Angst vor Leben ohne Applaus

SID
Eiskunstlauf, Kathi Witt
© DPA

Hamburg - Mittags um zwölf wirkt die ungeschminkte Katarina Witt müde, erschöpft und geplagt von der ewigen Eishallen-Erkältung. Das Frühstück hat sie ausgelassen, stattdessen joggt sie durch den Park - um den Kopf freizubekommen vor der abendlichen Abschiedsshow.

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Alles dreht sich um sie, jeder will etwas wissen, ausfallen darf sie nicht. Doch die Gefahr besteht nicht: Die zweimalige Olympiasiegerin ist ein Vorbild an Disziplin.

Seit September lebt sie aus dem Koffer, erst für die monatelange Produktion in Rust für die ProSieben-Fernseh-Staffel "Stars on Ice", dann für ihre eigene Abschiedstournee, die am 4 März in Hannover endet.

Andere Projekte stehen an 

Sie sehnt sich nach einer Auszeit und doch hat sie Angst davor: "Es wird schwer werden ohne den Applaus". Mit Wehmut verabschiedet sie sich im Alter von 42 Jahren - für einige einige Jahre zu spät, für sie selbst könnte es jedoch ewig so weitergehen.

"Ich komme vom Leistungssport, deswegen ist es Zeit, sich anderen Projekten zu widmen", lautet die rationale Einsicht. Nach drei bis vier Stunden Training am Tag braucht sie ebenso lange, um sich auszuruhen. Damit soll Schluss sein.

"Mir fehlt die Diplomatie"

Doch dann schlägt das Herz der Künstlerin, die aufblüht, wenn sie vors Publikum tritt. "Eigentlich sehe ich mich wie ein Schauspieler. Der Herr Heesters tritt doch auch noch auf", sagt Witt und möchte wie der 104-Jährige auch ein Leben lang auf der Show-Bühne stehen.

Egal was kommt, dem Fernsehen möchte sie gern verbunden bleiben. Konkrete Projekte hat sie jedoch nicht vor Augen. Aber sie war immer umtriebig, hat sich mehrere Standbeine aufgebaut, betreut soziale Projekte und möchte ihrem heiß geliebten Sport verbunden bleiben.

Das angestaubte Image des Eiskunstlaufs und die Schieflage der Deutschen Eislauf-Union tun ihr weh, Verantwortung zu übernehmen ist aber nicht ihr Ding. "Präsidentin? Ich kann schlecht zu etwas Ja sagen, wozu ich nicht gefragt wurde", sagt sie keck und denkt doch nicht ernsthaft über eine Funktionärs-Karriere nach. "Dazu fehlt mir die Diplomatie."

Das schönste Gesicht des Sozialismus 

In puncto Vergangenheitsbewältigung im deutschen Sport bezieht sie inzwischen Stellung. Nach den Maßstäben der Birthler-Behörde war die viermalige Weltmeisterin, der das Time Magazine den Titel "Schönstes Gesicht des Sozialismus" verlieh, Stasi-Opfer und Stasi-Begünstigte zugleich.

Sie bekam Autos, ein Ferienhaus, Präsente und Orden, wurde aber auch ständig bespitzelt. Auch von Trainer Ingo Steuer, für den sie sich heute vehement einsetzt.

"Man sollte Menschen gegenüber großzügiger sein, die jung waren. Diese Mentalität mit dem erhobenen Zeigefinger gefällt mir nicht. Egal, wie stur Ingo Steuer ist, man sollte vorrangig an die Europameister Aljona Savchenko und Robin Szolkowy denken und die Leistung der drei honorieren. Sie können den Sport nach vorn bringen."

Kein Neid auf Andere 

Für die freiheitsliebende Vorzeigesportlerin der DDR kam der Mauerfall zur rechten Zeit. Sie tourte durch die USA und lernte eine andere Mentalität kennen. "Ich bin dort lockerer geworden. Ich mag die amerikanische Mentalität, immer optimistisch zu sein und die Ärmel hochzukrempeln. Dadurch gehe ich schneller auf Leute zu, hab gelernt, überhaupt nicht neidisch auf andere zu sein."

Ihre Wurzeln sind im Osten Deutschlands, sie kehrt immer wieder gern zu Freunden und Familie nach Berlin zurück, doch sesshaft will die Sächsin so schnell nicht werden. "Das wär ja total langweilig", sagt die Vagabundin.

"Lügen werde ich nicht"

Die Angst vorm Alter ist da, aber sie spricht locker darüber. "Es hat sich in den letzten 20 Jahren unglaublich viel getan für uns Frauen. Es gibt Frauen, die schön altern. Iris Berben ist mit ihrer unglaublichen Ausstrahlung ein großes Vorbild", sagt der Weltstar, der auch in jungen Jahren schon mit strenger Diät gegen die natürlichen Rundungen ankämpfte.

"Ich war nie ein Hungerhaken, aber ich habe mich daran gewöhnt, mit meinem Körper zurechtzukommen." Sie lacht, als das Thema Schönheitsoperationen zu Sprache kommt. "Schnipp-schnapp, schnipp-schnapp? Wenn es an der Zeit ist, werde ich mich auch mit Schönheitsoperationen auseinandersetzen. Nur lügen werde ich nicht."