Gesucht: Der beste Boxer der Welt

Von Carolin Blüchel
Ricky Hatton (l.) und Manny Pacquiao: Wer ist der beste Boxer der Welt?
© Getty

Blitzlichtgewitter, hunderte gespannter Journalisten und als Protagonisten zwei kleine, bemützte Männer an den Flanken einer riesigen Bühne, umgeben von ihrem jeweiligen Team, in der Mitte etwas erhöht ein Rednerpult - die letzte Pressekonferenz vor dem großen Showdown zwischen Ricky Hatton und Manny Pacquiao ist perfekt inszeniert, erinnert beinahe an den US-Wahlkampf zwischen Barack Obama und John McCain.

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Als Co-Veranstalter Bob Arum - nach Don King der zweimächtigste Promoter in den USA - zum Mikrofon greift, hätte sogar Literatur-Papst Marcel-Reich Ranicki seine helle Freude am Medien-Spektakel.

"Oh, Ost ist Ost und West ist West, und es verbindet sie nichts bis Himmel und Erde stille stehen am Tage des Jüngsten Gerichts. Doch zählen weder Ost noch West, noch Grenzen, Rasse oder Herkunft, wenn zwei starke Menschen ins Antlitz sich sehen, und kämen sie vom Ende der Welt."

Die berühmten Anfangsworte von Rudyard Kiplings "Ballad of East and West" liefern das Motto für den Kampf der Kämpfe: Der Kampf zwischen Ost und West, zwischen den Philippinen und Großbritannien, zwischen Pacquiao und Hatton, zwischen dem Pacman und dem Hitman. Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Hund zum Frühstück und Donuts zum Überleben

Auf der einen Seite Pacquiao, der mit 14 Jahren von zu Hause ausriss, um auf der Straße zu leben, nachdem der strenge Vater seinen geliebten Hund geschlachtet und verspeist hatte; der sich über Wasser hielt, indem er Donuts, die er bei einer Bäckerei gekauft hatte, für ein paar Pennies mehr wieder veräußerte; der mit 16 schließlich zum Boxen kam, um sich damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Auf der anderen Seite Hatton, der Klischee-Engländer: Sohn einer Arbeiter-Familie aus Manchester, fanatischer Fußball-Fan, leidenschaftlicher Pub-Gänger und Bier-Liebhaber, der sich nur für das Boxen entschied, weil er für Fußball zu unbegabt war.

Pacquiao, der trainigsfleißige, mit größtem Talent gesegnete, komplette Boxer; Hatton, der unorthodoxe, brutale, harte Schläger mit technischen Defiziten und mangelnder Disziplin - vor allem außerhalb des Rings.

Gemeinsames Dart-Match und "Krieg der Trainer"

Am Samstag treffen beiden Welten aufeinander. Zur Disposition im MGM Grand in Las Vegas stehen Hattons IBO-Gürtel im Junior-Weltergewicht sowie dessen Ring-Magazine-Titel. Doch viel prestigeträchtiger: Es geht auch um die Bezeichnung des besten Pound-for-Pound-Fighters der Welt, den besten Boxer unabhängig von der Gewichtsklasse. Mit seinem K.o.-Sieg gegen Oscar de la Hoya im Dezember unterstrich Pacquiao eindrucksvoll, dass er dieses Attribut derzeit zu Recht trägt. Hatton will es ihm abspenstig machen, so betonte er bei der PK.

Auf großspurige Ankündigungen oder das beinahe traditionell gewordene Säbelrasseln warteten die Journalisten jedoch vergeblich. Während sich Hattons Trainer Floyd Mayweather senior und Pacquiaos Coach Freddie Roach mit Beschimpfungen übertrumpften, ergingen sich die beiden Protagonisten artig in gegenseitigen Respektsbekundungen.

"Wir können uns gut leiden", sagte Hatton. Davon konnte sich die Welt schon beim ersten Aufeinandertreffen vor einigen Monaten überzeugen, als sich beide bei einem Presse-Termin ein Dart-Match lieferten und dabei sichtlich Spaß hatten.

Einzig Roachs Ankündigung, sein Schützling würde mit Hatton innerhalb von drei Runden kurzen Prozess machen, entlockte dem Briten einen kleinen Seitenhieb in Richtung Konkurrenz. "Soll ich mich wirklich vor einem Mann fürchten, der erst zwei Kämpfe über 130 Pfund gemacht hat?"

Experten sehen Pacquiao vorn

Tatsächlich ist Hatton dem Philippino in Sachen Erfahrung im Junior-Weltergewicht (bis 140 Pfund) weit voraus. Während der Engländer im Verlauf seiner Karriere kaum eine Runde in dieser Gewichtsklasse verloren hat, geschweige denn einen Kampf, arbeitete sich Pacquiao über die Jahre vom Junior-Fliegen- (106 Pfund) bis ins Leichtgewicht (135 Pfund) hinauf. Einzig sein letzter Kampf gegen den Golden Boy war bei 142 Pfund angesetzt.

