Kratochvilovas Weltrekord hält seit 25 Jahren

SID
Jarmila Kratochvilova, Rekord für die Ewigkeit
© Getty

Hamburg - Ihre muskulösen Beine trommeln über die Tartanbahn, die letzten 200 Meter läuft sie im Sprinttempo, erst 30 Meter vor dem Ziel riskiert sie einen Blick zur Anzeigetafel - und ist geschockt.

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"Noch fünf Meter vor der Ziellinie war ich sicher: Die Uhr muss kaputt sein", erinnert sich Jarmila Kratochvilova an jenen lauen Münchner Sommerabend des 26. Juli 1983. Und natürlich an die "heiße" Zeit: 1:53,28 Minuten. Weltrekord!

Noch nie hat eine Frau die zwei Stadionrunden schneller abgespult. 25 Jahre schon beißt sich die Konkurrenz an der Fabelzeit der stämmigen Tschechin die Zähne aus - vergeblich. Der älteste offizielle Leichtathletik-Weltrekord hat am 26. Juli das erste Vierteljahrhundert überlebt.

Dopingverdacht

"Als ich den Rekord vor 25 Jahren erzielte, hatte ich keine Idee, dass er so lange halten würde", sagte Kratochvilova. "Die Zeit fliegt vorbei. Ich habe gelernt, mit dem Rekord zu leben." Nicht nur ihre acht chancenlosen Konkurrentinnen laufen im Olympiastadion mit - den Dopingverdacht ist die damals 32-Jährige bis heute niemals losgeworden.

Wer wie "Krachi", wie Kratochvilova in Athletenkreisen einst genannt wurde, als 400-Meter-Spezialistin bereits im dritten 800-Meter-Rennen Weltrekord rennt, der muss sich Fragen gefallen lassen.

"Ihr Körper war pure Provokation", schreibt das Magazin "SPORTS" im September 1993 über die neben Marita Koch überragende 400-Meter- Läuferin der 80er Jahre. "Kann eine Frau solche Muskeln haben?" Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: "Ja, wenn sie so hart trainiert wie ich."

Heute sagt Jarmila Kratochvilova: "Wenn jemand der Beste in der Welt ist, tauchen solche Spekulationen auf. Speziell im Sport, wenn dort etwas für 25 Jahre besteht. Mein Trainer und ich kennen die geleistete Arbeit am besten, die 16 Jahre Training, die dahinter standen."

Die Arbeit hat sich gelohnt, denn bis auf Olympia-Gold hat die heute 57-Jährige (fast) alles gewonnen: Gleich bei der WM-Premiere 1983 in Helsinki erkämpft Kratochvilova Doppel-Gold über 400 und 800 Meter. In 47,99 bleibt sie als erste Frau über 400 Meter unter 48 Sekunden.

Diesen Weltrekord nimmt ihr ihre Dauerrivalin Marita Koch, mit der sie gern einmal privat zusammensitzen und plaudern würde, 26 Monate später wieder ab (47,60).

"Meine Ergebnisse habe ich durch langjährige systematische harte Arbeit erreicht", hatte sie einmal der tschechischen Zeitung "Mlada fronta Dnes" gesagt. Und: "Kein Funktionär hat mich jemals gezwungen, unerlaubte Mittel zu nehmen."

Ihr Trainer und Entdecker Miroslav Kvac hat das Erfolgsgeheimnis des Duos längst verraten: "Sie nahm nur erlaubte Mittel, aber die wirkten wie Anabolika." Obwohl Kratochvilova ihre Karriere erst 1987, nach dem enttäuschenden fünften WM-Platz über 800 Meter, mit 36 Jahren beendet, ist sie heute gesund - "bis auf die üblichen Beschwerden des Alters".

Extremes Training

Das ist eigentlich ein Wunder, wenn man ihrem Coach zuhört. "Wir machten unglaublich viel Krafttraining. In jedem Training hob sie insgesamt 16 Tonnen. Jeden Vormittag lief sie 18 Mal 300 Meter", berichtet Kvac, dem auch unorthodoxe Trainingsmethoden nicht fremd waren: "Sie lief durch ein Becken mit knöchelhohem Wasser oder mit militärischer ABC-Schutzmaske und Zehn-Kilo-Bleiweste."

Heute wohnt Jarmila Kratochvilova in ihrem böhmischen Geburtsort Golcova Jenikova südöstlich von Prag; bei der schweren Arbeit auf dem Bauernhof ihrer Eltern hatte sie sich einst Kraft und Kondition für die spätere Sportkarriere geholt.

Nach der aktiven Laufbahn wird sie Trainerin und betreut unter anderen die tschechische 800-Meter- Weltmeisterin von 1999, Ludmila Formanova.

10 000 Kronen gibt es für den Weltrekord - im Prag des Jahres 1983 hätte sich Kratochvilova dafür einen Farbfernseher kaufen können. Und in den nächsten Jahren sah sie, dass keine ihrer Nach-Läuferinnen auch nur in die Nähe der 1:53,28 Minuten kommen.

Der Russin Nadeschda Olisarenko (1:53,43) hat sie den Weltrekord abgenommen, danach kommt ihr die Kubanerin Ana Fidelia Quirot (1:54,44 ) noch am nächsten, auch die große Maria Mutola (Mosambik/1:55,19) kriegt sie nie ein.

Kratochvilova glaubt nicht, dass ihr Uralt-Weltrekord wackelt: "Die heutigen Athleten bestreiten einen Wettkampf nach dem anderen, während ich vor allem trainiert habe." Und dann fügt sie an: "Der Sinn eines Rekordes ist, übertroffen zu werden. Aber ich habe ein angenehmes Gefühl im Herzen, wenn niemand dies schafft."