Frage: "Und Claudia Pechstein hat die Erfahrung, die Sie damals gesammelt haben, am besten umgesetzt ..."

Franke: "Als sie 1991 zu mir kam, war sie noch sehr schwach, aber sie konnte Roll- und Schlittschuhlaufen. Ihr Potenzial war offensichtlich, aber dass sie es so weit schafft, war damals nicht abzusehen. Ihr enormer Wille hat ihr immer dabei geholfen. Ohne ihn hätte es zum Beispiel ihre ersten beiden Olympiasiege in Lillehammer und Nagano nicht gegeben, als sie beide Male über 5000 Meter die damals als unschlagbar geltende Gunda Niemann geschlagen hat - in Nagano in diesem legendären Rennen in unter sieben Minuten. Das hätte ich damals niemals für möglich gehalten."

Frage: "Wie, glauben Sie, wird die Sache ausgehen?"

Franke: "Das ist ganz schwer zu sagen. Ich hoffe immer noch, dass Dinge ans Tageslicht kommen, die die Sache etwas aufhellen. Es wäre schön, wenn die Richter sich sehr genau den momentanen Streit der Wissenschaftler ansehen, die sich ihrer Sache auch nicht sicher sind. Vieles ist einfach noch ungeklärt. Zum Beispiel auch die Sache mit dem Kuhhandel. Wenn jemand schuldig ist, und er bekommt vom Weltverband das Angebot, dass die Sache nicht mehr weiter verfolgt wird, wenn dieser jemand die Karriere beendet - dann nehme ich den Vorschlag doch an! Ich finde es vermessen, Claudia ohne positiven Dopingbefund zu sperren. Wenn ich mir die Diskussionen und Randerscheinungen anschaue, fehlt mir generell ein wenig das Verständnis für den indirekten Dopingbeweis. Ich gehe davon aus, dass sie freigesprochen wird."

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