Dennoch wird Pacquiao aufgrund seiner Schnelligkeit und seiner außergewöhnlichen technischen Fähigkeiten bei den meisten Experten als Favorit gehandelt. Schließlich hatte ja auch De la Hoya der Erfahrungsvorsprung in höheren Gewichtsklassen nicht vor der Niederlage bewahrt.

"Manny hat damals gegen einen lebenden Sandsack geboxt, gegen einen Dead man walking. Das hat Oscar selbst zugegeben. Ich aber bin in der Form meines Lebens", kommentierte Hatton die Expertenmeinung.

Hatton: Casino-Besuch als gutes Omen

Pacquiao erwartet den schwersten Kampf seiner Karriere. "Es wird einen Krieg geben", so der 30-Jährige. Diese Prophezeiung nahm Spaßvogel Hatton prompt wörtlich und übte schon einmal im Vorfeld.

Während der Vorbereitung konnte er - ganz in bewährter Hatton-Manier - den Verlockungen des Spielerparadises nicht widerstehen und verbrachte den ein- oder anderen Abend im Spielcasino. Besonders angetan vom "War"-Game, in dem man schlicht wettet, die höhere Karte als der Dealer zu haben, gewann der Hitman einmal 300 Dollar und nahm dies kurzerhand als gutes Omen für den Krieg im Ring.

Es soll jedoch nicht der Eindruck der Unprofessionalität erweckt werden. Die Casino- und Bar-Besuche fuhr Hatton während des Sparrings auf den expliziten Wunsch seines Trainers auf ein Minimum zurück.

Mayweather lernte Hatton Disziplin

Seitdem Mayweather sr. den Takt im Gym angibt, ist im Hause Hatton Disziplin und in dessen Boxstil Finesse eingekehrt. "Ich habe Ricky das Boxen beigebracht. Er wusste gar nichts, er war nur stark. Als ich das erste mal mit ihm trainierte, war das grauenhaft. Aber schaut ihn euch heute an. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht", sagt Mayweather, der sich selbst für den größten Trainer aller Zeiten hält, voller Stolz.

Erstmals begab sich Hatton sogar in ein fünfwöchiges Trainingslager fernab der Familie. In der Mojave-Wüste in Nevada jagte ihn Schleifer Mayweather tagein, tagaus den Mount Charleston hinauf. Die kleinen Schokoladen-Eier, die Bruder Matthew aus dem heimischen Manchester zu Ostern mit im Gepäck hatte, würdigte er keines Blickes.

Das harte Training und die Disziplin machten sich bezahlt. Bereits eine Woche vor dem Kampf war Hatton topfit und bereit - so früh wie nie zuvor. Da blieb sogar noch Zeit so ganz "un-hatton-like" die geschundenen Füße bei einer Pediküre von den Spuren der Anstrengungen der letzten Wochen zu befreien.

Hatton-Fans in den Kneipen von Las Vegas

Hatton-Fans bei der Ankunft in Vegas 2007

15.000 Hatton-Fans erwartet

Obwohl der Fight in den USA stattfindet, dürfte es für Hatton ein Heimspiel werden. Das MGM Grand ist längst ausverkauft. Von den 15.000 britischen Fans, die erwartet werden, hat zwar nur ein Bruchteil Tickets ergattern können, dennoch dürfte das Kräfteverhältnis zwischen Hatton- und Pacquiao-Anhängern eindeutig geklärt sein. Zwar erfreut sich auch der Pacman in seiner Heimat großer Beliebtheit. Wenn er kämpft, sinkt sogar die Kriminalitätsrate in den Philippinen, weil das ganze Land vor den TV-Geräten sitzt, aber es fehlen schlicht die finanziellen Mittel.

Die englischen Anhänger hingegen zogen schon vor einigen Wochen in Scharen mit Ricky-Masken durch Sin City. "Ich dachte, verdammte Scheiße, das ist ganz schön furchteinflößend", sagte Hatton. Überhaupt sind seine Fans berüchtigt. Mit "There's only one Ricky Hatton" sorgen sie seit Jahren bei jedem Kampf ihres Helden für Fußball-Stimmung.

Rooney und Co. sagen ab

Apropos Fußball. Mit Rio Ferdinand, Shaun Wright-Phillips, David Beckham und besonders Wayne Rooney, der schon als Gürtel-Träger fungierte, verbindet Hatton eine enge Freundschaft. Doch anders als vor zwei Jahren bei Hattons erstem Auftritt in Vegas kann diesmal keiner der Soccer-Superstars dabei sein.

"Sie haben mir schon vorgeschlagen, eine Verletzung vorzutäuschen, damit der Kampf erst nach der Fußballsaison stattfindet und sie dabei sein können", sagte Hatton und fing sich damit gleich einen mahnenden Blick seines Trainers ein.

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