"Ich püriere kalte Pute und trinke das"

Von Interview: Stefan Maurer
Bei 50 Metern gibt es kaum Spielraum. Joachim Stoltenfeldt muss an jedem Detail arbeiten
© Getty

Joachim Stoltenfeldt ist ein bisschen verrückt - im positiven Sinn. Der 36-jährige Sportlehrer, Konditionstrainer und Ausdauerspezialist wagt sich jetzt an einen ganz außergewöhnlichen Selbstversuch: Er will den deutschen Rekord über 50 Meter Freistil-Schwimmen brechen und damit ein Zeichen im Kampf gegen das Doping setzen.

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Er hat sich als Autoschieber und am Ultra-Marathon versucht. Er hält den Weltrekord im Treppensteigen-Marathon, ist UNICEF-Botschafter, Sportlehrer und Konditionstrainer. Und jetzt hat Joachim Stoltenfeldt etwas Neues, auf den ersten Blick völlig Verrücktes vor: Der 36-Jährige will den deutschen Rekord über 50 Meter Freistil des Berliner Schwimmers Rafed El-Masri (21,86 Sekunden) brechen.

Seit dem 1. Oktober 2008 trainiert er dafür, am 28. September dieses Jahres in Schwäbisch-Hall sein Wagnis in die Tat umzusetzen. Mit SPOX sprach Stoltenfeldt über Ernährung ohne Genuss, Sport mit und ohne Doping und seinen Umbau vom Ausdauerathleten zum Sprinter.

SPOX: Hallo Herr Stoltenfeldt, ich habe es heute Mittag schon mal bei Ihnen versucht, Sie aber nicht erreicht...

Joachim Stoltenfeldt: Ja, da war ich im Wasser. Wenn ich nicht ans Telefon gehe, dann bin ich entweder im Wasser oder im Fitnessstudio.

SPOX: Wie ist das Training für ihren Rekordversuch?

Stoltenfeldt: Für einen Ausdauersportler ist das, was ich gerade mache, natürlich schon eine ganz andere Hausnummer. Rein physisch ist es sehr belastend. Psychisch stehe ich ganz gut da, weil ich ja schon öfter Aktionen mit einer solch langen Vorbereitungszeit gemacht habe. Ich habe zu Beginn des Projekts 76, 77 Kilogramm gewogen und war bei meiner Größe von 1,90 Meter eher ein Schlacks. Und jetzt mache ich etwas, wofür ich extrem schnellkräftig sein muss. Da war natürlich körperlich schon viel Arbeit notwendig.

SPOX: Unter anderem halten Sie einen strengen Ernährungsplan ein. Erzählen Sie ein bisschen...

Stoltenfeldt: Ich bin von Natur aus Genussesser, aber meine Ernährung hat derzeit nichts mit Genuss zu tun. Mann muss sich vorstellen, dass ich 500 Gramm kaltes Putenfleisch im Mixer püriere, um das Eiweiß gut aufzunehmen. Außerdem muss ich mir seit Beginn des Programms ja auch 7000 Kalorien pro Tag zuführen.

SPOX: Das hört sich wahrlich nicht nach Spaß an. Leisten Sie sich Ausrutscher beim Essen?

Stoltenfeldt: Nein, ich leiste mir keine Ausrutscher. Das hat auch mit meinem Beruf zu tun. Ich arbeite als Trainer vorwiegend mit Profisportlern. Dort muss ich auch immer auf absolute Disziplin bestehen. Sport so zu betreiben, ist Lebensaufgabe und Lebensauffassung. Das verlange ich von mir selbst dann auch.

SPOX: Wie groß sind Ihre Trainingsumfänge im Vergleich zu früher?

Stoltenfeldt: Sie sind definitiv kleiner, aber intensiver. Bei der Vorbereitung zum Weltrekord im Treppenlaufen bin ich jeden Tag fünf Stunden nur gelaufen. Damals musste ich ja nur Ausdauertraining machen und ein bisschen Kraft für den Oberkörper, um mich am Geländer hoch zu ziehen.  Aber das hier ist eine andere Geschichte - ich musste meinen Körper komplett auseinander bauen und wieder zusammen setzen. Mir hat am Anfang jegliche Schnellkraft und Explosivität gefehlt. Ich musste halt umstellen von den langen roten Fasern auf die kurzen weißen. Das Verändern der Muskelfasern in dieser Richtung ist viel schwerer als andersherum.

SPOX: Jetzt sind es nicht einmal mehr 80 Tage bis zum Rekordversuch -  sind Sie im Soll?

Stoltenfeldt: Ja, bin ich. Derzeit stagnieren die Zeiten aber ein wenig. Die ersten Monate sind die Sekunden, auch durch ein ausgeprägtes Techniktraining, nur so gepurzelt. Ich hatte aber körperlich großen Nachholbedarf. Mit meinem Sportmediziner war ausgemacht, dass ich zehn Kilo Muskelmasse zulegen muss - das ist mir auch gelungen. Das war auch die größte Herausforderung in den letzten Monaten.

SPOX: Wie schnell schwimmen Sie momentan?

Stoltenfeldt: Das verrate ich nicht.

SPOX: Warum?

Stoltenfeldt: Um die vermeintlichen Schwimmexperten beim DSV noch ein bisschen zappeln zu lassen, gebe ich keine Zeiten heraus. Die sollen noch ein bisschen spekulieren, was ich drauf habe.

