IOC in Boykott-Frage vor Zerreißprobe

SID

Düsseldorf - Die Frage eines möglichen Boykotts der Olympischen Spiele in Peking wird immer mehr zu einer Zerreißprobe für das Internationale Olympische Komitee (IOC).

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Trotz der anhaltenden Diskussion von Sportpolitikern, Athleten und Olympia-Organisatoren zu den jüngsten gewaltsamen Unterdrückungen der tibetischen Proteste durch China schweigt der IOC-Präsident Jacques Rogge beharrlich.

Auch auf der letzten Station eines sechstägigen Karibik-Trips auf Barbados lehnte Rogge es ab, deutlich Stellung zum Dauerthema zu beziehen.

Die deutsche Degenfechterin Imke Duplitzer kritisierte das IOC wegen der intensiv geführten Boykott-Diskussion in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" scharf: "Die haben sich so in die Sackgasse manövriert, dass jedes Wort unglaubwürdig wirkt."

Bankrotterklärung des IOC

Das IOC hätte die Spiele nicht nach Peking vergeben sollen. "Das ist so, als würde man einen notorischen Kinderschänder, wenn er aus dem Gefängnis kommt, zum Kindergärtner machen mit der Begründung, er müsse eine zweite Chance bekommen", sagte die 32 Jahre alte Europameisterin von 1999 und WM-Zweite von 2002.

Nun könnten die Funktionäre das Problem nicht mehr öffentlich eingestehen. "Das wäre die moralische Bankrotterklärung des IOC. Aber ihr Schweigen ist auch eine moralische Bankrotterklärung. Da kommen sie nicht mehr raus, ohne ihr Gesicht zu verlieren", sagte sie.

Notwendiger Dialog

Neben Rogge vermied auch der neue UN-Sonderbeauftragte für Sport, Willi Lemke, klare Stellungnahmen in Bezug auf Olympia.

Bei seiner offiziellen Vorstellung in Berlin sagte Lemke, ein Boykott der Olympischen Spiele sei "überhaupt nicht zielführend", dürfe aber auch nicht völlig ausgeschlossen werden.

Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und stellvertretende IOC-Präsident Thomas Bach ermutigte in Frankfurt eine Jugenddelegation, auf einer einwöchigen Chinareise zu einem "notwendigen Dialog".

Gienger hält Boykott für kontraproduktiv

Auf der von der Deutschen Sportjugend  und dem Bundesfamilienministerium organisierten Reise sollten 100 Jugendliche Fragen zu "besonderen politischen Herausforderungen dieser Olympischen Spiele" stellen.

Einen Boykott der Spiele stehen aber Funktionäre und Athleten weiterhin skeptisch gegenüber, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven. Der DOSB-Vizeprsäsident Eberhard Gienger hält einen Boykott für kontraproduktiv.

Der ehemalige Weltklasseturner und jetzige Bundestagsabgeordnete (CDU) sagte dem "Deutschlandradio Kultur", die chinesische Regierung würde ihre Politik wegen eines Boykotts kaum ändern. Dieser würde eher einen Gegendruck erzeugen, als Erfolge zu erzielen.

Gienger sagte, es sei nicht Aufgabe des Sports, Aufgaben der Politik zu übernehmen. Damit pflichtete er den chinesischen Olympia-Organisatoren bei, die neuerliche Aufrufe zum Boykott der Spiele entschieden zurückwiesen.

"Olympia und Politik zu verknüpfen, ist einfach nicht richtig", sagte der Vizedirektor der Kommunikationsabteilung, Shao Shiwei, in Peking vor Journalisten.

Duplitzer geht in Peking trotzdem an den Start

Trotz erheblicher moralischer Bedenken will die IOC-Kritikerin Duplitzer aus pragmatischen Gründen in Peking an den Start gehen: "Ich bin von den Spielen existenziell abhängig." Sie sei "beruflich erledigt", wenn sie nicht starten würde.

"Wir Athleten haben keinerlei Rechte, keinerlei Handhabe", klagte die Bundeswehrsoldatin. Der Staat habe eine Menge Geld investiert, damit sie in Peking antrete.

"Wenn ich da die Moral betone und mich weit aus dem Fenster lehne, stehe ich als Gelackmeierte da", sagte Duplitzer.

Ungeachtet der Proteste und Diskussionen laufen die Vorbereitungen zum olympischen Fackellauf auf Hochtouren.

Während die antichinesischen Proteste in Tibet weitergehen, soll das olympische Feuer wie geplant zum Mount Everest getragen werden. "Diese Zwischenfälle werden den normalen Ablauf des Fackellaufes nicht beeinträchtigen", sagte der Vizepräsident des chinesischen Organisationskomitees (BOCOG), Jiang Xiaoyu.