Auf Büffeljagd in Istanbul

Von Carolin Blüchel
solis, kuba
© Imago

München -  Er ist das neue Schwergewichts-Juwel im Boxsport: der Kubaner Odlanier Solis Fonte. Vor anderthalb Jahren floh der Olympiasieger von 2004 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus seiner Heimat, um im Profi-Geschäft den Durchbruch zu schaffen und Geld für seine in Armut lebende Familie zu verdienen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Nur zehn beeindruckende Profi-Kämpfe und sechs K.o.-Siege später gilt der 28-Jährige längst als kommender Herausforderer von Wladimir Klitschko und Co..

Auf dem steinigen Weg zu einem WM-Kampf geht Solis am 4. Juli in Istanbul auf Büffeljagd. Zunächst war das Duell für Miami geplant, aber Solis wurde das Visum verweigert und der Kampf in die Türkei verlegt.

Solis' Gegner ist mit dem 39-jährigen Südafrikaner Francois Botha kein Unbekannter. Es ist eben jener weiße Büffel, der 1995 den Weltmeister-Titel gegen Axel Schulz errang, ihn aber später wegen eines Dopingvergehens wieder abgeben musste.

Jener Botha, der in der Folge mit Michael Moorer, Mike Tyson, Lennox Lewis und Wladimir Klitschko die besten Schwergewichtler überhaupt herausforderte - und gegen alle k.o. ging.

Jener Botha, der seit einiger Zeit sein Geld mit fragwürdigen K-1-Auftritten verdient. Einem Sport, der Boxen, Kickboxen, Karate und Taekwondo in sich vereint und bei dem Botha mickrige zwei seiner zwölf Duelle positiv gestalten konnte.

Botha als Karrieresprung

Ausgerechnet dieser nicht mehr so taufrische Botha soll dem erfolgshungrigen Kraftpaket Solis, der wegen seiner Schnelligkeit "La Sombra" (Der Schatten) genannt wird, auf die nächste Stufe der Karriereleiter verhelfen. Dabei könnten die Gegensätze nicht größer sein.

Für den Chef des Arena Boxstalls, Ahmet Öner, bei dem Solis unter Vertrag steht, ist der Kampf gegen den weißen Büffel dennoch eine große Chance. Er sieht die Glaubwürdigkeit seines Schützlings keineswegs in Gefahr. Ganz im Gegenteil.

"Für einen Anfänger im Profi-Boxgeschäft, wie es Solis noch ist, ist Botha ein guter Name. Man darf ihn trotz seiner 39 Jahre nicht unterschätzen. Gerade im Schwergewicht spielt das Alter nicht so eine große Rolle", sagte Öner im Interview mit SPOX.com. "Botha war immer gleichbleibend mittelmäßig. Er hatte nie wirklich eine beste Zeit. Gegen die ganz Großen wie Moorer, Tyson, Lewis und Klitschko hat er verloren, doch alle anderen hat er besiegt. Solis hat die große Chance, durch diesen Kampf bekannter zu werden."

Flucht aus der Armut

Dass er in Istanbul als haushoher Favorit gehandelt wird, stört Solis nicht. Schon während seiner Amateurkarriere galt der 28-Jährige stets als "The man to beat". Seine überragende Bilanz von 227 Siegen bei nur 14 Niederlagen wird nur noch von seinen drei Weltmeistertiteln (2001, 2003, 2005) und seinem Olympiasieg übertroffen.

Trotz seines Erfolgs hatte sich Solis' triumphale Amateur-Karriere finanziell nicht bezahlt gemacht. Auf Kuba werden Boxer zwar als Volkshelden verehrt, dennoch leben sie am Existenzminimum. Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Berufstätigen, ob Olympiasieger oder nicht, beläuft sich auf umgerechnet knapp zwölf Euro. Eine Profi-Karriere ist nicht erlaubt, schließlich will allein der Staat von seinen Sportlern profitieren.

Im Winter 2006 traf Solis zusammen mit den beiden Olympiasiegern Yan Barthelemy und Yuriorkis Gamboa daher eine folgenschwere Entscheidung. Wie schon viele kubanische Spitzensportler vor ihm, ließ er seine Frau und seinen zweijährigen Sohn in der Heimat zurück, türmte aus einem Trainingslager in Venezuela nach Kolumbien und landete nach einigem Wirrwarr letztlich beim Hamburger Boxstall.

Von der Familie getrennt

Tragisch war jedoch: Mit der Flucht musste Solis alle Brücken zu seiner Heimat und seiner Familie abbrechen. Ein Besuch in naher Zukunft ist ausgeschlossen. Bei einer Rückkehr nach Kuba würde Solis wegen "Fahnenflucht" sofort ins Gefängnis wandern.

"Es war eine harte Entscheidung. Es dauert vielleicht Jahre, bis ich meine Familie wieder in die Arme schließen kann. Aber am Ende wird es sich lohnen", sagte Solis kurz nach seiner Flucht. Zumindest telefoniere er jeden Tag mit seinen Liebsten, es sei jedoch immer schwer, den Hörer wieder aufzulegen.

Tschagajew und Walujew sind schlagbar

Mit einem beeindruckenden Sieg über Botha würde Solis dem großen Geld einen Schritt näher kommen. Der letzte Schliff in Sachen Fitness für einen WM-Kampf fehlt allerdings noch. Der Kubaner, der bisher noch nie über die volle Distanz von 12 Runden gegangen ist, wirkt körperlich noch nicht voll austrainiert.

„Die volle Power über 12 Runden fehlt ihm noch, acht harte Runden sind aber kein Problem", sagte Öner, konnte sich einen kleinen Seitenhieb auf die Konkurrenz jedoch nicht verkneifen. "Weltmeister Ruslan Tschagajew und Ex-Weltmeister Nikolai Walujew hätte er längst drauf. Beide schätze ich nicht so stark ein. Um gegen einen Wladimir Klitschko bestehen zu können, muss Solis allerdings noch konditionell zulegen und etwas mehr professionelle Erfahrung sammeln."

Gegner in Angst und Schrecken

Dafür waren die ersten Profi-Kämpfe jedoch nicht wirklich geeignet. Bei seinen ersten beiden Auftritten schickte Solis seinen Gegner jeweils nach weniger als einer Minute auf die Bretter, so dass sich plötzlich keiner mehr der Schnelligkeit und Urgewalt des Kubaners freiwillig aussetzen wollte.

Auch Botha hatte zunächst gekniffen. Ein für den letzten Dezember angesetzter Kampf wurde abgesagt, weil sich der Südafrikaner - nach eingehendem Studium seines Gegners - plötzlich nicht mehr ausreichend vorbereitet fühlte.

Ob er es jetzt ist, oder ob La Sombra seinen Gegner in den Schatten stellen und zugleich aus selbigem treten wird, zeigt sich nun in Istanbul.

Artikel und Videos zum Thema