"Kontrolliertes EPO-Doping seit 1993"

SID
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© Getty

Freiburg - Das "Protokoll des Schreckens" lässt kaum einen Zweifel: Der Aufschwung des deutschen Profi-Radsports kam durch Lug und Trug zustande.

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Nach Erkenntnissen der Doping-Untersuchungskommission des Universitätsklinikums Freiburg sollen Fahrer des T-Mobile-Teams und dessen Vorgängers Telekom zwischen 1993 und 2006 unter ärztlicher Kontrolle gedopt worden sein. "Für den Zeitraum 1993 bis 2000 und 2006 ist dies aufgrund der vorliegenden Informationen evident", heißt es in einem in Freiburg vorgestellten Zwischenbericht.

 In diesen Zeitraum fallen die Tour-de-France-Siege 1996 und 1997 des geständigen Dopers Bjarne Riis und von Jan Ullrich - Höhepunkte des Magenta-Booms. "Das ist alles Aufarbeitung der Vergangenheit", sagte BDR-Chef Rudolf Scharping.

Ullrich und Klöden belastet

Der erschreckende Bericht liefert weitere Indizien für eine mögliche Verwicklung von Ullrich. Bei ihren Recherchen fand die Experten-Kommission auch fingierte Patientenakten. "Darunter finden sich Namen wie 'Maier, Ulrich, geboren am 02.12.1937' ", heißt es in dem Bericht. "Wenn man das Geburtsjahr dreht, wird dieser alte Mann deutlich jünger", sagte der Kommissionsvorsitzende Hans Joachim Schäfer. Ullrich wurde am 02.12.1973 geboren.

Mit dem Tour-Sieger von 1997 habe die Kommission nicht gesprochen, "weil wir nicht mit nicht geständigen Fahrern reden", sagte Schäfer am Karfreitag. "Uns beunruhigt das nicht im Geringsten", erklärte Ullrichs Verteidiger Johann Schwenn. Dem zweimaligen Tour-Zweiten Andreas Klöden dürfte die Erkenntnis-Offensive ebenfalls nicht gefallen haben.

"Im Jahre 2000 hat es eine Medikamentenlieferung an die Freundin von Andreas Klöden gegeben - eilig, über Nacht", sagte der Jurist Schäfer. Ironischerweise seien die Frachtkosten von 1000 Mark über das Konto 'Dopingfreier Sport' gebucht worden. Schriftführer des Arbeitskreises 'Dopingfreier Sport' war der ehemalige T-Mobile-Teamarzt Lothar Heinrich, der wie Andreas Schmid Doping-Praktiken gestanden hatte und entlassen wurde.

Zabel nahm 1996 bei Tour de Suisse EPO

Die Kommission lieferte auch neue Anhaltspunkte für einen "Rhein-Konvoi" von T-Mobile-Fahrern während der Tour 2006. Die drei Mitglieder Schäfer, Wilhelm Schänzer und Ulrich Schwabe gehen davon aus, dass sich außer dem geständigen Patrik Sinkewitz mindestens zwei weitere Profis Blut-Transfusionen unterzogen hätten.

Sinkewitz hatte über seine eigene Doping-Fahrt nach der ersten Tour-Etappe gesagt: "Es war kein anderer Fahrer in meinem Auto nach Freiburg dabei." Dazu sagte Schäfer: "Es gibt den Hinweis, dass es noch ein weiteres Fahrzeug gab."

Mit einer Passage über Erik Zabel sorgte das 23-seitige Papier für Verwirrung. Dort heißt es: "Auch Erik Zabel begann im Jahr 1996 während der Tour de Suisse eine dreiwöchige EPO-Kur." Schäfer betonte nach der Pressekonferenz, dies widerspreche nicht dem einmaligen EPO-Test, den der Sprinter bei seiner tränenreichen Beichte eingeräumt hat: "Das deckt sich absolut."

Zabel sagte nun: "Die veröffentlichten Aussagen der Expertenkommission entsprechen exakt meinen Ausführungen, die ich am 24. Mai 2007 öffentlich geäußert habe." (Im Bild)

Kontrolliertes EPO-Doping seit 1993

Im Jahre 1993 habe "das ärztlich kontrollierte EPO-Doping im Team Telekom Einzug gehalten", heißt es in dem Bericht. Die damaligen Telekom-Profis Christian Henn und Rolf Aldag, jetziger High-Road-Sportdirektor, sollen sich 1996 "regelrechten EPO-Kuren" unterzogen haben. Für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 2007 wertete die Kommission Daten von 58.800 Blutentnahmen von 22.264 Personen aus: 92 Positiv-Tests gab es.

"57 der 92 Blutentnahmen können dem T-Mobile-Team zugeordnet werden", heißt es. Konkrete Angaben über Doping-Praktiken zwischen 2001 bis 2005 hätten die interviewten Ex-Magenta-Profis nicht gemacht. "Die schlüssige Erklärung für die zeitliche Einschränkung besteht darin, dass für diesen Zeitraum noch keine strafrechtliche Verjährung eingetreten ist", konstatiert die Kommission.

Neben Schmid und Heinrich sollen auch die beiden Mediziner Andreas Blum und Stefan Vogt unerlaubte Zahlungen vom Bonner Rennstall ohne Wissen des Klinikums erhalten haben. "Die kriminelle Energie, mit der wir konfrontiert sind, ist erschreckend", sagte der Klinikumsvorsitzende Matthias Brandis. Bewiesen sei, dass Heinrich im vergangenen Jahr 120.000 Euro und 2006 insgesamt 60.000 Euro für seine Dienste erhalten habe.

Auskünfte von sechs Geständigen

Blum und Vogt, die nicht mehr an der Uni-Klinik arbeiten, bestreiten ihre Verwicklung. Das Bundeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Freiburg nannten auf Anfrage keine Details. Die Experten-Kommission hatte seit Juni 2007 mit den früheren Magenta-Profis Aldag, Zabel, Bert Dietz, Jörg Jaksche, Henn und Sinkewitz gesprochen.

Zudem erteilte der ehemalige Telekom-Masseur Jef D'Hont, dessen Schilderungen im "Spiegel" im Mai 2007 zur Geständnis-Welle der Fahrer geführt hatten, detailliert Auskunft. Nach Ostern will der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) Kontakt mit der Kommission aufnehmen. "Wir werden das alles durchgehen, ohne Ansehen der Person", kündigte Scharping an.

Die neuesten Enthüllungen sind nach den Mai-Beichten, dem "Fall Sinkewitz" und dem T-Mobile-Rückzug der vierte schwere Schlag für die Sportart innerhalb eines Jahres. Schäfer: "Ich weiß nicht, was der deutsche Radsport daraus macht."