SPOX: Vermeintliche Experten... Gab es Probleme mit dem Schwimm-Verband?

Stoltenfeldt: Ja, mir wurden einige Knüppel zwischen die Beine geworfen. Diese Aktion hat mir nicht nur Freunde, sondern gerade auch vom Deutschen Schwimm-Verband und den Funktionären dort, Probleme gemacht. Ursprünglich wollte ich im Olympia-Stützpunkt in Heidelberg mit den Schwimmprofis trainieren, aber es wurde sehr schnell klar, dass mich die Schwimmer sobald ich ins Wasser gehe, boykottieren würden. Auch der zukünftige Bundestrainer war wohl von der Aktion nicht so angetan.

SPOX: Woher kam dieser Unmut?

Stoltenfeldt: Da müssen sie dort nachfragen. Ich bin mit der weißen Fahne hingegangen. Es war ja auch klar, dass ich zu Beginn im Wasser nur an deren Fußsohlen riechen - also hinterher schwimmen werde. Ich wollte eine Kooperation schaffen, aber einige haben sich wohl auf den Schlips getreten gefühlt.

SPOX: Beim DSV würde man es sicher nicht gerne sehen, wenn Sie den Rekord tatsächlich brechen sollten?

Stoltenfeldt: Ja, dass verstehe ich natürlich auch. Aber bei meinem Projekt geht es in erster Linie darum zu zeigen, welche Leistungen man ohne Doping bringen kann. Was als Anti-Doping-Kampagne anfing, zielt inzwischen doch sehr stark auf diesen Rekord ab.

SPOX: Apropos Doping: Glauben Sie, dass die Leistungen bei der Tour de France, die aktuell rollt, ungedopt möglich sind?

Stoltenfeldt: Generell ja, aber was dort im Spitzenbereich geboten wird, ist natürlich schon heftig. Da ist es wohl schwierig, das ganz sauber zu machen. Aber in der Gesellschaft ist der Gedanke weit verbreitet, man müsste mit Doping nicht mehr trainieren. Das ist natürlich falsch, man kann lediglich öfter und härter trainieren und braucht weniger Pausen.

SPOX: Wie oft haben Sie sich im letzten Jahr kontrollieren lassen?

Stoltenfeldt: Drei Mal, aber alle meine Blutwerte und Urin-Analysen sind bei meinem Sportmediziner hinterlegt. Ihn werde ich, wenn es beim Rekordversuch gewünscht wird, von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Ich will ja gerade zeigen, was ohne Doping machbar ist, weil ich auch weiß, was im Sport hinter verschlossenen Türen passiert.

SPOX: Können Sie genug Aufmerksamkeit generieren, um dem Sport im Allgemeinen wieder mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen?

Stoltenfeldt: Nein, dafür bin ich zu klein. Das gelingt mir allenfalls auf regionalem Level, aber auf den Sport an sich werde ich sicherlich keinen Einfluss haben. Da müssten Sportler mit einem ganz großen Namen vorpreschen.

SPOX: Verstehen Sie die Skepsis vieler Menschen in Bezug auf den Sport?

Stoltenfeldt: Ganz klar. Die Leistungen sind einfach teilweise unglaublich. Und die jüngsten Verdachtsmomente im Sport zeigen ja auch, dass man möglicherweise Sportler entlarvt, von denen man das bisher nicht gedacht hatte. Außerdem werden die Möglichkeiten, verdeckt zu dopen, durch die Medizin ständig mehr. Doping wird lange Zeit ein Thema bleiben. Es müsste auch viel schwerwiegendere Sanktionen geben - bis hin zum Berufsverbot auf Lebenszeit. Den Sport sauber zu bekommen wird ganz schwer, so lange Sportlern durch die Medien so viel Aufmerksamkeit zuteil wird und Sponsoren viel Geld bezahlen. Jeder Sportler wäre dann ja auch dumm, etwas zu ändern, weil er schließlich von den Sponsoren lebt.

SPOX: Mal weg vom Schwimmen und Doping: Sie haben schon andere verrückte Dinge getan: Auto-Schieben, Treppenlauf, Marathon-Schwimmen...

Stoltenfeldt: Angefangen hat es, als ich bei den Heilbronner Falken in der zweiten Eishockey-Bundesliga Konditionstrainer war. 2005 war Heilbronn UNICEF-Kinder-Stadt. Da wurde ich zum UNICEF-Botschafter gekürt. Dann habe ich überlegt, was ich für UNICEF tun könnte. Heraus kam dabei der Rad-Marathon von Flensburg nach Garmisch. Dann kam der Schwimmmarathon und anschließend kamen das Autoschieben über die Marathondistanz und der Treppenmarathon. Ein normaler Marathon war ja keine Herausforderung. Zum Auto-Schieben hat mich die Aral-Werbung inspiriert. Für das Treppen-Steigen habe ich mit Thomas Dold gesprochen. Der hat einige Male den Empire-State-Building-Lauf gewonnen und kennt sich ganz gut aus.

SPOX: Was für Projekte sind nach dem 50-m-Rekord geplant?

Stoltenfeldt: Das ist mein letztes Projekt als aktiver Sportler. Ich werde sämtliche Laufschuhe und Badehosen an den Nagel hängen und mich auf meinen Job als Trainer stürzen. Vielleicht bin ich doch ein besserer Trainer als Sportler.

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