Reaktionen des Sports zu Boykott-Aufrufen

SID

Hamburg - IOC-Präsident Rogge hatte versäumt, mit einer klaren Äußerung in der heiklen Menschenrechtsfrage sanften Druck auf das Organisationskomitee in Peking (BOCOG) auszuüben. Jetzt gleichen die Reaktionen aus der Defensive heraus einem Versuch der Schadensbegrenzung.

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Rogge: "Der Boykott würde nichts lösen. Im Gegenteil. Er bestraft nur unschuldige Athleten."

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble: "Wir sollten die Vorkommnisse in Tibet nicht dazu nutzen, eine Debatte zu beginnen, in der vom Sport etwas gefordert wird, was er nicht leisten kann. Der Sport kann seine Wirkung nur entfalten, wenn die Olympischen Spiele stattfinden."

DOSB-Präsident Thomas Bach: "Der Boykott wäre der falsche Weg, weil dadurch Gesprächsfäden abgeschnitten und die Aufmerksamkeit in der Welt nachlassen würden. Die Geschichte hat gezeigt, dass Boykotte nie zum Ziel führen. Jede Anwendung von Gewalt ist immer ein Rückschritt. Wir hoffen auf eine friedliche Lösung durch Dialog und rufen beide Seiten zu einem Gewaltverzicht auf."

Michael Vesper (Chef de Mission des Deutschen Olympiateams): "Die Situation beunruhigt mich und ich kritisiere sie auch. Es ist nicht hinzunehmen, dass bei friedlichen Demonstrationen Menschen zu Tode kommen. Ein Boykott bringt niemandem was. Die einzig Leidtragenden sind die Athleten." 

IOC-Mitglied Walther Tröger: "Ich bin gegen einen Boykott. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass solche Einzelaktionen nichts bringen. Die NOKs in Afrika zum Beispiel würden nicht mitmachen, es wären also nur wenige. Wir sind 1980 nicht nach Moskau gegangen, passiert ist nichts. Man könnte dem Problem nur beikommen, wenn die Regierungen, die Vereinten Nationen, die Wirtschaft und die Kultur sich zusammenschlössen."

Heiner Brand (Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft): "Was Herr Gere sagt, interessiert mich nicht. Einmal abgesehen davon, bin ich gegen jede Form von Boykott im Sport. Ich habe das einmal miterlebt 1980. Das ist das Schlimmste, was einem Athleten passieren kann. Deswegen halte ich davon gar nichts."

Ulrich Strombach (Präsident des Deutschen Handball-Bundes): "Ich halte von einem Boykott gar nichts. Und ich halte nichts davon, den Sport zum Hilfsmittel für politische Repressalien zu machen. Das führt nur zu einer Kettenreaktion, wie man gesehen hat. Die einen boykottieren Moskau, die anderen Los Angeles. Dass wir Menschenrechtsverletzungen bedauern, ist klar. Aber wenn wir jedes Mal darauf mit Boykott reagieren, können wir Olympische Spiele und große Meisterschaften ad acta legen."

Speerwurf-Europameisterin Steffi Nerius: "Wer jetzt Boykott fordert, weiß gar nicht, dass wir vier Jahre für Olympia trainieren. Mir tun jetzt noch die Athleten leid, die sich für die Boykottspiele 1980 und 1984 vier Jahre lang umsonst vorbereitet hatten. Deswegen halte ich überhaupt nichts von einem Boykott."

Roland Baar (Sechsmaliger Ruder-Weltmeister): "Ich bin gegen einen Olympia-Boykott, kann aber die Forderung danach verstehen. Jetzt soll der Sport wieder die moralische Instanz der Welt sein, aber die ganze Wirtschaft arbeitet mit China zusammen. Den Sport als Vehikel zu missbrauchen, finde ich unfair. Ich denke an all die Athleten, die lange für Olympia trainiert haben und nun vielleicht die einzige Chance haben, dabei zu sein."

Christa Thiel (Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes): "Ein Olympia-Boykott ist grundsätzlich nicht das richtige Mittel. Die Jugend der Welt hat ein Anrecht darauf, sich friedlich zu treffen und die Werte des Sports auch zu demonstrieren und in die Welt zu tragen. Der Sport und die Olympische Idee dürfen nicht durch politische Auseinandersetzungen in den Grundfesten erschüttert werden."

Klaus Schormann (Präsident des Internationalen Verbandes für Modernen Fünfkampf): "Ich bin sehr traurig, dass es zu dieser Eskalation gekommen ist, aber ich habe großes Vertrauen in die Verantwortlichen. Gerade jetzt muss man in Solidarität zu denen stehen, die das Ganze organisieren. Der Sport muss versuchen, so neutral und autonom wie nur irgendmöglich zu sein. Der Sport darf sich nicht benutzen lassen. Dieses Showgehabe kann ich nicht nachvollziehen. Ein Boykott ist die schlechteste Waffe überhaupt." 

Henning Fritz (Handball-Nationalspieler): "Da würden wir uns ja ins eigene Fleisch schneiden. Ein Boykott würde nichts bringen. So schlimm und ungerecht das Ganze ist, aber wir als Sportler können da eh nichts machen, das muss die Politik tun. Ich fokussiere mich derzeit auf den Sport und so blöd es klingt, ich lebe in meiner eigenen Welt, wo ich genug zu tun habe."

Oliver Roggisch (Handball-Nationalspieler): "Die Frage ist, ob das der richtige Weg wäre. Mit einer Absage würde man auch nichts erreichen. Vielmehr sollte man dann vor Ort die große Medienpräsenz nutzen, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Aber diese Problematik (Tibet-China) sollte man auch als Sportler nicht ausblenden, da sieht man wieder, dass es wichtigere Dinge gibt als Sport. Olympia ist noch so weit weg, ich hoffe, dass sich bis dahin wieder alles beruhigt hat."

Stefan Kretzschmar (Sportdirektor SC Magdeburg): "Da bin ich zu wenig involviert. Aber meine Eltern haben mal einen Boykott erlebt und fanden das nicht lustig."

Thomas Rupprath (Weltrekord-Schwimmer): "Es taucht schon die Frage auf, ob es richtig ist, in einem Land Olympische Spiele auszutragen, wo Menschenrechte eine andere Wertung haben als zum Beispiel bei uns. Umgekehrt: China ist eine Weltmacht, die auch das Recht hat, ein solches Ereignis auszutragen. Aber: Der Sport sollte nicht missbraucht werden. Die Sportler werden in Peking von allem ferngehalten werden und dort wie unter einer Sicherheitsglocke leben."