Zusage aller 205 NOKs - Rogge erhöht Druck

SID

Peking - Mit einem kollektiven Schulterschluss hat die Olympische Bewegung den Druck auf die Olympia-Macher kurz vor der historischen Peking-Zusage aller 205 anerkannten NOKs erhöht.

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IOC-Präsident Jacques Rogge hat ausgerechnet in Chinas Hauptstadt deutlich wie nie zuvor eine "rasche und friedliche Lösung in Tibet" gefordert. Die Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) nahmen die verbale Steilvorlage des Ober-Olympiers brav auf und verabschiedeten einstimmig eine Erklärung, von der sich die Sportwelt Signalwirkung verspricht. "Wir nehmen an den Spielen teil", hieß es am Montag in Peking.

Passend dazu riefen auch die Dachorganisationen der einzelnen Länder zu einer vernünftigen Klärung der Tibet-Frage auf. Sie forderten Meinungsfreiheit für die Athleten und verurteilten einen potenziellen Missbrauch der Spiele.

"Gewalt, in welcher Form auch immer, verträgt sich nicht mit den Werten des Fackellaufs und den Olympischen Spielen. Ich bin sehr besorgt über die internationale Situation und was in Tibet passiert. Das IOC fordert eine schnelle und friedliche Lösung in Tibet", sagte Rogge und trat damit erstmals auch in China öffentlich als Verfechter der Menschenrechte auf.

China zurückhaltend

Nach wochenlangem Schweigen hatte der belgische Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) durch die demonstrative Einigkeit der Olympischen Familie seinen erhofften, verheißungsvollen Start der olympischen Woche in Peking - nicht aber die gewünschte Ruhe.

In Paris sorgten Protestaktionen am Rande des olympischen Fackellaufs für chaosartige Szenen. Zu Beginn des Laufs hatte es Proteste pro-tibetischer Demonstranten gegeben. Der Fackelträger war gegen Mittag auf der ersten Etage des Eiffelturms gestartet und kurz danach unter Polizeischutz in einen Bus gestiegen.

China reagierte zurückhaltend auf Rogges Vorstoß. Die Olympischen Spiele sollten als großartiges Sportereignis "von der Politik ferngehalten werden", sagte die Sprecherin des Organisationskomitees (BOCOG), Wang Hui, in Peking. "Ich denke, Herr Rogge nimmt die gleiche Position ein." Diese Trennung von Politik und Sport gelte auch für den Fackellauf, sagte Wang Hui. Jedes Land habe seine Weise, mit Demonstrationen am Rande umzugehen.

"Während des Fackellaufes hat es ein paar Störungen gegeben, aber wir glauben, alle friedliebenden Menschen in der Welt werden den Fackellauf unterstützen."

Meinungsfreiheit der Athleten?

Die symbolhaften Bilder der erloschenen Fackel aus der französischen Metropole überschatteten die positive Stimmung im feudalen "China World Hotel". Die Flamme war kurz nach Beginn des Laufs wegen technischer Probleme erloschen, wie die Polizei mitteilte. Die Störung habe wenige Minuten gedauert, berichtete der Fernsehsender LCI.

"Unsere Erwartungen wurden erfüllt. Es war ein sehr erfreulicher Tag mit wichtigen Aussagen", kommentierte IOC-Vizepräsident Thomas Bach. "Aus dem Selbstverständnis des Sports war es die logische Entwicklung und gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine ganz wichtige Entscheidung und das richtige Signal an die Athleten." So unisono sich die Spitzenfunktionäre für eine Olympia-Teilnahme aussprachen, so vehement drängten sie das IOC auch zu einer klaren Stellungnahme in Sachen Meinungsfreiheit der Athleten.

In zahlreichen Wortmeldungen wurden die unterschiedlichen Interpretationen der Olympischen Charta deutlich, die politische, religiöse und rassistische Demonstrationen an olympischen Wettkampfstätten verbietet. Immer wieder tauchte die Frage auf: Was ist Propaganda, was nicht? Claudia Bokel, Athletensprecherin der Europäischen NOKs (ENOC), machte sich für "mündige Athleten" stark und erreichte immerhin, dass ihr Vorschlag der freien Meinungsäußerung im Rahmen der Charta-Bestimmungen vor der IOC-Exekutive diskutiert wird.

Zensur gegen "Eurosport"?

"Ich hoffe stark, dass dieser Punkt berücksichtigt wird, aber man weiß nie", sagte die Fechterin, die Ambitionen hat, in die IOC-Athletenkommission aufgenommen zu werden. Wie unterschiedlich die Einstellungen der NOK-Vertreter in dieser Frage waren, zeigte eine Äußerung aus dem NOK des Tschads. Generalsekretär Idriss Dokony Adiker meinte: "Athleten sollen nicht denken. Sie sollen an den Spielen teilnehmen."

Die demokratische US-Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton forderte von Präsident George W. Bush einen Boykott der Eröffnungsfeier. "Zu diesem Zeitpunkt und im Licht jüngster Vorfälle glaube ich nicht, dass Präsident Bush eine Teilnahme an der Eröffnungsfeier in Peking planen sollte, wenn es keine größeren Veränderungen seitens der chinesischen Führung gibt", betonte die frühere First Lady in einer schriftlichen Erklärung.

In China ist der Fernsehsender "Eurosport" bei seiner Verbreitung mehrfach zensiert worden. Darüber hätten die chinesischen Behörden den Sender informiert, bestätigte "Eurosport"-Sprecher Werner Storz. Es sei dabei um Inhalte der Magazin-Sendung "Road to Beijing" gegangen, in der Sportler auf ihrem Weg zu den Olympischen Spielen in Peking porträtiert werden. Bei einigen Passagen sei der der Bildschirm schwarz geblieben. Die chinesischen Behörden hätten keine Angaben über die Häufigkeit der Zensur gemacht. Alle in China empfangbaren ausländischen TV-Sender werden mit einer Verzögerung in die Kabelnetze eingespeist, um eine Zensur zu ermöglichen.